Biographie

Schnaase, Carl (Julius Ferdinand)

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Herkunft: Danzig
Beruf: Kunsthistoriker
* 7. September 1798 in Danzig
† 20. Mai 1875 in Wiesbaden

Der gebürtige Danziger studierte seit 1816 in Heidelberg Rechtswissenschaften. Er stand unter dem Einfluß Hegels und folgte diesem 1818 nach Berlin. Seine juristische Tätigkeit begann Schnaase als Assessor 1819 in Danzig, wo er Eichendorff begegnete, und kam dann 1826 nach Königsberg. Im Jahre 1829 wurde er Oberlandesgerichtsrat in Marienwerder. Von 1829 bis 1848 war er als Prokurator beim Landgericht in Düsseldorf tätig. Ein weiterer Aufstieg in seiner juristischen Laufbahn erfolgte 1848 durch die Berufung zum Obertribunalsrat in Berlin, eine Position, die er bis 1859 einnahm. Von 1834 bis 1858 unternahm er mehrere Reisen in die Niederlande, nach Frankreich und Italien. 1843 verlieh ihm die Universität Berlin die Ehrendoktorwürde.

Schnaase verließ jedoch den Justizdienst und widmete sich fortan nur noch seinen kunstgeschichtlichen Studien. Er gilt als der Begründer der modernen deutschen Kunstwissenschaft. Vor dem Hintergrund der Anfang des 19. Jahrhunderts stattfindenden Auseinandersetzung zwischen der historischen und der philosophischen Methodenschule in der Geisteswissenschaft faßte Schnaase auch die Kunstgeschichte nicht mehr vorrangig als Künstler- und Stilgeschichte auf, sondern sah sie in ihren natürlichen und kulturhistorischen Bezügen einer inneren Einheit der Geschichte zugehörig.

Schnaase wies grundlegend auf die Verflochtenheit der Kunst eines Volkes in seinen landschaftlichen, klimatischen und gesellschaftlichen Verhältnissen hin und vertrat die Überzeugung, daß im Kunstwerk ein Abbild und Spiegel der Kultur und „das gewisseste Bewußtsein der Völker“ zu erkennen sei. Damit fand bei ihm eine Hauptmeinung der romantischen Schule ihre ausführliche Anwendung auf die Kunst, wie sie zuerst von Johann Gottfried Herder in späteren Schriften angedeutet, von Friedrich Wilhelm Schelling in der Rede Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur1807 gestreift und ausführlich von Carl Friedrich von Rumohr (1785-1843) in seinen Italienischen Forschungen (1827-1831) vertreten wurde.Schnaase ging aber über die romantische Kunstauffassung und das in ihr wirksame theologische Deutungsschema (Kunst als göttliche Offenbarung) weit hinaus. Er schuf für die geschichtliche Darstellung der allgemeinen Kunstentwicklung eine neue Grundlage. Als erster gab er eine eingehende kunstgeschichtliche Begründung der Stilphasen, womit er in vielen Einzelheiten die Kunstgeschichte in den Zusammenhang mit der Geistesgeschichte brachte und mithin eine enge Beziehung zu Religion und Philosophie erkennen ließ. Außerdem entwickelte Schnaase seine Auffassung in Differenz zu Hegel auch an dem Volksgeistbegriff des Juristen F. C. von Savigny und den Vorstellungen des Rechtshistorikers A. F. J. Thibut. Sein besonderes Interesse galt auch dem inneren Zusammenhang von Kunst, Natur und Religion.

Die Leistung von Schnaase beruht auf der Auffassung von der Kunstgeschichte als Geistesgeschichte und der folglich tiefschürfenden Erklärung des Kunstwerks. In seinem umfangreichen Werk hat er die Hegelsche Entwicklungsgeschichte zu einer neuen Kunstgeschichte verbunden. Sein Verdienst war es, die neuere Kunst erstmals im Sinne einer historischen Entwicklung der Kunststile dargestellt zu haben. Auf dem Gebiet der Methoden in der Kunstwissenschaft hat Schnaase neue Wege beschritten, wie sie erst im 20. Jahrhundert üblich wurden (Alois Riegel und Max Dvorak). Er war damit seiner Zeit weit voraus. Von ihm beeinflußt wurden Georg Dehio, Wilhelm Pinder, W. Lübke, W. Woringer. Schnaase betrieb seine wissenschaftliche Arbeit bewußt außerhalb von Institutionen als freier Gelehrter und engagierte sich in Gelehrten- und Künstlervereinen. Zugleich übte er auch einen Einfluß auf das öffentliche Kunstleben und auf die Kulturpolitik aus.

In seinen Niederländischen Briefen von 1834 hat Schnaase seine Anschauungen zuerst öffentlich vertreten. Mit Grüneisen und Schnorr von Carolsfeld gründete er 1858 das Christliche Kunstblatt und siedelte dann nach Wiesbaden über. Sein grundlegendes Hauptwerk, die Geschichte der bildenden Künste, erschien zunächst in sieben Bänden in Düsseldorf (1843-1865) und wurde zu einem Standardwerk des 19. Jahrhunderts. Die zweite überarbeitete Auflage kam unter der Mitarbeit von v. Lützow, Friedrichs, Lübke, Woltmann und Dobbert in acht Bänden heraus (1866-1879).

Es ist ein nicht genügend erkanntes Verdienst von Schnaase, bereits seit 1834 die schwierigen Fragen der Entwicklung der Kunstgeschichte grundlegend behandelt und damit die Anschauungen des 20. Jahrhunderts vorweggenommen zu haben.

Lit.: W. Lübke: Karl Schnaase, Stuttgart 1879. – Wilhelm Wätzold: Deutscher Kunsthistoriker II, Leipzig 1924. – W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart. 1930. – Lewis Kennedy McMillan: Die Kunst- und Geschichtsphilosophie Carl Schnaases. Dissertation, Bonn 1930. – Altpreußische Biographie S. 624. – Götz von Selle: Ostdeutsche Biographien Würzburg 1955, Nr. 130. – Udo Kultermann: Geschichte der Kunstgeschichte. Düsseldorf 1966. – Heinrich Dilly: Kunstgeschichte als Institution. Frankfurt/M. 1979. – Werner Busch/Wolfgang Beyrodt (Hrsg.): Kunsttheorie und Malerei. Stuttgart 1982. – Lexikon der Kunst, Bd. VI, Leipzig 1994.

 

Hugo Rasmus