Biographie

Schichau, Ferdinand

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Maschinenbauingenieur, Industriepionier
* 30. Januar 1814 in Elbing/Westpr.
† 23. Januar 1896 in Elbing/Westpr.

Die Familie Schichau (Zichau, Czichau, Szigall) stammt aus dem Elbing benachbarten ostpreußischen Landkreis Preußisch Holland. Dort waren die Schichaus seit Generationen Bauern. Südöstlich der späteren Kreisstadt Pr. Holland war die große Familie in sechs Kirchspielen und den dazugehörenden 16 Dörfern mindestens in vier Generationen ansässig, als Gottlob Ferdinand Schichau geboren wurde. Seinen Vater hielt es nicht auf dem Lande. Der Maurer wurde in Elbing selbständiger Gelbgießermeister – Hersteller von Messingteilen – und Mechanikus beim Eichamt. Er galt als tüchtig und kenntnisreich, obwohl er des Schreibens unkundig war. Von ihm  –  so wird angenommen – erbte Ferdinand Schichau seine technische Begabung und von seiner Mutter, der Tochter des Kornmessers Peter Lenk, "die ingenieurmäßige und konstruktiv-rechnende Befähigung" (E. Westphahl).

Nach dem Besuch der Elementarschule gab der damals bereits 65 Jahre alte Vater den Sohn in eine Schlosserlehre. Dort sollte er auf die Übernahme des väterlichen Betriebes vorbereitet werden. Ferdinand Schichau drängte es allerdings zu mehr. Noch als Lehrling baute er ein betriebsfähiges Modell einer Dampfmaschine. Sein Meister war von dieser Leistung beeindruckt und veranlaßte im November 1831 die Vorführung der kleinen Maschine im Gewerbeverein der Stadt. Die Herren des Elbinger Gewerbevereins waren begeistert und erbaten mit Erfolg vom König von Preußen für den Elbinger Bürgerssohn ein Freistudium am Königlichen Gewerbeinstitut. Vorher, nach abgeschlossener Lehre, besuchte der Schlossergeselle zur Vorbereitung einige Monate die Latein- und auch die Gewerbeschule in Elbing.

Das Studium in Berlin begann am 1. April 1832 und war infolge der etwas lückenhaften Vorbildung mit einigen Anfangsschwierigkeiten verbunden, die der achtzehnjährige Elbinger aber bald überwunden hatte. Knapp drei Jahre später erhielt der Student für das "Entwerfen von Maschinen" den Ersten Preis. Eine besondere Auszeichnung bedeutete die fast zweijährige Beschäftigung des jungen Maschinenbauers von 1835 bis 1837 in den Metallwerkstätten des Gewerbeinstituts. Anschließend wanderte er mit Unterstützung seines Elbingers Gönners Ignaz Grunau wie ein Handwerksbursche über Hannover ins Rheinland und von dort nach London. Er lernte viele Betriebe und das damals klassische Land des Maschinenbaus kennen: England. Dort besuchte er auch Theater und Konzerte und beschäftigte sich intensiv mit der Sprache des Gastlandes. Von dieser Reise kehrte der Dreiundzwanzigjährige bereits im Herbst 1837 nach Elbing zurück und machte sich dort auf des Vaters Grundstück, neben der Gelbgießerwerkstatt, selbständig. Als Gründungstag gilt der 4. Oktober 1837. Damals erschien in den Elbinger Anzeigen ein Inserat, in dem er sich, seine Ausbildung und alles vorstellte, was er produzieren wollte. Das Inserat trug die Überschrift "Maschinenbau-Anstalt". Er versprach in diesem Inserat viel und dies an einem Standort, der 400 Kilometer entfernt von den Industrien in Mittel- und Westdeutschland war. Aber Ferdinand Schichau erreichte in seiner fast sechzigjährigen Unternehmertätigkeit von 1837 bis 1896 noch weit mehr. Er schuf sechs Betriebe: in Elbing die Maschinenbauanstalt (1837), die Schiffswerft (1854), die Dampfschiffs-Reederei, (1887) und in Ostpreußen die Reparaturwerkstätte Pillau (1892). Mit dem Lokomotivbau hatte er bereits 1859 begonnen und 1860 seine erste Lokomotive "Fulda" abgeliefert. Ferdinand Schichau baute Kraftmaschinenund für den ländlichen Bereich Arbeitsmaschinen – und zwar für das Getreide- und Holzgeschäft sowie das Brauereigewerbe.

Drei Jahre nach der Firmengründung hatte Schichau im eigenen Betrieb die erste Dampfmaschine gebaut, ein Jahr später, 1841, eine andere für den ersten Dampfbagger Deutschlands zum Antrieb des Baggerwerkes, der bei Mitzlaff in Elbing entstanden war. Von der preußischen Kriegsmarine erhielt er 1852 den ersten Auftrag, Bestandteile für die Maschine der Radkorvette "Danzig" zu bauen. Im Jahre 1855 verließ die 1.000 Dampfmaschine sein Werk, und es fand auf seiner Elbinger Werft der Stapellauf des ersten im Königreich Preußen hergestellten eisernen Seeschraubendampfers statt. Gleichzeitig gründete er eine Betriebskrankenkasse. 1872 stellte Schichau die erste Verbund-Räderschiffsmaschine vor. Fünfzig Jahre nach der Firmengründung wurde der Industriepionier Ostdeutschlands Geheimer Komerzienrat und Ehrenbürger der Stadt Elbing. Das 1889 an Rußland gelieferte Kanonenboot "Adler" erwies sich mit 28.4 Knoten als das schnellste Schiff der Welt. 1891 wurde das 500. Schiff bei Schichau gebaut. Der erste Stapellauf auf der neuen Großwerft in Danzig, der der Kreuzerkorvette "Gefion", fand am 31. Mai 1893 in Anwesenheit des Kaisers statt. Der Norddeutsche Lloyd bestellte im selben Jahr die Großbauten "Prinzregent Luipold" und "Prinz Heinrich".

Damals zählte Ferdinand Schichau, der eine in Aussicht genommene Nobilitierung mit betonter Höflichkeit ablehnte, zu den 48 am höchsten eingeschätzten Steuerzahlern im Deutschen Reich, die alle ein Einkommen zwischen ein bis zwei Millionen Mark hatten. Sein Einkommen betrug 1.455 Millionen Mark. Er stiftete im Laufe seines Lebens viel Geld für soziale Einrichtungen und sportliche Anlagen in Elbing. Als er 1896 starb, betrug das Privatvermögen des Mannes, dessen Vater nicht schreiben gelernt hatte, 30 Millionen Mark. Als 1884 ein Großbrand viele Werkstätten am Elbingfluß vernichtet und die Menschen mit Entlassungen gerechnet hatten, hat Schichau niemanden entlassen. Schichau führte die Nachtschicht ein und verlagerte einen Teilder Arbeit vom Werftgelände zur Lokomotivfabrik. Als erstarb, zählten die Schichaubetriebe rund 4.000 Beschäftigte. Zu Schichaus Lebzeiten sind in seinen Werken 800 Lokomotiven und 50 Bagger gebaut worden, 500 Handelsschiffe, die an fast 160 Besteller in Deutschland, Osteuropa und an überseeische Länder gingen, und 180 Torpedoboote, von denen 80 die Kaiserliche Marine kaufte. Es wurden ungefähr 1.650 Dampfmaschinen und 1.850 Dampfkessel hergestellt.

Seinem Nachfolger und Schwiegersohn Carl Ziese hinterließ Schichau ein blühendes Unternehmen. Seinen plötzlichen Tod 1917, die schwere Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der Tod von Zieses Schwiegersohn und Nachfolger Carl Carlson 1924 überstand es freilich nur durch Übernahme durch das Reich und den Freistaat Preußen; es entstand 1929 eine GmbH. Im Jahre 1944 beschäftigten die Schichau-Werke in Elbing, Danzig sowie in Königsberg (Pr.) 44.000 Menschen. Der Königsberger Betrieb ging auf die Union-Gießerei zurück, ein mit Schichau rivalisierendes Unternehmen, das im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1930 hatte geschlossen werden müssen. Und 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Nachfolgebetriebe der F. Schichau AG. in Elbing, die Elzam AG und die ABB-Zamech GmbH, in Danzig die Danziger Werft (zusammen mit der alten Danziger Werft), noch immer die größten Arbeitgeber in diesen inzwischen zur Republik Polen gehörenden Städten. In Deutschland lebt der Name des alten Elbinger Unternehmens im Firmennamen der Schichau Seebeckwerft in Bremerhaven fort und ist in der Fachwelt noch immer ein Begriff für Qualität und Zuverlässigkeit.

Lit.: Eberhard Westphahl: Ferdinand Schichau, Essen, 1957. –  Carl Matschoß: 100 Jahre Schichau im Rahmen der ostdeutschen Industriegeschichte, Elbing, 1937.  –  Emil Krüger: Die Schichau-Werke, Elbing, 1937. – Hans-Jürgen Schuch: Die Schichau-Werke und ihr Gründer; Elbing. Aus 750 Jahren Geschichte der Ordens-, Hanse- und Industriestadt, Berlin/Bonn, 1989.  –  – Hans-Jürgen Schuch: Ferdinand Schichau und sein Werk, Münster i.W. o. J. –  E. Carl Matschoß/A. Biehl: 100 Jahre Schichau 1837-1937. Elbing 1937. –  Die Schichau-Werke in Elbing, Danzig und Pillau 1837-1912. o.V., o.O., o.J. (1912).

 

    Hans-Jürgen Schuch