Biographie

Schellhaus, Erich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Politiker, Staatsminister
* 4. November 1901 in Bösdorf/Kr. Neiße
† 19. Februar 1983 in Hannover

Auf mehr als 50 Jahre ihrer Geschichte können die Landsmannschaften der aus der Heimat Vertriebenen – die zentral die Vertriebenen zusammenfassenden Organisationen des ZvD (Zentralverband der vertriebenen Deutschen) und des VdL (Verband der Landsmannschaften), schließlich zusammengefaßt im Bund der Vertriebenen (BdV) – zurückblicken. Aber es fehlt bis heute an der geschichtlichen Aufarbeitung, und das hat zur Folge, daß die Namen der Gründer und Wortführer der ersten Jahrzehnte kaum noch bekannt sind, weil die Aktualität obsiegt und die für das Gestern Verantwortlichen nicht mehr genannt werden und vergessen sind.

Zu Recht wird immer wieder die Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 gerühmt, aber wer fragt nach den Namen derjenigen, die den Text und Inhalt dieser Charta in politisches Handeln umgesetzt haben. Es hat nach der Währungsreform (1948) und nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) nicht nur ein Wirtschaftswunder gegeben, sondern auch das Wunder der Eingliederung von Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, ohne daß dies von Exzessen begleitet gewesen wäre. Auf die vorbildlich Handelnden ist es angekommen. In der großen Politik nennt man dann gerne die Trias Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Kurt Schumacher.

Unter den deutschen Vertriebenen sind hier zwei Männer ob ihrer besonderen Leistungen herauszustellen, zwei Männer, die einerseits ein Ministeramt innehatten und zum anderen Sprecher ihrer Landsmannschaften gewesen sind. Ihre Namen sind Hans-Christoph Seebohm, Bundesverkehrsminister unter Bundeskanzler Konrad Adenauer und Wortführer der Sudetendeutschen, und Erich Schellhaus, unter den niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf und Heinrich Hellwege Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und außerdem auch Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien. Sicherlich wären auch noch andere Namen von Männern und Frauen der ersten Jahrzehnte zu nennen, aber die beiden, Seebohm und Schellhaus, haben sich vor allem dadurch ausgezeichnet, daß sie sowohl in amtlicher Tätigkeit als auch in ihrer Eigenschaft als Sprecher der Vertriebenen, der Betroffenen, für die zu wirken sie in ihre Ämter berufen worden waren, also in doppelter Funktion Leitfiguren gewesen sind.

Als ein Niemand hat Erich Schellhaus nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begonnen. Sein Lebenslauf begann am 4. November 1901 in Bösdorf, im oberschlesischen Kreise Neiße als Sohn eines Posthalters. Nach dem Abitur am heimischen Realgymnasium und einigen Studiensemestern an der Handelshochschule in Berlin schlossen sich Lehrjahre im Bankfach an, doch wechselte er dann zur Beamtenfachschule nach Breslau und wurde Kommunalpolitiker. Die erste Station lag in Hinterpommern, wo er seit 1931 in Fiddichow im Kreise Greifenhagen als Bürgermeister tätig wurde. 1935 folgte dann das Bürgermeisteramt in der gerade neu gebildeten Gemeinde Bad Salzbrunn, dem Geburtsort von Gerhart Hauptmann; dann der Zweite Weltkrieg, in dem er vom Beginn an bis zu seinem Ende im Soldatendienst stand, zum Schluß als Hauptmann der Reserve. Aber in die Heimat zurückzukehren, war dem Schlesier verwehrt.

In Niedersachsen, am Rande der Lüneburger Heide, fand er eine neue Bleibe und verdingte sich als Wald- und Moorarbeiter. Gleichzeitig wirkte er für seine Schicksalsgefährten und gehörte zu den Mitbegründern einer neuen Partei, des BHE, des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Jetzt schlug die Stunde des aktiven Politikers. Als der Sozialdemokrat Hinrich-Wilhelm Kopf 1951 seine Regierung bildete, mußte er sich des BHE als Koalitionspartners versichern, und Erich Schellhaus wurde als ministrabel vorgeschlagen. Von 1951 bis 1963 übte er, mit kurzen Unterbrechungen zwischen 1957 und 1959, das Amt des Vertriebenenministers im Lande Niedersachsen aus. Niedersachsen war übrigens das Land in der Bundesrepublik Deutschland, in dem 800.000 Schlesier ein neues Zuhause gefunden hatten. Zu den ersten Akzenten, die nicht ohne Mitwirkung von Erich Schellhaus gesetzt worden sind, noch unter seinem Amtsvorgänger Pastor Heinrich Albertz, gehörte die Patenschaft des Landes Niedersachsen über die Schlesier und deren Landsmannschaft.

Als die Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien – 1955 einen neuen Bundesvorsitzenden zu wählen hatte, wurde Erich Schellhaus gewählt, und dieses Amt hatte er 13 Jahre bis 1968, bis zu seinem selbstgewählten Rücktritt, inne, während seine drei Vorgänger nur kurzfristig der Landsmannschaft Schlesien vorgestanden hatten.

Die großen, alle zwei Jahre stattfindenden Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover, Köln und München wurden von ihm, dem großartigen Redner, geprägt, und die führenden Köpfe der Politik erhielten das Wort, und das waren Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Erich Mende und Willy Brandt, damals als Kanzlerkandidat. Es war stets eine Zeit heftiger Auseinandersetzungen. Es sei nur an die Ausführungen des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle in der oberschlesischen Stadt Hindenburg erinnert, an die Errichtung der Mauer in Berlin, an deutsche Erklärungen zur Aufgabe eines friedensvertraglichen Vorbehalts, an Filmproduktionen, die zum heftigen Widerspruch herausforderten, oder an die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland des Jahres 1965.

Man muß sich in diese fast zwei Jahrzehnte hineinversetzen, um Wort und Tat von Erich Schellhaus angemessen beurteilen zu können. Zu Hunderttausenden waren die vertriebenen Schlesier zusammengekommen, vielfach in nicht unbegründeter Opposition zu den Ereignissen in unmittelbarer Umgebung und angesichts der zunehmenden Neigung, Rechtspositionen aufzugeben. Erich Schellhaus putschte nicht auf, redete nicht gefällig irgendwelchen Heißspornen nach dem Munde, sondern trug all die Argumente, die für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und die Wahrnehmung der nationalen Interessen in Anspruch zu nehmen waren, ebenso maßvoll wie engagiert vor. Die Vertriebenen sahen in ihm ihren Dolmetsch und Anwalt. Selbstverständlich wurde eine harte Auseinandersetzung mit all denen geführt, die das verlogene Schlagwort des Revanchismus im Munde führten, auch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und seinem sowjetischen Imperium jenseits von Elbe, Werra und Fulda wurde offensiv geführt. Nationalismus oder nationale Überheblichkeit konnte ihm niemand, die professionellen Mitläufer des Kommunismus ausgenommen, vorwerfen.

Es mag pathetisch klingen, wenn die Teilnehmer einer der großen Kundgebungen mit den Worten angeredet wurden: „Meine lieben schlesischen Landsleute, meine Mitkämpfer!“, aber es folgten Sätze der ruhigen Bedachtsamkeit und der geschichtlichen Verantwortung aus der Vergangenheit: „Wir übersehen keineswegs, daß wir gutzumachen haben, was im Namen Deutschlands an Unrecht geschah. Wir müssen der Welt deutlich machen, daß ihr jetzt ein anderes, ein durch Schuld und Leiden geläutertes Deutschland gegenübersteht; ein Deutschland, das nichts anderes will, als in einer sich nach Frieden, Freiheit und menschlichem Fortschritt sehnenden Welt den Platz einzunehmen, der ihm trotz des Unrechts, das es anderen zufügte, aufgrund seiner kulturellen und zivilisatorischen Leistungen und seiner Größe gebührt.“

Das gut begründet und überzeugend vorgetragene Nein galt dem gegenwärtigen Zustand der Teilung des Vaterlandes und jeglichem Verzicht auf das Recht des deutschen Volkes auf einen Friedensvertrag der Gerechtigkeit bezüglich der endgültigen Entscheidung über Schlesien. Zum deutsch-polnischen Verhältnis fielen dann die Worte: „Auf der Grundlage der Verständigung zweier Völker, unter Verzicht auf Gewalt, wollen wir den Zustand erreichen, der dem Recht und der Gerechtigkeit entspricht.“ Hier wurde, ohne es besonders zu betonen, der Gedankengang und das Postulat der Charta der deutschen Heimatvertriebenen aufgegriffen und bestätigt. Gelegentlich nannte er Kurt Schumacher, den Sozialdemokraten der ersten Stunde nach dem Ende des Krieges, als sein Vorbild ob seiner patriotischen Haltung, freiheitlichen Gesinnung und gleichzeitigen Standpunktfestigkeit, „im Ringen um die deutsche Wiedervereinigung wird sein Name unvergessen bleiben.“

Gern zitierte er das Wort des berühmten Juristen Rudolf von Ihering: „Das Ziel des Rechtes ist der Friede. Das Mittel dazu ist der Kampf. Alles Recht in der Welt – sowohl das Recht des Volkes, wie auch des Einzelnen – setzt die stete Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus.“ Aber er wußte auch Johann Wolfgang von Goethe in der rechten Weise zu zitieren: „Feiger Gedanken / bängliches Schwanken, / weibisches Zagen, / ängstliches Klagen, / macht dich nicht frei. / Allen Gewalten zum Trutz / sich erhalten, nimmer / sich beugen, kräftig sich zeigen / rufet die Arme der / Götter herbei.“

In vier Postulaten, denen jeweils ergänzende Sätze folgten, faßte er 1961 sowohl sein eigenes Handeln als auch die Aufgaben der Landsmannschaft Schlesien zusammen: „1. Wir müssen die Kraft, die Gewalt kennen, die uns entgegensteht, die die Würde des Menschen verachtet und seine Freiheit mit Füßen tritt. 2. Wir müssen uns in einem gesunden Nationalgefühl begegnen. Ich glaube nicht, daß wir zuviel davon besitzen. Aber es ist die wesentliche Voraussetzung für ein gesamtdeutsches Bewußtsein, daß unser Volk sich als Nation empfindet. 3. Wir müssen wissen, wie die Lage beurteilt werden muß, in der sich Deutschland in seinen Teilen heute befindet und zwar unter dem Gesichtspunkt des Völkerrechts oder zwischenstaatlicher Abmachungen. Wir haben eine gute Rechtsposition, und das ist das einzige, was wir den vollendeten Tatsachen im Osten unseres deutschen Vaterlandes entgegenhalten können. Unrecht bleibt Unrecht, und Zeit und Macht können kein Recht daraus machen. 4. Wir müssen unseren Standort im Gefüge der europäischen Völkergemeinschaft kennen und uns um Partnerschaft bemühen, nicht nur nach Westen sondern auch nach Osten.“

Widerspruch und heftige Attacken in den Medien erregte 1962 die Forderung von Erich Schellhaus, daß strafrechtlich angeklagt und verfolgt werden müsse, wer in der Öffentlichkeit dem Wiedervereinigungsgebot aus der Präambel des Grundgesetzes und der Forderung nach einem Friedensvertrag der Gerechtigkeit auch für das deutsche Volk widerspräche und Widerstand signalisiere. Die Entlassung aus dem Ministeramt der niedersächsischen Regierung wurde gefordert. Man sah darin eine Aufkündigung der Meinungsfreiheit, indem mit Strafparagraphen gedroht werde, andererseits bestätigt man Erich Schellhaus, daß er seinerseits das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch genommen habe und es jedermann freistünde, ihm zu widersprechen.

Als Staatsminister für die Probleme der Vertriebenen gehörte er bestimmt nicht zu den auf radikale und schnelle Lösungen der gesellschaftlichen Fragen revolutionär Drängenden, wohl aber zu denen, die alles angesichts der gegebenen Verhältnisse zum Besten der Betroffenen mit fester Hand vorantreiben und regeln wollten. Wiederholt wurde er darum auch zum Sprecher der zuständigen Ressortminister innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestimmt und in lenkende Positionen berufen.

In dem 1958 neu gegründeten Bund der Vertriebenen, ein Zusammenschluß der beiden großen Verbände ZvD/BvD und VdL, wurde Erich Schellhaus zum Vizepräsidenten gewählt. Dies hatte einmal seinen Grund in der Größe der Landsmannschaft Schlesien als der größten auf das Deutsche Reich bezogenen Landsmannschaft, zum anderen aber in seinem energischen Mitwirken an der Einheit der bislang konkurrierenden Organisationen der Vertriebenen. Der ZvD/BvD war vornehmlich auf die norddeutschen Bundesländer bezogen, der VdL hingegen auf Süddeutschland. Durch sein konziliantes Wesen, seine gern bemühte Bereitschaft, Widersprüche aufzulösen, Trennendes zusammenzuführen, Gegensätzliches durch Toleranz zu überwinden, zeichnete er sich aus. Es ist auch eine Bestätigung seines auf Ausgleich bedachten Wesens, daß ihm sowohl vom Sozialdemokraten Hinrich-Wilhelm Kopf als auch von dem Konservativen Heinrich Hellwege ein Ministeramt in den unterschiedlich zusammengesetzten Kabinetten übertragen worden ist. Er war kein Mann mit Ecken und Kanten, sondern ein Politiker, der in der verantwortungsvollen Mitarbeit und Zusammenarbeit in der noch so jungen Bundesrepublik Deutschland seine Aufgabe sah. Als er in seiner Partei, die sich inzwischen zur Gesamtdeutschen Partei/BHE gewandelt hatte, keine überzeugenden Zukunftsperspektiven und eine Verengung ihres Aufgabenfeldes sah, verließ der Mitbegründer des BHE seine Partei und wurde 1964 Mitglied der CDU in Niedersachsen.

Als ein Mann der ersten Stunde, und dies wird als Anerkennung für das engagierte Handeln nach 1945 verstanden, darf Erich Schellhaus bezeichnet werden. Einen Patrioten und Demokraten darf man ihn nennen. Daß das nur zu berechtigte Aufbegehren gegen das Unrecht der Vertreibung friedlich verlaufen ist, frei von jeglichem Nationalismus und irgendwelchen Rachegefühlen, daß die Integration der vertriebenen Deutschen in Staat und Gesellschaft gelungen ist, sollte mit als Verdienst von Erich Schellhaus rühmend bestätigt werden.

Die Bundesrepublik Deutschland zeichnete ihn 1961 mit der höchsten Klasse des Bundesverdienstordens, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband aus, die Landsmannschaft Schlesien verlieh ihm 1971 deren höchste Auszeichnung, den Schlesierschild. Am 19. Februar 1983 ist Erich Schellhaus in Hannover gestorben

Bild: Landsmannschaft Schlesien.

Herbert Hupka