Biographie

Schopenhauer, Arthur

Herkunft: Danzig
Beruf: Philosoph
* 22. Februar 1788 in Danzig
† 21. September 1860 in Frankfurt/Main

Der Kaufmannssohn Arthur Schopenhauer, der einmal ein berühmter Philosoph werden sollte, wurde am 22. Februar 1788 in Danzig geboren. Die alte Hansestadt (1361-1669) in der Weichselniederung, die 1454/66 im „Preußischen Bund“ gegen den „Deutschen Orden“ gekämpft hatte, existierte von 1454 bis 1793 als Freie Stadt und wurde nach der Zweiten Polnischen Teilung 1793 ins immer mächtiger werdende Königreich Preußen eingegliedert, von 1878 bis 1919 war sie die Hauptstadt Westpreußens.

Durch den Handel mit den Anrainerstaaten von Ostsee und Nordsee ist die Stadt an der Mottlau in den Jahrhunderten seit dem ausgehenden Mittelalter immer reicher geworden, und auch ihre Einwohner wurden mächtig und selbstbewusst. Das zeigte sich auch in einer aufblühenden Kultur, für die hier als Beispiele aus dem 17./18. Jahrhundert nur die Namen des Astronomen Johannes Hevelius (1611-1687), des Bildhauers Andreas Schlüter (1659-1714), des Physikers Daniel Gabriel Fahrenheit (1686-1736) und des Kupferstechers Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726-1801) stehen sollen.

Arthur Schopenhauer stand also in einer reichen Kulturtradition, als er, drei Jahre nach der Hochzeit seiner Eltern, 1788 geboren wurde. Allerdings verließen seine noch jungen Eltern Heinrich und Johanna Schopenhauer fünf Jahre nach seiner Geburt ihre Vaterstadt und gingen nach Hamburg, weil das nunmehr preußisch gewordene Danzig seine Autonomie verloren hatte. Hier gründete der republikanisch gesinnte Vater sein Handelshaus noch einmal, für das er seinen Sohn als Nachfolger vorgesehen hatte. Er schickte ihn 1799 bis 1803 auf die Rungesche Privatschule, die bei den Hamburgern in gutem Ruf stand, verweigerte aber dem strebsamen und bildungshungrigen Sohn den Besuch des Gymnasiums, stattdessen bot er ihm eine Bildungsreise an, die Arthur Schopenhauer 1803/04 in die Niederlande, nach England, Frankreich, die Schweiz, Österreich und Preußen führte.

Auf Wunsch des Vaters begann Arthur Schopenhauer im September 1804 eine Kaufmannslehre im Danziger Handelshaus von Jacob Kabrun, der ein Freund seines Vaters war. Seine Mutter, die ihn in seine Geburtsstadt begleitet hatte, kehrte mit ihm 1805 nach Hamburg zurück, wo er seine Kaufmannslehre im Unternehmen Jenisch fortsetzte. Wenige Wochen nach seiner Rückkehr geschah etwas, was seinem Leben eine völlig neue Richtung gab: Sein Vater Heinrich Schopenhauer erlitt einen tödlichen Unfall unter nie aufgeklärten Umständen! Nach Auflösung des väterlichen Geschäfts ging die Familie im September 1806 auseinander: Die Mutter und die jüngere Schwester Adele zogen nach Weimar in Thüringen, in die Stadt der deutschen Klassik, der 17-jährige Arthur blieb zunächst in Hamburg und konnte nun über seine weitere Lebensplanung frei entscheiden.

Er brach seine kaufmännische Lehre ab und besuchte von 1807 bis 1809 Gymnasien in den thüringischen Städten Gotha und Weimar, wo Mutter Johanna und Schwester Adele lebten und wo sein wichtigster Lehrer der nur zwei Jahre ältere Altphilologe Franz Passow (1786-1833) wurde. Die Mutter Johanna (1766-1838) betrieb dort einen literarischen Salon, verlor aber 1819 den Großteil ihres von ihrem Mann geerbten Vermögens und begann mit Erfolg Romane zu schreiben. Nach Bonn zu ihrer Tochter Adele zog sie 1832, im Todesjahr Goethes, kehrte aber kurz vor ihrem Tod nach Thüringen zurück, wohnte in Jena und verstarb dort, völlig verarmt, 1838. Noch zu Lebzeiten waren 1830/31 ihre Sämtlichen Schriften in 24 Bänden erschienen, die ihre Romane und ihre Reiseberichte enthielten. Auch ihre Tochter Adele Schopenhauer (1797-1849), die in den literarischen Kreisen Weimars verkehrte und mit Goethes Schwiegertochter, der in Danzig geborenen Ottilie von Pogwisch (1796-1872) eng befreundet war, wurde Schriftstellerin wie ihre Mutter und veröffentlichte Märchen, Gedichte, Romane. Sie lebte seit 1828 in Bonn, war mit der westfälischen Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) befreundet und liegt auf dem Alten Friedhof in Bonn begraben, wo auch Hermann von Eichendorff, der 1815 geborene Sohn des schlesische Dichters Joseph von Eichendorff (1788-1857), bestattet ist.

Als Arthur Schopenhauer am 22. Februar 1809 volljährig wurde, wurde ihm sein väterliches Erbe ausbezahlt, wodurch er vermögend und frei von Geldsorgen wurde. An der Universität Göttingen nahm er noch 1809 ein Studium der Medizin auf, wechselte aber 1811 an die 1810 gegründete Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, wo er Philosophie studierte, wo der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und der Theologe Friedrich Daniel Schleiermacher (1768-1834) seine akademischen Lehrer waren und wo er seinen Doktortitel am 18. Oktober 1813 mit einer Arbeit Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde erwerben konnte. Zu den Lesern der Dissertation gehörte auch Goethe, der 1810 seine Farbenlehre veröffentlicht hatte und den jungen Gelehrten zu Gesprächen einlud. In Korrespondenz mit Goethe entstand dann die Schopenhauersche Farbenlehre, die unter dem Titel Über das Sehen und die Farben (1816) erschien.

Anschließend entwarf er sein zweibändiges Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, dessen erster Band 1819 und dessen zweiter 1844 erschien. Dieser als pessimistisch geltende Entwurf einer Deutung menschlichen Lebens und der Gesellschaft fand in den Jahrzehnten vor 1848/49 kaum Resonanz. Der 31-jährige Philosoph versuchte hier, das Schicksal des Menschen in der Geschichte als eine Art Leidensweg erscheinen zu lassen, eine Sinndeutung, die er dem Buddhismus entlehnt hatte. Diesem Schicksal wäre man, ohne darauf irgendwie einwirken zu können, rettungslos ausgeliefert. Allerdings lassen sich in dieser scharfen Analyse der politischen Zustände in Deutschland auch Ansätze einer kritischen Gesellschaftstheorie erkennen, die freilich, anders als bei Karl Marx (1818-1883), keinen Ausweg zur Überwindung dieser Zustände kennt. Gesellschaftskritik, verbunden mit einer Ohnmachtserklärung, verschafften seinem Hauptwerk neue Leserschichten nach der niedergeschlagenen Revolution von 1849. Wesentlich erfolgreicher aber waren die beiden Bände seiner Parerga und Paralipomena (1851), die auch die beliebten Aphorismen zur Lebensweisheit enthielten. Seine Wirkung auf die deutsche Geistesgeschichte war ungeheuerlich, nicht nur das Werk von Schriftstellern wie Thomas Mann (1875-1955) und Hermann Hesse (1877-1962) waren durch seine Philosophie geprägt, der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) veröffentlichte einen Aufsatz Schopenhauer als Erzieher (1874), Einflüsse seiner Philosophie lassen sich im Buch Gemeinschaft und Gesellschaft (1887) des Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936) nachweisen und in der Psychoanalyse Sigmund Freuds (1856-1939).

Das Leben des Philosophen aber verlief, trotz dieser hohen Denkleistung, eintönig und ohne Lebenskrisen, wenn man davon absieht, dass sein vom Vater ererbtes Vermögen, das er im Danziger Bankhaus Muhl angelegt hatte, 1819 auch fast verloren gegangen wäre. Er übernahm 1820, um seine finanzielle Situation aufzubessern, eine Professur an der 1811 gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, bekam aber Streit mit dem Philosophen Hegel (1770-1830), weil er seine Vorlesungen zu selben Zeit ansetzte wie der preußische Staatsphilosoph aus Stuttgart, der den Weltgeist erfunden hatte. Als seine finanziellen Verhältnisse 1821 geklärt waren, setzte er seine unterbrochene Italien-Reise fort und kehrte im April 1825 nach Berlin zurück, um noch einmal an der Universität Fuß zu fassen.

Als 1830 in Berlin die Pest ausbrach, woran Hegel starb, zog er nach Frankfurt am Main, wo er den Rest seines Lebens zubrachte. Seine Bücher Über den Willen in der Natur (1836) und Die beiden Grundprobleme der Ethik (1841) erschienen, ohne besondere Beachtung zu finden. Mit einer Ausnahme: Die 1839 fertiggestellte Schrift Über die Freiheit des menschlichen Willens wurde mit einem Preis der „Königlich-Norwegischen Sozietät der Wissenschaften“ ausgezeichnet. Arthur Schopenhauer starb nach einer Lungenentzündung am 21. September 1860, die „Schopenhauer-Gesellschaft“, die eine kritische Ausgabe seiner Schriften in 14 Bänden besorgte, wurde 1911 gegründet.

Bild: Archiv der Kulturstiftung.

Jörg Bernhard Bilke