Biographie

Schopenhauer, Johanna

Herkunft: Danzig
Beruf: Schriftstellerin. Salondame
* 9. Juli 1766 in Danzig
† 16. April 1838 in Jena

Neben der Berühmtheit des Philosophen Arthur Schopenhauer ist der Name seiner Mutter, die als geistvolle und weit gereiste Salonnière und Schriftstellerin zu den bedeutendsten Frauenpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts zählte, im Lauf der Zeit immer mehr verblasst. In den letzten Jahrzehnten ist ihr Werk aber von der feministisch orientierten Literatur- und Kulturwissenschaft durch Neuauflagen teils wieder zugänglich gemacht und ihre Persönlichkeit durch Biografien beleuchtet worden.

Johanna Schopenhauer wurde am 9. Juli 1766 in eine wohlhabende Danziger Kaufmannsfamilie hineingeboren. Sie war die Älteste von vier Töchtern des Kaufmanns und Ratsherrn Christian Heinrich Trosiener und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. Lehmann. Ihre Erziehung entsprach der für höhere Töchter im Danziger Bildungsbürgertum üblichen. In ihrer Privaterziehung standen das Erlernen von Sprachen, Musik, Geschichte, Handarbeiten und Literatur im Vordergrund. Eigentlich wollte sie einen Beruf ergreifen, Malerin werden, ging aber, auch auf Druck der Eltern, im Alter von achtzehn Jahren eine Konvenienzehe mit dem zwanzig Jahre älteren Danziger Großkaufmann Heinrich Floris Schopenhauer ein, die nicht glücklich war, ihr jedoch einen luxuriösen Lebensstil und mehrere Europareisen ermöglichte. Zusammen mit ihrem Mann bereiste die unternehmungslustige junge Frau Frankreich, Deutschland, Österreich und die Schweiz. Zweimal reiste sie (1787 mit ihrem Mann und 1803 mit Mann und Sohn) nach Großbritannien.

1788 brachte Johanna Schopenhauer ihren Sohn Arthur zur Welt. Ihre Mutterschaft erlebte sie eher als Fessel. Die Blockade Danzigs durch Preußen führte zum wirtschaftlichen Niedergang der Stadt und löste eine Abwanderung der liberal gesinnten kaufmännischen Oberschicht in die Freie Hansestadt Hamburg aus. Auch der bürgeraristokratische Republikaner und unversöhnliche Gegner des preußischen Autoritarismus Floris Schopenhauer zog mit seiner Familie 1793 um. In Hamburg führte die Familie ein großbürgerliches Leben und lernte neben anderen bedeutenden Persönlichkeiten Friedrich Gottlieb Klopstock, den englischen Admiral Horatio Nelson und Germaine de Staël kennen. Johanna genoss die Kulturszene der Stadt, das Theater, die Musikabende. 1797 wurde die Tochter Adele geboren. Im Sommer 1800 reiste Johanna Schopenhauer mit ihrem Mann und den beiden Kindern nach Prag und Karlsbad. Von Mai 1803 bis August 1804 machten sie eine große Reise durch Holland, England, Frankreich, die Schweiz, Österreich, Schlesien und Preußen. Ihre persönlichen Eindrücke hielt Johanna etwa in dem 1818 gedruckten Buch Reise durch England und Schottland fest. Die darin enthaltenen Schilderungen ihrer Tour durch die Highlands und ihre ironisch gefärbten Beobachtungen des Lebens in London prägten das kontinentale Bild dieser Länder im 19. Jahrhundert. In seinen letzten Lebensjahren litt der Vater an Depressionen und beging wahrscheinlich durch Sturz vom Speicherboden Selbstmord.

Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte Johanna den Besitz in Hamburg. Endlich konnte sie selbstbestimmt und finanziell unabhängig leben. Im Alter von 39 Jahren zog sie 1806 mit ihrer Tochter Adele nach Weimar, während Arthur seine Kaufmannslehre in Hamburg fortsetzte. An der Esplanade, Theaterplatz 1, fand sie eine für ihre Zwecke geeignete Wohnung. Wie die Romantikerinnen in Berlin und Jena wollte sie einen intellektuellen Salon organisieren und leiten. Doch mitten in Napoleons Eroberungskämpfen vor der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt hatte die Stadtbevölkerung unter französischen Zwangseinquartierungen, Plünderungen und Verwüstungen zu leiden. Johanna Schopenhauer half tatkräftig bei der Versorgung der Verwundeten, ihre ausgezeichneten Französischkenntnisse bewahrten ihre Wohnung vor marodierenden Soldaten. Dies verschaffte ihr bei der Bevölkerung den Ruf einer couragierten, welterfahrenen Nothelferin.

Noch im gleichen Jahr eröffnete sie ihre bürgerlichen Teegesellschaften, zu denen sie zweimal in der Woche Gäste einlud. Dieser Treffpunkt entwickelten sich bald zu einem literarischen Salon im Zentrum der deutschen Klassik. Viele bekannte Schriftsteller, Philosophen, Schauspieler und Maler verkehrten dort. Ziemlich häufig nahm Johann Wolfgang von Goethe teil, Ludwig Tieck und Clemens Brentano waren sporadische Gäste, regelmäßig verkehrten hier Heinrich Meyer, Friedrich Wilhelm Riemer, Friedrich Justin Bertuch und Christoph Martin Wieland. Zu den auswärtigen Besuchern gehörten in den folgenden Jahren die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Zacharias Werner, Bettina von Arnim, Fürst Pückler-Muskau sowie später Karl von Holtei und Ludwig Börne. Der neu vermählten Christiane von Goethe (geb. Vulpius) half die Salondame, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, weil sie wegen ihres Standes von den Weimaranern geschnitten wurde, und erntete dafür Goethes achtungsvollen Dank. Johanna Schopenhauer besaß die Belesenheit und Begabung, interessante Gespräche anzuregen und ihre Gesellschaften zu „einer Art Kunstform“ zu steigern. In Weimar verbrachte sie die glücklichste Zeit, wie sie später schrieb. Ihr Salon wurde der erste kulturelle Mittelpunkt Weimars außerhalb der Hofgesellschaft.

1807 willigt sie ein, dass Arthur die Kaufmannslehre aufgab und ein Universitätsstudium aufnahm. Ihren vertrautesten Gesprächspartner, den kranken Kunstgelehrten Karl Ludwig Fernow, der starken Einfluss auf ihre kunsthistorischen und literarischen Interessen ausübte, nahm sie zur Pflege bis zu seinem Tod 1808 in ihr Haus. Ein Jahr später trat sie mit dessen Freund, dem Maler Gerhard von Kügelgen, in engere Verbindung.

In der folgenden Zeit verfasste sie eine Lebensbeschreibung ihres Freundes Fernow, die 1810 erschien. Die Idee dazu stammte nicht von ihr, sondern vom Verleger Cotta, der ihr den Vorschlag unterbreitete, um damit Schulden Fernows zu tilgen. Nach einigen kleineren Beiträgen in Zeitungen und Kalendern war dies ihre erste Veröffentlichung unter eigenem Namen, durch deren Erfolg sie als Autorin ermutigt wurde.

1813 begann ihre Freundschaft mit dem Regierungsrat, Archivar und Schriftsteller Friedrich Müller von Gerstenbergk, der zunächst in ihr Wohnhaus, dann in ihre Wohnung einzog. Das tadelte ihr Sohn Arthur und verlangte von ihr den Verzicht auf den 14 Jahre jüngeren Hausfreund. Sie störte sich an der „unerträglichen Nörgelei“ ihres Sohnes und warf ihn nach einigen Monaten aus dem Haus. Gerstenbergk heiratete jedoch eine andere Frau. Arthur zog nach Dresden. Der Bruch zwischen zwei konträren Welten – der lebensbejahenden Mutter und dem Philosophen des metaphysischen Pessimismus – war endgültig. Nie wieder sollten sie sich persönlich begegnen. Die zwar kluge und gebildete, aber nicht eigentlich originelle Schriftstellerin konnte die Grenzen sprengende Gedankentiefe und Darstellungskraft ihres Sohnes nie ermessen.

Im Jahr 1819 geriet das Handelshaus Abraham Ludwig Muhl & Co., bei dem Johanna Schopenhauer ihr ganzes Vermögen angelegt hatte, in Zahlungsschwierigkeiten. Beim anschließenden Vergleich verlor sie 70 Prozent ihres Vermögens. Ihr Sohn Arthur, der sich vorher den Anteil am väterlichen Erbe hatte auszahlen lassen, bot ihr zwar Unterstützung an, die sie jedoch ablehnte. Sie musste sich jetzt selbst um ihre Einkünfte sorgen. Ihre Reisebeschreibungen, populären Romane, Erzählungen, Novellen und kunstkritischen Schriften waren so erfolgreich, dass sie nach dem Verlust ihres Vermögens als eine der meistgelesenen Autorinnen ihrer Zeit – neben Sophie von La Roche, Karoline Auguste Fischer und Sophie Mereau – mit dem Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. Eine vom Brockhaus-Verlag 1830/31 edierte Werkausgabe umfasste 24 Bände, dazu kamen bis zu ihrem Ableben noch vier weitere Bände, darunter eine 1837 geschriebene Autobiografie sowie zwei aus dem Nachlass von Adele Schopenhauer 1839 herausgegebene Bände Jugendleben und Wanderbilder. 1870 erschienen schließlich noch ihre Briefe an Karl von Holtei, 1909 gab K. Wolff in zwei Bänden ihre Tagebücher heraus, und 1924 edierte H. H. Houben den Band Damals in Weimar! Erinnerungen und Briefe von und an Johanna Schopenhauer.

Typisch für ihre ab 1819 erschienenen Romane (wie Gabriele, Die Tante, Sidonia usw.) ist eine Heldin, die ihre heftige Jugendliebe auf tragische Weise verliert und sich später mit einer frustrierenden, kinderlosen Vernunftehe abfindet, in der regelmäßig der Gatte keine gute Figur macht. Zeitgenössische Kritiker sprachen vom „lauwarmen Gewässer der Schopenhauerschen Entsagungsromane“. Wertbeständiger als ihre belletristischen Arbeiten sind ihre Reisebeschreibungen, in denen sie die Kunst des entschleunigten Reisens und Schauens zu vermitteln sucht und die immer noch mit Gewinn zu lesen sind. Ihre federnde Eloquenz ist mit viel Warmherzigkeit, Beobachtungsgabe und Kunstverstand gesättigt. Hier gelingt ihr die Synthese aus zeitverhaftetem Erleben und zeitlos gültigem Erkennen.

Ihre eher bescheidenen Einkünfte nötigten Johanna und Adele Schopenhauer, Weimar zu verlassen und zuerst nach Unkel, dann nach Bonn umzuziehen. Ein Schlaganfall zwang Johanna zu teuren Kuren, zusätzlich litt die Finanzlage unter der eingeschränkten Arbeitskraft. Adele verbrauchte fast ihr ganzes Privatvermögen, um die Schulden der Mutter zu decken. Großherzog Karl Friedrich von Sachsen-Weimar gewährte der bekannten Literatin 1837 eine Ehrenpension und lud Mutter und Tochter nach Jena ein. Dort starb die „heitre, anspruchslose alte Frau“, wie sie selbst sich charakterisierte, 1838 im Alter von 71 Jahren. Sohn Arthur weigerte sich, an ihr Totenbett zu treten. Sie wurde auf dem Johannisfriedhof in Jena beigesetzt.

Werke: Sämmtliche Schriften, 24 Bände, Brockhaus-Verlag, Leipzig und Frankfurt a. M. 1830/31.

Lit.: Ulrike Bergmann, Johanna Schopenhauer. Lebe und sei so glücklich als du kannst. Romanbiographie, Reclam Verlag, Leipzig 2002, 352 S. – Carola Stern, Alles, was ich in der Welt verlange. Das Leben der Johanna Schopenhauer, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2003, 319 S.

Bild: Johanna Schopenhauer mit ihrer Tochter Adele (Ausschnitt), 1806, gemalt von Caroline Bardua.

Stefan P. Teppert, 2017