Biographie

Schiedel, Richard

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 16. März 1890 in Breslau/ Niederschlesien
† 28. August 1954 in Weissenau, Kr. Ravensburg

Richard Schiedel wurde zum Lehrer an Volksschulen ausgebildet. Seine Jugendjahre erlebte er in der schlesischen Landeshauptstadt, in Namslau und im oberschlesischen Oberglogau. Neben seiner Arbeit als Lehrer schrieb er in seiner feinen Sütterlinschrift Verse und bevorzugte die Kleinschreibung. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich freiwillig und wurde Soldat. Danach erhielt er Lehrerstellen in Ostoberschlesien, wo er in die Unruhen der Abstimmungskämpfe geriet und folgenreich verwundet wurde.

In seinem letzten Bändchen mit dem Titel ein mund bläst auf der weltschalmei, das er im Jahr 1949 im Selbstverlag in einer Auflage von 300 Exemplaren auf schäbigem Nachkriegspapier gedruckt, herausgab, notierte er seinen Lebenslauf wie folgt:

„…er wurde am 16. märz in breslau geboren, ging 1914 kriegsfreiwillig, am toten mann ward ihm der arm zerschossen, nach dem krieg opfer eines bahnüberfalls durch die bujoka polska in morgenroth, später jahrelang für hitler, seit 33 von ihm enttäuscht, seit 1938 gegen ihn. pazifist, real- demokrat- individual – sozialist, seit 1920 protestantisch, seit 1938 wieder katholisch, jugend in breslau, namslau, oberglogau, dann an der russischen grenze und im oberschlesischen industriebezirk. lebte später in nordthüringen, zuletzt in franken. seit 1939 wieder in schlesien bis zu dessen verlust, seitdem in restdeutschland… schrieb hauptsächlich lyrik, fand für seine zyklen den schiedelschen wölbebogigen zwölfzeiler, eine art sonett, sonst von formaler vielfalt…“

Von den insgesamt 20 Gedichtbänden, die im Laufe seines Lebens erschienen waren, überstand nur eines mit dem Titel „Glut und Flamme“ Krieg und Vertreibung. Alle anderen sind verloren. Aber in diesem und aus der äußerlich unscheinbaren Nachkriegssammlung seiner Gedichte kann man die dichterische, expressionistische Stärke, die Aussagekraft und Eigenständigkeit seines Schaffens erkennen und ermessen, welche Verluste er zu verwinden suchte.

Dass er im Naziregime als Lehrer nicht tragbar war, wird bereits im obigen kurzen Zitat klar. Mehrfach hat er es in seinen Gedichten ausgesprochen. Nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst würden ihm künftig anzurechnende Dienstjahre fehlen. Seine spätere Rente fiel folglich schmal aus. Nach einigen Jahren, die er in Thüringen verbrachte, kehrte er in seine Heimat zurück.

Ab 1941 fand er in der schönen niederschlesischen Landschaft zwischen dem Eulengebirge und dem Waldenburger Bergland eine preiswerte Bleibe mit Familienanschluss bei freundlichen Leuten im Mühlbachtal an der Talsperre. Von deren drei Söhnen lag ihm der jüngste, der ihn olu nannte, besonders am Herzen. Ihm hat er manchen seiner Verse gewidmet. Mit dieser Familie schloss er sich im bitterkalten Winter 1945 dem Treck an, mit dem die Menschen vor der anrückenden Roten Armee über die Höhen des Riesengebirges westwärts flohen. Richard Schiedel habe mit lustigen und komischen Reimen die Kinder von gefährlichen Situationen abgelenkt, sie erheitert und zum Lachen gebracht. Sie hätten diese Verse immer wiederholt und wären dabei vorangekommen, ohne die Gefahren ringsum zu bemerken. So erzählte ein Zeitzeuge nach Jahrzehnten und wie gut ihm und den anderen Kindern diese ungewöhnliche Begleitung getan hätte. Doch im herrschenden Chaos der Flüchtenden verlor Richard Schiedel seinen Treck und mit ihm „seine Familie“. Er geriet mehrmals in die Fänge der Siegerhorden, wurde ausgeplündert, beraubt und misshandelt. Er gab die Suche nach „seiner Familie“ nicht auf. Glücklicherweise fand er sie wieder und landete nach einigen Irrwegen bei ihr in Seelbach im Siegerland.

Durch die Presse erfuhr er 1950 von der Gründung des „Wangener Kreises – Gesellschaft für Literatur und Kunst: Der Osten“ und dass in Wangen im Allgäu zusätzlich eine „Schlesische Künstlersiedlung“ im Entstehen sei. Richard Schiedel hoffte, dort den Anschluss an seine alten Freunde, an künstlerische Kreise und vielleicht sogar ein Zuhause zu finden. Auf gutes Glück bauend, reiste er ins Allgäu. Wie ein aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Entlassener habe er gewirkt, erzählte man sich später.

Der früher in Oppeln wirkende Buchhändler Carl Ritter und seine Familie hätten ihn als den „schlesischen Erzpoeten“ wie er genannt wurde, wiedererkannt, ihn zunächst aufgenommen und verpflegt, doch sein Traum, in der Künstlersiedlung aufgenommen zu werden, ging nicht in Erfüllung. Er musste zunächst nach Seelbach zurückkehren.

Hartnäckig verfolgte Schiedel jedoch sein Ziel, künftig unter Gleichgesinnten zu leben und wieder mit künstlerischen Menschen in Gedankenaustausch zu kommen. 1951, als in Wangen die größte Wohnungsnot überstanden war, bezog er in der Altstadt ein Mansardenzimmer im Haus einer freundlichen Frau. Nach und nach gehörte Richard Schiedel zu Wangens Stadtbild. Die einen nannten ihn einen armen Poeten, den Vertreter einer brotlosen, wenn nicht gar nutzlosen Kunst, die anderen lobten seine neu entstehenden Dichtungen. Mit folgenden Versen charakterisierte er sich selbst:

„ein echter schiedel mag im trott nicht traben,
er muß für sich sein und sein gottlicht haben.“

Der kunstsinnige Landrat Walter Münch und Wangens aufgeschlossener Bürgermeister Wilhelm Uhl schätzten ihn wegen der Qualität, Originalität und dem ganz eigenen Stil seiner Verse. Bald durfte er in Wangen seine erste Dichterlesung halten. Auch bei seinen Landsleuten und den Künstlern unter ihnen fand er Anerkennung und freundliche Hilfsbereitschaft. Mehrmals sendeten einige Rundfunkanstalten seine Lyriklesungen. In einigen Anthologien der Nachkriegszeit wurden seine Gedichte veröffentlicht.

Doch Richard Schiedel fand in seinem, nun über 60 Jahre dauernden Leben, das vom Leiden, seiner Behinderung, dem Verlust seiner Heimat und seiner gesamten Habe, vor allem aber durch sein verlorenes Lebenswerk geprägt war, keine Kraft mehr zu einem echten Neubeginn. Was er vergessen wollte, bedrängte ihn weiterhin. Sein übermäßiger Alkoholkonsum ruinierte schließlich seinen Körper und seinen Geist so stark, dass er in das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau bei Ravensburg eingeliefert werden musste, wo er am 28. August 1954 starb.

Wie viele andere Flüchtlinge und Vertriebene war er dankbar dafür, in Wangen so gut aufgenommen worden zu sein. Dass er trotz seiner Sucht zuletzt seinen Frieden gefunden hatte, drücken seine späten Verse aus:

„leg ab die müden schuhe/ und träum in kühler truhe/ den traum der großen ruhe,/ ruh aus in gott und dir! / nun bist du in der landschaft der großen wahlverwandtschaft, noch lächelnd der bekanntschaft des alten einst und hier.“

Seine letzte Ruhestätte fand der Dichter auf dem Wangener Friedhof Sankt Wolfgang. Freunde und Dichterkollegen stifteten sein Grabmal, in das die Worte eingraviert waren:

Richard Schiedel – Poeta Laureatus Silesiae

Bild: Archiv des Wangener Kreises.

Monika Taubitz