Biographie

Schmorell, Alexander

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: Mitbegründer der "Weißen Rose"
* 3. September 1917 in Orenburg/ Russland
† 13. Juli 1943 in München-Stadelheim

Alexander Schmorell gilt als die „russische Seele“ der Weißen Rose. Die Russische Auslandskirche sprach ihn 2012 als Neumärtyrer in der Münchener Kathedralkirche heilig. „Schu­rek“, wie Schmorell in den Freundeskreisen der Weißen Rose genannt wurde, beeindruckte durch die Sanftmut und Entschiedenheit seines Wesens, dem jede Gewalttätigkeit und jeder Zwang, wie er im NS-Totalitarismus ständig propagiert und gelebt wurde, zuwider war. In einem Brief 1942 schrieb er: „Und wir werden (ich wenigstens) niemals Frieden schließen mit solchen Verhältnissen, auch wenn unsereiner ihnen nicht entfliehen kann.“ Hitler bezeichnete Schmorell als das „Gift der Erde“.

Alexander Schmorell wurde als Sohn des deutschen Arztes Hans Schmorell und der russischen Mutter Natalia Vedenskaja, Tochter eines orthodoxen Priesters, in der Wolgastadt Orenburg geboren. Die väterliche Familie war in Orenburg einflussreich und wohlhabend: Sie hatte zahlreiche Ämter in der Verwaltung inne und betrieb Brauereien und Fabriken.

Als Alexander Schmorell zwei Jahre alt war, starb seine Mutter. Sein Vater heiratete erneut und zog 1921 mit dem Sohn und der Stiefmutter nach München. Später kommentierte Alexander im Rückblick auf den frühen Verlust der behüteten Kindheit und den Verlust der Mutterliebe als Disposition seines Lebens: „Wenn man schon von Kindheit an alles in sich behalten und mit sich selbst ausmachen lernen musste“. Das russische Kindermädchen vermittelte ihm wohl am ehesten Heimat. Sie sprach mit Alexander russisch und in ihr lebte die Atmosphäre der toten Mutter weiter. Der Vater förderte und achtete seinen erstgeborenen Sohn sehr. So trug er dafür Sorge, dass Alexander in der russisch-orthdoxen Religionsgemeinschaft aufwachsen konnte und privaten Religionsunterricht bekam.

Der junge Alexander Schmorell zeigte hohe künstlerische Begabung. So wurde er 1941 Privatschüler bei Lilo Ramdohr, die ihm Zeichenkurse gab, und bei dem Bildhauer Karl Baur in Neuhausen. Auf Rat und Wunsch des Vaters hatte er aber das Realgymnasium in München zu durchlaufen, um später ein Medizinstudium zu absolvieren. In der Schule lernte er bereits 1935 Christoph Probst kennen: eine enge, fast symbiotische Freundschaft, in der auch die gemeinsame Leidenschaft für die neue Malerei, vor allem für Paul Klee und Emil Nolde, eine wichtige verbindende Rolle spielte. In diesen Lebensbereich brach indessen Dunkel und Kontingenz ein. Christoph Probsts Vater nahm sich in tiefer Depression das Leben, seine Mutter war Jüdin: Die Bedrängnis der Familie des Freundes teilte sich Alexander unmittelbar mit.

Seit dem November1937 leistete er den Militärdienst in der Reitenden Artillerie. In dieser Zeit kam es zu ersten ernsthaften Konflikten mit dem militärischen Zwang und dem habituellen Drill. Alexander Schmorell, der schon in der Kindheit, nach eigenem Zeugnis, in seiner eigenen Welt lebte und Dinge um ihrer selbst willen tat, sehnte sich zunehmend in die russische Seelenheimat zurück. Er las vor allem Dostojewskij und träumte sich in russische Landschaften. In jener Zeit entwickelte sich eine intensive Liebesbeziehung zu Angelika Probst, Christophs Schwester: Einfach war diese Beziehung indes nicht, denn Angelika erwiderte zwar die Liebe, hatte aber eine Liaison mit dem viel älteren Komponisten Carl Orff und heiratete 1938 den Landschulleiter Bernhard Knoop, um ihr Leben zu stabilisieren. Die seelische Reife und Großzügigkeit Alexander Schmorells zeigt sich eindrücklich darin, dass er der geliebten Frau Glück wünschte, selbstlos eine innere Treue und Liebe bis zum Lebensende aufrecht­erhielt.

Zunehmend gerieten die Lebenswege in den Strudel des politischen Geschehens. 1942 wurde Schmorell zum Wehrdienst eingezogen, er nahm als Sanitätsfeldwebel am Russlandfeldzug teil; zuvor hatte er versucht, sich dem Militärdienst zu entziehen. Er verweigerte den Eid auf Hitler, mit Hinweis auf seine russische Herkunft. Im Fall eines Krieges gegen Russland würde er gezwungen sein, auf seine eigenen Brüder zu schießen. Der Einspruch blieb wirkungslos, Schmorell erfuhr den Sanitätsdienst als Perversion der Aufgabe des Arztes, die darin bestehen müsse, Menschen zu Hilfe zu kommen. Doch der Militäreinsatz führte Schmorell in seine russische Heimat zurück, er brachte ihn auch in Kontakt mit russischen Kriegsgefangenen, mit dem „Herzen Russlands“. Offenbar setzte er in Russland auch die Dostojewskij-Lektüre fort und erfuhr zugleich eine wesentliche Vertiefung seines christlichen Glaubens: „Nur einer öffnet die Augen und sieht die Welt der Menschen, er sieht, daß alle Kreatur Erbarmen und Erlösung sucht“. Im Winter 1942/42 war er wieder in München und nahm sein Medizinstudium wieder auf.

Trotz der Konfrontation mit einer harten, grausamen politischen Wirklichkeit verlor er die Fähigkeit zu Traum und Imagination nicht, und auch nicht den von vielen Zeitzeugen beschworenen Sinn für Komik. Mit dem Lebensfreund Christoph Probst kam es zu ausgelassenen lebensfrohen Begegnungen, im Zeichen von Wein, „dem flüssigen Feuer“.

Der Ernst der Situation rückte aber immer näher. Die mutigen Kanzelworte von Graf Galen am 3. August 1941 in der Lambertikirche zu Münster, die den Abtransport von Geisteskranken aus den Heil- und Pflegeanstalten entschieden verurteilten, und Kenntnisse von der massenhaften Ermordung der Juden in Osteuropa verdichteten sich zu der politischen Flugblattaktion. Zu Angelika Probst sagte Schmorell damals mit strahlenden Augen: „Wir werden in Zukunft sehr viel politisch tätig sein!“

Die Flugblattaktion ging offensichtlich gleichermaßen von Schmorell und von Hans Scholl aus, viel spricht dafür, dass sie tatsächlich „im Innenraum der Freundschaft“ kreiert wurde. Von Mai bis Juli wurden die ersten vier Flugblätter verfasst, Ende 1942 begann die Weiße Rose Kontakte zu Berliner Widerstandskreisen aufzunehmen. Ebenso verfestigte sich der Kontakt zu Professor Kurt Huber. Im Januar 1943 entstand das fünfte Flugblatt: Aufruf an die Deutschen, das Schmorell selbst verteilte.

Nachdem die Geschwister Scholl und der Lebensfreund Christoph Probst verhaftet worden waren, unternahm Schmorell mit einem gefälschten Pass einen Fluchtversuch über Elmau in die Schweiz. Dieser Versuch scheiterte. Am 24. Februar 1943 wurde er denunziert und im April von dem Blutrichter Freisler zum Tod verurteilt. Am 13. Juli 1943 wurde der Fünfundzwanzigjährige, zusammen mit Professor Kurt Huber, in München-Stadelheim durch das Fallbeil hingerichtet. Die GESTAPO-Protokolle geben zu erkennen, dass er mit offenem Visier seine Gegnerschaft gegen den NS und seine Mitautorschaft bekannte.

Die Briefzeugnisse von der Front, vor allem an die Halbschwester Natalia, zeugen von einer tiefen Festigung und inneren Ruhe. Eindrücklich für die Geistesart dieses jungen Menschen, der ein Fanal gab angesichts von Unrecht und totalitärem Terror: „Nun hat es doch nicht anders sein sollen und nach dem Willen Gottes soll ich heute mein irdisches Leben abschließen, um in ein anderes einzugehen, das niemals enden wird und in dem wir uns alle wieder treffen werden“. Und er fügte hinzu: „denn ich gehe hinüber in dem Bewusstsein, meiner tiefen Überzeugung und der Wahrheit gedient zu haben“.

Lit.: Alexa Busch, Erinnerungen an Alexander Schmorell, Au 2017. – Igor Chranow, Die russische Seele der ‚Weißen Rose‘, Aachen 2013. – Ilse Scholl, Die Weiße Rose, Frankfurt/ Main 1993. – Peter Selg, Alexander Schmorell 1917-1943. Der Idealismus der ‚Weißen Rose‘ und das geistige Russland. Dornach, Basel 2013.

Bild: Neumärtyrer Alexander von München, Damascene Gallery.

Harald Seubert