Biographie

Schindler, Oskar

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Industrieller
* 28. Juni 1908 in Zwittau/Mähren
† 9. Oktober 1974 in Hildesheim

Wer war Oskar Schindler? Zumindest seit dem Erscheinen des Kinofilms Schindlers Liste 1993/94 ist dieser Name in unserer Gesellschaft nicht mehr so fremd, wie es jahrzehntelang der Fall war. Bedauerlicherweise wusste bis dahin nur ein sehr begrenzter Personenkreis Genaueres über seinen Träger. Bemüht man sich heute um eine Antwort auf die Frage, stößt man immerhin auf viele Publikationen. Dies zeigt das gestiegene Interesse an Oskar Schindlers Leben. Deutlich wird aber auch, dass es sich bei ihm um eine äußerst schwer zu fassende, weil sehr widersprüchliche Persönlichkeit handelt, die meist zwischen extremen Polen changierte. Ausnehmend gute Charakterisierungen liefern uns Gernot Facius in der Schindler-Dokumentation von Walter Haupt sowie Mietek Pemper und Dieter Trautwein in ihren Büchern über den Porträtierten. David Crowe stellt ihn und sein Umfeld bis dato am ausführlichsten und fundiertesten vor.

Oskar Schindler wurde am 28. April 1908 in der mährischen Stadt Zwittau geboren. Als Sohn des Versicherungsagenten und Landmaschinenvertreters Johann (Hans) Schindler und dessen Ehefrau Franziska geb. Luser, einer Tagelöhnerin, wuchs er mit einer Schwester in einfachen Verhältnissen auf. Nach Volksschulzeit und abgebrochener weiterführender Schulbildung arbeitete er zusammen mit dem Vater im kaufmännischen Bereich. Danach war er im mährischen Raum Vertreter in der Elektro- und Versicherungsbranche, zeitweise auch Fahrlehrer. Schon früh hatte er – sowohl herkunftsbedingt als auch wegen seines unorthodoxen Lebensstils – einen recht zweifelhaften, eher schlechten Ruf unter seinen Landsleuten. Schnelle Motorräder und noble Autos, Beziehungen zu Frauen und dubiosen Zeitgenossen, charmant-mondänes Auftreten, Genusssucht und Alkohol – das war seine Welt. Abenteuerlust gekoppelt mit opportunem Pragmatismus, aber auch Toleranz, Großherzigkeit und nicht zuletzt Warmherzigkeit mit Gespür für Recht und Unrecht kennzeichnete sein Handeln, insbesondere in seiner „Hochzeit“. 1928/30 war Schindler beim tschechischen Militär. Danach litt auch er unter den Folgen der Wirtschaftskrise, die das Sudetenland besonders stark betraf. Zeitweilige Arbeitslosigkeit und wechselnde Gelegenheitsjobs prägten sein Leben jener Jahre. Damals kam er in Kontakt mit Angehörigen des reichsdeutschen Geheimdienstes. Die Aussichten auf schnelle und gute Verdienstmöglichkeiten ließen ihn dort zum Mitarbeiter werden. So war er ab 1935/36 für die „Abwehr“ tätig. Prädestiniert durch seine bisherigen Geschäftsreisen, seine Kontaktfreudigkeit und die Beheimatung im Grenzgebiet dreier Länder, führte er in den Folgejahren teils riskante Aufträge für das Deutsche Reich und damit gegen sein Heimatland Tschechoslowakei, aber auch gegen Polen aus. Große Unterstützung fand er schon damals bei seiner Frau Emilie geb. Pelzl aus Alt-Moletein, mit der er seit März 1928 verheiratet war. Im Juli 1938 von den tschechischen Behörden enttarnt und zu einer empfindlichen Gefängnisstrafe verurteilt, wurde er im Vorfeld der Okkupation des Sudetenlands durch Nazideutschland im Oktober 1938 amnestiert. Danach konnte er unbehelligt weiterarbeiten.

Von jeher gab sich Schindler als deutschfreundlicher Patriot, nie aber als parteipolitisch aktiver Mensch. Trotzdem trat er, der Tendenz in seiner Heimat folgend und der NS-Propaganda vertrauend, zwischen 1935 und 1938 der sudetendeutschen Partei (SdP) und 1939 der NSDAP bei. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen wollte er im Generalgouvernement als Geschäftsmann Karriere machen, vorrangig, um schnell Geld zu verdienen, aber auch, um dem Kriegsdienst in der deutschen Armee zu entgehen. Zunächst übernahm er als Pächter, ab 1942 dann als Eigentümer einen in Konkurs gegangenen Kleinbetrieb in Krakau. Unter dem neuen Namen Deutsche Emailwarenfabrik expandierte dieses Unternehmen rasch. Schindler stieg damit in eine kriegswichtig werdende Branche ein. Mit Hilfe eines der ehemaligen jüdischen (!) Eigentümer betrieb der Jungunternehmer schon bald sehr lukrative Geschäfte, insbesondere auf dem polnischen Schwarzmarkt. Zusätzlich verhalfen ihm seine guten Kontakte aus der Zeit als Agent und Vertreter zu Aufträgen, insbesondere vom Militär. Neben Geschirr produzierte er später auch Munitionsteile. In kürzester Zeit gelangte er zu ansehnlichem Wohlstand, was seinem bisherigen Lebenswandel sehr entgegenkam, ihn aber auch für andere interessant machte.

Bedingt durch seine wirtschaftlichen Ambitionen, stand Schindler zwangsläufig bald in stetem Kontakt mit Vertretern des Naziregimes. Als er dadurch auch immer tieferen Einblick erhielt, etwa in die grausamen Abgründe der NS-Machtpolitik, und deren Facetten hautnah erlebte, speziell beim Umgang mit Juden und Zwangsarbeitern, setzte in ihm ein allmählicher Umdenkprozess ein. So bemühte er sich bei der Räumung des Krakauer Ghettos 1943 erfolgreich um jeden seiner Fabrikarbeiter; ihnen allen drohte ein schlimmes Schicksal als Häftling im neu errichteten KZ Płaszów. Auch jetzt nutzte Schindler seine guten Beziehungen zu hohen Funktionsträgern in Verwaltung, SS, Militär und Partei. Durch äußerst raffiniertes, umsichtiges Taktieren, insbesondere aber dank einer außergewöhnlichen Zivilcourage gelang es ihm, seinen Untergebenen Unterkunft auf firmeneigenem Terrain zu verschaffen. Damit bewahrte er diese Menschen vor den alltäglichen, meist willkürlichen Gewaltakten brutaler NS-Funktionäre. Für ihn z.T. höchst riskante Bestechungs- und Täuschungsmanöver waren bei diesen Rettungsmaßnahmen nicht selten. Auch in der Folgezeit konnte Schindler dadurch Übergriffe auf „seine Leute“ verhindern. Als sich Ende 1944 die Kriegslage für Deutschland rapide verschlechterte, wurde das KZ Płaszów aufgelöst und die mittlerweile als siegentscheidend eingestufte Fabrik in Teilen in den sichereren Westen Deutschlands verlegt. Damals entstand die berühmt gewordene Liste. Auf ihr standen diejenigen Menschen, die „mitgenommen“ und damit vor der Vernichtung gerettet wurden. Erneut schaffte es der Unternehmer, gegen vielfachen, teils heftigen Widerstand, diese Aktion ganz nach seinen Plänen durchzuführen. Ohne Verluste an Menschenleben verlagerte er sein Werk in die mährische Kleinstadt Brünnlitz. Der neue Standort bot darüber hinaus im Januar 1945 noch einmal fast 100 weiteren Häftlingen aus anderen Arbeitslagern das Refugium zum Überleben. Schindlers kompromissloser, veränderter Einstellung und Handlungsweise, aber auch dem selbstlosen Einsatz seiner Ehefrau Emilie (1907-2001), verdankten gut 1.200, meist jüdische Menschen ihr Überleben. Insbesondere sie kümmerte sich damals rührend und nicht minder mutig um Versorgung und Schutz der Entrechteten. Noch bis Kriegsende konnten die Schindlers den Behörden einen funktionsfähigen Rüstungsbetrieb vorgaukeln. Gerade in der Endphase des Krieges verschonte jene Taktik sie alle vor unkalkulierbaren Eingriffen des Regimes. Für die Rettungsmaßnahmen setzten die Eheleute letztendlich ihr gesamtes Vermögen ein.

Vor der Sowjetarmee flüchteten sie am 9. Mai 1945 fast mittellos nach Bayern. Über Konstanz gelangten Oskar und Emilie Schindler zunächst nach Regensburg, wo sie etwa vier Jahre lang wohnten. Mehrfach bemühte er sich um die Wiederaufnahme der seriöseren Tätigkeiten seiner Vorkriegslaufbahn – jedoch immer wieder vergeblich. Enttäuscht verließen schließlich beide Eheleute im September 1949 Europa. In der Auswanderung nach Argentinien sahen sie bessere Chancen zum Aufbau einer neuen Existenz. Tatkräftige Unterstützung, d.h. stetige und wohlwollend gewährte finanzielle wie logistische Hilfe, erfuhren sie nun durch jüdische Privatleute und Organisationen. Sie halfen ihnen z.B. beim Aufbau einer Pelztier- und Geflügelfarm in San Vicente. Doch erneut scheiterten die Schindler’schen Projekte. Nachdem sich das Paar zwischenzeitlich immer mehr auseinandergelebt hatte, kehrte Oskar im Juli 1957 alleine nach Deutschland zurück, um dort u.a. seinem Lastenausgleichsverfahren nachzugehen. Er wurde in Frankfurt am Main sesshaft – ohne seine Frau. Erneut versuchte er sich während der nächsten Jahre als Unternehmer, blieb aber immer erfolglos. Tragischerweise scheiterten alle seine Projekte schnell, nicht zuletzt deshalb, weil er stets hochfliegende Pläne verfolgte, aber nicht angemessen wirtschaften konnte. Das Lastenausgleichsverfahren zog sich lange hin. Auch daraus erwuchs ihm kein Geld für weitere Investitionen. Nicht nur aus monetären Gründen hielt er in dieser Zeit ständig Kontakt zu jüdischen Organisationen. Auf Grund seiner Vergangenheit sah er sich zunehmend als idealen Brückenbauer für den Staat Israel. Gleichzeitig setzte eine Legendenbildung um seine Person ein. Mit großem Engagement beteiligte er sich an jüdischen Projekten. Im Gegenzug bemühten sich die einst von ihm Geretteten immer wieder nach Kräften um sein materielles Wohlergehen. Außerdem ehrten sie ihren ehemaligen Beschützer für sein Tun in der NS-Zeit, so 1962 mit dem hohen TitelGerechter unter den Völkern. Gerade dies war in Deutschland auffallend lange nicht und später nur sehr zögerlich, nie aber nachhaltig der Fall. Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz 1966 und der katholische Silvesterorden 1968 verschafften Schindler zwar kurzfristig bescheidenen Ruhm und würdigten sein mutiges Engagement im Dritten Reich noch zu Lebzeiten. Eine dauerhaft tragfähige, insbesondere finanzielle Unterstützung blieb ihm aber, der bald in zwei Welten lebte, ebenso versagt, wie eine existenzsichernde Popularität. Erst ab 1967 erhielt er regelmäßige Ehrenbezüge von Stadt, Land und Bund. Dennoch schaffte er es selbst nie, sich aus seiner wirtschaftlichen Misere zu befreien. Zwei lukrativ erscheinende Filmprojekte über sein Leben scheiterten. Nur wenige Personen kümmerten sich in den letzten Lebensjahren wirklich um ihn. Oskar Schindler starb am 9. Oktober 1974 in Hildesheim, enttäuscht, verarmt, krank, zurückgezogen und insbesondere von seinen Landsleuten fast vergessen. Ein „Held ohne Heiligenschein“ verschwand, ohne länger im Rampenlicht gestanden zu haben. Seine Außergewöhnlichkeit kam nur in außergewöhnlichen Zeiten zum Tragen, die „Normalität“ ließ in scheitern. Begraben ist er auf dem katholischen Friedhof in Jerusalem.

Lit.:Ackermann-Gemeinde Hessen (Hrsg.)/Erhard Knechtel (Zusammenstellung), Zur Erinnerung an Oskar Schindler dem (sic!) unvergeßlichen Lebensretter 1200 verfolgter Juden. Dokumentation der Gedenkstunde zum 10. Todestag am 14. Oktober 1984 in Frankfurt am Main, Frankfurt/M. 1985. – Elinor J. Brecher, Ich stand auf Schindlers Liste, Bergisch-Gladbach 1995. – David M. Crowe, Oskar Schindler. Die Biographie, Frankfurt/M. 2005. – Radoslav Fikejz, Oskar Schindler (1908-1974), Svitavy 1998. – Radoslav Fikejz, Městské muzeum a galerie ve Svitavách (Hrsg.), Aus dem Leben Oskar Schindlers, Svitavy 2001. – Leopold Grünwald, Sudetendeutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Für Frieden, Freiheit, Recht, Benediktbeuern 1986 (= Veröffentlichung des Sudetendeutschen Archivs in München Band 23), S. 202ff. – Walter Haupt (Hrsg.), Oskar Schindler – der Mensch und sein Werk. Eine Biographie mit dokumentarischem Anhang und Bildern, Alsfeld 1999. – Jitka Gruntová, Oskar Schindler. Legenda a Fakta, Brno 1997. – Thomas Keneally, Schindlers Liste (Roman), München 1983. – Hans Komar, Der unvergeßliche Lebensretter 1200 verfolgter Juden. Vor 10 Jahren starb der Zwittauer Oskar Schindler, in: Schönhengster Heimat, November 1994, S. 4 und 38 und Dezember 1984, S. 23f. – Stella Müller-Madej, Das Mädchen von der Schindler-Liste. Aufzeichnungen einer KZ-Überlebenden, Augsburg ³1994. – Mieczysław (Mietek) Pemper, Der rettende Weg. Schindlers Liste – die wahre Geschichte, Hamburg 2005. – Erika Rosenberg (Hrsg.), Ich, Oskar Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente, München 2000. – Erika Rosenberg (Hrsg.), Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen, München 2001. – Emilie Schindler mit Erika Rosenberg, In Schindlers Schatten. Köln, 51999. – Sudetendeutsche Landsmannschaft, Bundesverband e.V. (Hrsg.)/Eva Habel und Ernst Höntze (Zusammenstellung und Texte), „… dass meine Geschichte wahrheitsgemäß erzählt wird …“. Über das Leben und Wirken von Emilie Schindler (= Mitteilungsblatt 8/2002 der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Kulturbrief), München 2002. – Bruce Thompson, Oskar Schindler, San Diego 2002. – Dieter Trautwein, Oskar Schindler, … immer neue Geschichten. Begegnungen mit dem Retter von mehr als 1200 Juden, Frankfurt/M. 2000.

Bild:Gedenktafel am Haus Oskar Schindlers in Frankfurt/Main