Biographie

Scharnhorst, Gerhard von

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: preußischer Heeresreformer, General
* 12. November 1755 in Bordenau/Hannover
† 28. Juni 1813 in Prag

Gerhard von Scharnhorst, ein Bauernsohn aus Bordenau/Hannover, empfing in seiner Jugend entscheidende Eindrücke auf der Militärschule des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, der Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. 1778 trat Scharnhorst in einDragonerregiment der Armee Hannovers ein, die er im Range eines Oberstleutnants im Jahre 1801 wieder verließ. 1783 wechselte er zur Artillerie über und lehrte in diesem Fach an der Artillerieschule in Hannover. Daneben entfaltete Scharnhorst eine umfangreiche Tätigkeit als Militärschriftsteller und erwarb sich bald weithin große Anerkennung. Im ersten Koalitionskrieg zeichnete er sich als Stabskapitän bei der Verteidigung von Menin 1794 aus, wurde daraufhin zum Major befördert und in den Generalquartiermeisterstab versetzt. Da er nach seiner Beförderung zum Oberstleutnant in Hannover wegen seiner nichtadeligen Herkunft kaum noch Aufstiegschancen besaß, ließ er sich für den Dienst beim Feldartilleriekorps der preußischen Armee gewinnen. 1802 erfolgte seine Erhebung in den Adelsstand. Im Gefolge der Neugestaltung des Generalstabes wurde Scharnhorst 1804 zum Generalquartiermeisterleutnant ernannt und an die Spitze der dritten Brigade des Quartiermeisterstabes gestellt, die den westlichen Kriegsschauplatz bearbeitete. 1804 wurde er zum Oberst befördert und nahm am Krieg von 1806/07 gegen Frankreich zunächst als Generalquartiermeister des Herzogs von Braunschweig an der Schlacht von Auerstedt teil und zog sich anschließend mit Blüchers Truppen nach Lübeck zurück. Während der Kämpfe in Ostpreußen war Scharnhorst dem Korps des greisen Generals v. L‘Estocq zugeteilt, und der Erfolg der preußisch-russischen Armee in der Schlacht von Preußisch-Eylau im Februar 1807 war im wesentlichen sein Verdienst. Am 17.7.1807 wurde Scharnhorst zum Generalmajor und kurz darauf zum Vorsitzenden der Militärreorganisationskommission ernannt, die in Königsberg wirkte, wohin sich der preußische Hof zeitweilig nach dem Frieden von Tilsit gerettet hatte. Nach Schaffung des Kriegsministeriums war er bis zum 7.6.1810 Chef des Allgemeinen Kriegsdepartements und zeitweilig außerdem Chef des Ingenieur- und Pionierkorps, Generalinspekteur der Festungen und Chef des Generalstabs. Nachdem er durch französischen Druck einen Teil seiner Aufgaben verloren hatte, behielt er dennoch eine längere Zeit geheimen Einfluß auf die Leitung der Militärangelegenheiten. In dieser Zeit verwandten ihn König Friedrich Wilhelm III. und der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg zu politischen Missionen in Petersburg und Wien. Erst 1813 trat Scharnhorst wiederum offen als Generalquartiermeister hervor. Er starb als Generalleutnant an den Folgen einer nicht ausgeheilten Verwundung, die er sich in der Schlacht bei Großgörschen am 2.5.1813 zugezogen hatte, am 28. Juni 1813 in Prag.

Versucht man Scharnhorsts Rolle für Preußen zu beschreiben, so rangiert der Soldat gleichauf mit dem militärischen Denker und dem Politiker Scharnhorst. Soldat sein bedeutete bei ihm nicht nur die Befähigung zum Truppendienst, sondern auch die Fähigkeit, praktische Kriegserfahrung und eigene Beobachtung mittels gedanklicher Erfassung, Durchdringung und Konzeption auch für andere nutzbar zu machen. Dabei bewahrte er stets Augenmaß für das Machbare, verlor niemals den Bezug zur Realität. Er war wohl der erste deutsche Offizier, der die Rolle und die Kräfte der Kolonialmilizen der amerikanischen Siedler bei ihrem Sieg über die britischen Söldnertruppen erkannte. Sein Aufsatz von 1797 über die Erfolge der Franzosen im Revolutionskrieg und den Feldzügen von 1794 vermittelt bereits eine kleine Theorie des Krieges. Sein erstmalig 1804 erschienenes „Handbuch der Artillerie“ ist auch heute noch hinsichtlich der Methodik der Erkenntnisgewinnung vorbildlich. Es handelt sich hier um ein klassisches Dokument einer von tiefer Kenntnis der Strukturen ausgehenden und diese systematisch auswertenden Militärtheorie. Clausewitz bezeichnete ihn als seinen „geistigen Vater“, dem er auffallend in der Ausgewogenheit von Theorie und Praxis gleicht.

Der Staatsmann Scharnhorst wurde schließlich zeitweilig zum Schwerpunkt des politischen Widerstandes gegen Frankreich. Seine Konzeption zur Bewältigung der Niederlage von 1806 entfaltete sich im Bündnis von Regierung und Nation. Auch seine militärischen Reformen wurden aus dieser Idee gespeist. Das Heer war für ihn keine maschinell funktionierende Organisation, sondern Teil einer politischen Gesamtverfassung. Scharnhorst starb, ohne sein Werk zu vollenden, doch blieb der Armee einiges von seinen Reformen erhalten: die allgemeine Wehrpflicht, die Grundsätze über die Auswahl des Offizierskorps, die Arbeitsweise des Generalstabs, die Erziehung und Schulung des Nachwuchses. Der Grundgedanke der Reform jedoch, die Übereinstimmung zwischen politischer und militärischer Ordnung, ging verloren.

Werke: Heinz Stübig, Scharnhorsts Briefe. Privatbriefe, hrg. von Karl Linnebach. Mit einem Kommentar und einem Anhang zum Nachdruck, München 1981; Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften. Hrg. von Ursula von Gersdorff, Biblio-Verlag, Osnabrück 1983.

Lit.: Reinhard Höhn, Scharnhorst, Soldat, Staatsmann, Erzieher. 3. Auflage, Bernard & Graefe Verlag, München 1981; U. Lehmann, Scharnhorst und die preußische Heeresreform. Berlin 1935 (Kriegsgeschichtliche Bücherei, Bd. 8); Hans Meier-Welcker, Gerhard von Scharnhorst 1755-1813 (Große Soldaten der europäischen Geschichte, Frankfurt/Main 1961).