Biographie

Schenk Gräfin von Stauffenberg, Nina

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Ehefrau des Widerstandskämpfers Claus Schenk von Stauffenberg
* 27. August 1913 in Kaunas/Russ. Kaiserreich, heute Litauen
† 2. April 2006 in Kirchlauter bei Bamberg

Die Frau des berühmten Widerstandskämpfers nur als Anhängsel ihres Mannes gelten zu lassen, würde ihre vorbehaltlose Identifikation mit der Bewegung und ihre starke eigenständige Persönlichkeit außer Acht lassen.

Elisabeth Magdalena (Nina) Schenk Gräfin von Stauffenberg wurde als Freiin von Lerchenfeld am 27. August 1913 im litauischen Kowno (Kaunas) geboren. Ihr Vater war Generalkonsul Gustav Freiherr von Lerchenfeld (1871-1944) aus freiherrlich fränkischem Geschlecht, ihre Mutter Anna Freiin von Stackelberg (1880-1945) aus baltischem Adel. Schon als junges Mädchen habe Nina Winnetou und Die drei Musketiere allen Mädchenbüchern vorgezogen, eine frühe Vorliebe für edelmütige Helden. Sie besuchte in Bamberg die Schule der Englischen Fräulein, danach das Mädcheninternat auf Schloss Wieblingen bei Heidelberg, dessen Leiterin Elisabeth von Thadden später als Mitglied einer Widerstandsgruppe von der Nazidiktatur ermordet wurde. Geprägt von einem relativ fortschrittlichen Geist kehrte Nina 1930 mit der Mittleren Reife nach Bamberg zurück, wo sie bereits mit 16 Jahren Claus Schenk Graf von Stauffenberg kennen lernte, der dort seine militärische Ausbildung fortsetzte. Ein Jahr später verlobte sich das Paar heimlich, am 26. September 1933 folgte in Bamberg die Hochzeit.

Innerhalb weniger Jahre wurde die junge Frau zur mehrfachen Mutter. 1934 wurde Berthold geboren, Heimeran 1936, Franz Ludwig 1938, Valerie 1940. Da ihr Mann seine militärische Karriere verfolgte und ständig unterwegs war, erzog sie die Kinder weitgehend allein, allerdings mit Hilfe von Hausangestellten und einer Kinderschwester. Als emanzipierte, gebildete und kunstsinnige Frau mit vielfältigen Sprachkenntnissen war sie kein Heimchen am Herd, sondern lehnte spießiges und kleinbürgerliches Verhalten ab und entsprach denkbar wenig dem von den Nazis propagierten Frauenbild. Die Kinder wurden nach der Tradition des Hauses Stauffenberg katholisch getauft und erzogen, obgleich sowohl Nina wie auch Claus von Stauffenbergs Mutter (geb. Üxküll-Gyllenband) evangelisch waren. Ihre Ehe führten die Stauffenbergs als Fernbeziehung, nur sporadisch konnte der begeisterte Vater auf ein Wochenende zu Besuch kommen, dennoch diskutierten die Partner über Politik, freilich nur dann, wenn der junge Wehrmachtsoffizier anwesend war, denn als Briefinhalt verbot sich jede Regimekritik.

Nina von Stauffenberg hat die erschütterte Loyalität ihres Mannes zum Hitlerstaat bereits 1938 nach der Annexion des Sudetengebiets gekannt. Sie war in seine Widerstandspläne eingeweiht, hat sie gebilligt und unterstützt. Die ebenbürtige Partnerin bestärkte ihren Mann in seiner zum Äußersten entschlossenen Opposition. Zudem ist sie etwa durch die Vernichtung konspirativer Unterlagen aktiv an den Vorbereitungen beteiligt gewesen. Sie kannte die Namen der Mitverschwörer, wusste von früheren Fehlschlägen und akzeptierte die Notwendigkeit eines für die ganze Familie hochgefährlichen Staatsstreichs. Wenn sie in ihrer Familienchronik dennoch erklärt, dass sie weder den Zeitpunkt des Attentats kannte noch wusste, wer es ausführen sollte, so bildet dies keinen Widerspruch demgegenüber. Sie lebte mit dem brisanten Geheimnis, ohne Einzelheiten zu kennen. Claus von Stauffenberg stand zwar im Zentrum des Widerstandes, hat aber erst spät den Entschluss gefasst, das Attentat selbst auszuführen.

Als der Gräfin am Vormittag des 25. Juli 1944 die Nachricht von der Hinrichtung ihres Mannes und anderer Mitglieder des Widerstands überbracht wurde, brach sie weder zusammen noch dachte sie an Flucht. Sie spielte die Rolle der Ahnungslosen und präparierte auch die Kinder auf eventuelle Verhöre dementsprechend: Naivität als Selbstschutz. Mit ihrem Mann hatte sie vereinbart, dass einer von ihnen den Kindern erhalten bleiben müsse.

Unmittelbar nach dem Fehlschlag des Attentats am 20. Juli 1944 und dem Scheitern der „Operation Walküre“ fanden über 7.000 Verhaftungen statt. Die meisten Widerstandskämpfer wurden hingerichtet, darunter Claus von Stauffenberg und sein Bruder Berthold. Über ihre Familien verhängte das Nazi-Re-gime im Rahmen der Aktion „Gewitter“ Sippenhaft, so auch über alle Träger des Namens Stauffenberg. Das Eintreffen der SS im Lautlinger Schloss zwei Tage nach dem Attentatsversuch kam für Nina von Stauffenberg nicht überraschend. Die Kinder wurden ihr entrissen und in einem Heim im thüringischen Bad Sachsa unter falschem Namen festgehalten. Die schwangere Mutter kam zuerst in das nahe gelegene Gefängnis von Rottweil, bevor sie drei Wochen lang im berüchtigten Berliner Gestapo-Hauptquartier verhört wurde. Unerschrocken und geistesgegenwärtig verriet sie nichts, was die Ermittler nicht ohnehin schon wussten, etwa Namen von Verwandten und Freunden. Anschließend folgte eine fünf Monate dauernde Einzelhaft im Konzentrationslager Ravensbrück. Als Frau ei-nes Verschwörers musste sie mit dem Tod rechnen. Mit verzweifelter Klarsicht verfasste sie deshalb während der Haft ihr Testament. Ihr Rezept gegen die Verzweiflung am Stumpfsinn der Isolationshaft war unbedingter Lebenswille. Das werdende Kind veranlasste sie zu strikter Selbstdisziplin. Sie blieb so tätig wie möglich, memorierte Musik und Literatur, legte Patiencen. Auch der Glaube war ihr eine Hilfe. Kurz vor dem Entbindungstermin wurde sie aus dem KZ entlassen und in ein Krankenhaus in Frankfurt an der Oder verlegt. Dort brachte sie ihr fünftes Kind – Konstanze – am 27. Januar 1945 zur Welt und gab dabei einen falschen Namen an, eine Vorsichtsmaßnahme. Einige Tage später starb ihre Mutter Anna im Strafvoll-zugslager Danzig-Matzkau an Typhus. Seitens der NS-Führung gab es Pläne, die jüngsten Kinder der Verschwörer von parteitreuen Nazi-Familien adoptieren zu lassen. Das baldige Kriegsende bewahrte sie vor diesem Schicksal. Nach einer Odyssee durch verschiedene Gefängnisse, Krankenhäuser und ein Konzentrationslager wurde die Mutter mit dem Säugling unter stän-diger Bewachung durch einen Feldgendarmen bei Kriegsende nach Franken verschleppt und kam dort schließlich frei.

Das erste Lebenszeichen von ihren Kindern erhielt die Gräfin nach fünf Monaten von ihrer Schwägerin Melitta von Stauffenberg, die durch ihre Verbindungen als Testpilotin manche Erleichterung arrangieren konnte. Alle von Ninas Kindern hatten die NS-Zeit überlebt. Die Familie versammelte sich auf dem Stauffenbergschen Sitz Schloss Lautlingen (heute ein Stadtteil von Albstadt) mit Mutter und Großmutter und wuchs langsam wieder zusammen. Dort stand sie in bestem Ruf, erfuhr vielfach Hilfe aus der Dorfgemeinschaft und wurde nicht als Familie eines Volksverräters diffamiert. Eine neue Existenz musste ohne Männer aus dem Trümmerfeld der Vergangenheit aufgebaut werden. Über Jahre versuchte Nina von Stauffenberg, ihr Haus in Bamberg wieder so herzustellen, wie es zur Zeit ihrer Ehe ausgesehen hatte, konnte große Teile des beschlagnahmten und geraubten Inventars aufspüren, das zur familiären Identität gehörte, und zog dann nach acht Jahren 1953 mit ihren Angehörigen ein. Dies gehörte für sie zur Bewältigung der Vergangenheit, während sie mit eiserner Contenance nie über ihre seelischen Verletzungen sprach, sondern sich in dem turbulenten Haushalt zurückzog. In der Nachkriegszeit versuchte sie, die Kontakte zwischen den stationierten Amerikanern und der Bevölkerung zu verbessern. Auch für den Denkmalschutz machte sie sich stark zu einer Zeit, als das noch fast ein Fremdwort war. Am 27. September 1968 war sie Mitbegründerin einer Gemeinschaft zum Schutz der Bamberger Altstadt. 1993 wurde sie von der Stadt Bamberg für ihr Engagement mit der Ehremedaille ausgezeichnet und 2003 zum Ehrenmitglied ihrer Schutzgemeinschaft ernannt. 1983 erhielt sie das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und im Jahr 2000 für soziale Verdienste die Bayerische Staatsmedaille.

Die breite öffentliche Anerkennung des deutschen Widerstandes ließ nach Kriegsende lange auf sich warten. Bundespräsident Theodor Heuss sprach 1954 bei einer Gedenkfeier zu Ehren des 20. Juli erstmals vom „anderen Deutschland“. Für die Frauen des Widerstands interessierten sich ohnehin nur wenige. Nach Interviews, die Nina von Stauffenberg gab, fühlte sie sich missverstanden und falsch zitiert. Kaum jemand hat sie als Zeitzeugin zu Lebzeiten ernst genommen. Hatte der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, am 3. August 1944 angekündigt: „Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied“, so konnte die Greisin ihren 90. Geburtstag sechzig Jahre später im Kreis von 43 Nachkommen feiern. Nachdem sie ihren Mann nahezu 62 Jahre überlebt hatte, starb Nina von Stauffenberg am 2. April 2006 im Alter von 92 Jahren, spät genug, um mit Empörung noch zu erleben, wie verfälscht ihr Leben in einem ARD-Fernsehfilm von Jo Baier aus dem Jahr 2004 dargestellt wurde. Dort erscheint sie als das Gegenteil einer gleichwertigen Partnerin, nämlich als desinteressierte und mürrische Frau, die ihren Mann mit Vorwürfen überschüttet, sich zu wenig um seine Familie zu kümmern. Dies war zwar in etwa die Rolle der unbedarften Hausfrau, die sie den Nazi-Schergen auf Anweisung ihres Mannes vorgespielt hatte. Dahinter verbarg sich aber eine Frau mit außerordentlicher Charakterstärke, die unerschütterlich zu ihrem Mann stand und nach dessen Tod – wie die anderen Witwen des 20. Juli – nicht wieder heiratete. Noch die Greisin fühlte sich verkannt und auf das alte Klischee von den glorreichen Männern und den blassen Frauen herabgesetzt. Besser hätte sie sich wohl in „Valkyrie“ getroffen gesehen – wäre es ihr noch vergönnt gewesen –, in dem Hollywood-Film, der im Jahr 2009 in den USA in die Kinos kam und in dem sie als standhafte Mitwisserin porträtiert ist.

Konstanze von Schult­hess, Nina von Stauffenbergs jüngstes Kind, hat ihrer Mutter mit der Empathie einer liebevollen Tochter ein biografisches Denkmal gesetzt, hat sie als unentbehrliche Figur im Hintergrund des Widerstands dargestellt, aber auch ihr Leben in der Nachkriegszeit zugänglich gemacht. In erster Linie stützte sich die Autorin dabei neben eigenen Erinnerungen an Erlebnisse und Gespräche auf Briefe und Dokumente, vor allem drei Schriftstücke von der Hand ihrer Mutter: das in der Haft verfasste Testament, weiterhin das ebenfalls im KZ geschriebene Gedicht Unser Papi – ein Zeugnis ihrer trotz Hitlers Rache ungebrochenen Loyalität zu Gesinnung und Tat ihres hingerichteten Manns – sowie die unveröffentlichte, zweihundert Seiten umfassende Familienchronik, die Nina von Stauffenberg in den 60er Jahren für ihre Kinder schrieb. In den zahlreichen Zitaten der Tochter wird dieses aufschlussreiche Zeitdokument für Außenstehende erstmals fassbar. Es korrigiert nicht nur die Ansicht mancher Biografen, dass Claus von Stauf­fenberg erst 1942 zum Regimegegner wurde, sondern beleuchtet auch Nina von Stauffenberg als gleichermaßen entschlossene Widerständlerin.

Lit.: Konstanze von Schulthess, Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt, Pendo Verlag, Zürich und München 2008, 224 S.

Bild: Ebd., Umschlag

Stefan P. Teppert, 2017