Biographie

Schröer, Gustav Wilhelm

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Lehrer, Schriftsteller
* 14. Januar 1876 in Wüstegiersdorf, Kr. Waldenburg
† 17. Oktober 1949 in Weimar

Im “Kapitel von der schlesischen Poeterei” begegnen wir Autoren, die als Volksschullehrer, als schlichte “Dorf-Pauker” begannen, bevor sie unter die Zwänge von dichterischen Gesichten gerieten – so Will-Erich Peuckert (1895-1969), einem der bedeutendsten Volkskundler Schlesiens und Literaturhistoriker (über diesen siehe OGT 1994, S. 174-177), Hans-Christoph Kaergel (1889-1946), Hermann Stehr (1864-1940) und Paul Keller (1873-1932). Ihre Werke spiegeln das “Getuppelte” der schlesischen Seele; das Besondere lag wohl darin, daß das Antlitz des Volkes mehr nach innen und “nicht nach außen gekehrt” ist (Josef Nadler). Diese schlesischen Schriftsteller schöpften aus dem Grund des Landes; ihre Werke wurden gespeist vom Zustrom geheimnisvoller Kräfte und Stimmen – dieser “wahren Erde”, von der Gerhart Hauptmann imNeuen Christophorus  spricht, “deren Berührung unüberwindlich machte, weil sie alle verlorene Kraft wiedergab.”

Gustav Schröer, der auch Schlesier war, ebenso auch Volksschullehrer, der Schriftsteller wurde, über 70 Romane und Erzählungen sowie Volksstücke und Jugendschriften veröffentlichte, war Sohn eines Maschinenwärters. Die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen. “Wenn mir heute jemand von Armut und Not redet, dann kann ich ihm sagen: Das alles habe ich bitter genug am eigenen Leibe erfahren. Wir waren sieben Geschwister, drei davon sind gestorben. Unter Opfern haben meine Eltern, unterstützt von treuen Helfern, ermöglicht, daß ich Lehrer wurde.” An den Besuch der Präparandenanstalt in Schmiedeberg (Riesengebirge) schloß sich 1893 bis 1996 ein Studium am Seminar in Münsterberg an. Danach verließ Gustav Schröer Schlesien, das einen Überfluß an Lehrern hatte, und ging nach Thüringen.

Am 1. April 1896 trat Schröer, zunächst vertretungsweise, in Ziegenrück an der oberen Saale eine Stelle an, die er bereits am 1. Juli mit einer selbständigen im benachbarten Eßbach vertauschte. Dort verbrachte er vierundzwanzig “Waldschulmeister-Jahre”, oft in großer Armut und großen Entbehrungen; oft reichte es nicht zum Notwendigsten. Vier Kinder, die aus einer 1900 eingegangenen Ehe kamen, waren zu versorgen; oft herrschte Krankheit, häufig waren nicht einmal die Arztrechnungen zu bezahlen. Einen Begriff davon vermittelt Schröers Roman Käthe Werner, in dem er auch seiner Frau Käthe, die 1927 starb, ein Denkmal gesetzt hat. Eine zweite Ehe ging Schröer 1931 ein.

In der Eßbacher Zeit gab Schröer nicht nur Privatstunden; er schrieb auch kleinere Beiträge für Zeitungen – über Begebenheiten vorwiegend aus dem Leben der Bauern, dem er sich hier ganz verschrieb und von dem er nicht mehr los kam. Es reizte ihn, “daß Bauernart ein Buch ist, das schwer zu lesen ist.” In Eßbach wurde der Schlesier aber auch zum Thüringer: Manche Stelle aus seinem Werk hat man wohl auf ihn selbst zu beziehen, wie etwa die folgende: “Solch ein Land! So weit und so still und so heilig! Es hatte mich ganz genommen, das Land!” (So der Chronist imDer Schulze von Wolfenhagen. Die Geschichte eines Dorfes). “Ich danke Gott, daß du mir Heimat bist!” So heißt es in einem “Thüringen”-Gedicht.

Der weitere Weg führte Schröer nach Erfurt, wo er bei der Regierung als Bezirksjugendpfleger tätig war; es folgte seit 1922 die Leitung der Kulturredaktion beim “Thüringer Landbund” in Weimar und seit 1928 die Herausgabe der ZeitschriftDie Pflugschar. Die Stelle eines Schulrats hatte er ausgeschlagen. “Zum Bauern gehöre ich!” So lautete sein Bekenntnis.

In Weimar, wohin er schließlich übergesiedelt war, wurde Schröer zum Schriftsteller, zu einem “Heimat – und Bauerndichter von erstaunlicher Fruchtbarkeit” (so Franz Lennartz), der vor allem aus der mitteldeutschen Bauern- und Kleinbürgerwelt erzählte. Es sind also nicht die Menschen aus Schlesien, die ihn fesseln – sondern jene aus dem oberen Saaletalgebiet; es sind die Berge und Täler von dort und vor allem auch “die Steine.” Weder die Ereignisse seiner Kindheit und Jugend, Landschaftseindrücke vom heimatlichen oberen Weistritztal, vom Waldenburger Bergland – eine der schönsten Landschaften Schlesiens – sind in sein Werk eingegangen noch die Geschichte der Heimat, von der markante Burgruinen im Umfeld von Wüstegiersdorf zeugen – wie das Freudenschloß und das Hornschloß. Auch ruhen seine Gestalten nicht in Bad Charlottenbrunn und in Görbersdorf mit seinen weltberühmten Lungenheilstätten aus. Er kam nicht wie andere Schriftsteller schlesischer Herkunft auf Schlesien zurück.

Schröer erregte bereits mit seinem ErstlingsromanDer Freibauer (1913) Aufsehen, den kein Geringerer als Peter Rosegger rühmte (“Liebe zur Scholle, zum Bauerntum”). Die Thüringer Bauern sind es, die ihm Lebenswirklichkeit, Kraft und Weisheit für seine Gestaltungen geschenkt haben. “Was heißt Bauer sein?” Das heißt, wie es in Land Not (1928) erklärt wird: “Ein Mensch sein, der die Erde liebt und ihr dient, dem das Herz bricht, wenn ihm die Ernte verhagelt, nicht weil er Geld verliert, sondern weil er sie liebt. Ein Mensch ist der Bauer, der hinter seiner Scholle zurücktritt – sie ist sein Herr, nicht er der ihre – einer, der aus Gottes Hand lebt und den Plunder verachtet, um den ihr euch um euch selber bringt.” Die Stärke liege im Herzen, nicht im Verstande, so heißt es einmal im Siedler vom Heidebrinkhofe von 1943. Da ist auch von “einer erdgeborenen Idee” die Rede; sie könne “das deutsche Volk einigen.” Das sei auch die Aufgabe des Bauerntums. Und schließlich sei Heimat dort, “wo die Blutströme ihren Ausgang nehmen.”

Das Lob des einfachen Lebens, Skepsis gegenüber der Zivilisation, der Technik, der Industrie, der Geldwirtschaft, der Verstädterung und schließlich der Glaube an die Mächte des Blutes waren dazu angetan, Schröers Bauern-Romane als der nationalsozialistischen Ideologie von “Blut und Boden” verschwistert erscheinen zu lassen. Adolf Bartels triumphierte: “Er packt die ernsten Probleme der Zeit an, ohne je dem Geiste moderner Sensation zu verfallen!” Viele Bücher Gustav Schröers hat Bartels in seinem Deutschen Schrifttum gewürdigt. “Auf den Gabentischen des neuen Deutschland darf einer nicht fehlen, einer, der Vorkämpfer gewesen ist… Das ist Gustav Schröer!” So schrieb Paul Krannhals (1883-1934), der als “Kulturphilosoph des Nationalsozialismus” galt. Für Josef Nadler dagegen hat Schröer “den Thüringer Landmann ungefärbt von Roman zu Roman ab[ge]schildert” (Literaturgeschichte des Deutschen Volkes, Bd. 4, Berlin 1941).

Indessen ist Schröers Werk nicht bloß Ideologie. Sein bekanntester Roman, Der Heiland vom Binsenhofe (1918), gestaltet das Schicksal eines gegen Haß und Aberglauben kämpfenden, sühnenden Fremdlings. Liebevoll, mit Sympathie erzählt Gustav Schröer von guten und bösen Bauern, von ihrem Kampf um das harte Dasein und von Not und von Glück – so im RomanDie Leute aus dem Dreisatale (1920), der in eine Köhlergemeinschaft führt (1949 in einer Neuausgabe erschienen). Der Roman Heimat wider Heimat (1929) verlagert das Problem “Heimatgefühl” auf zwei Ebenen: das Meer und das Gebirge: “Auf dem Deiche aber stand das junge Weib und sah, eine scharfe Falte in der Stirn, dem Wasser entgegen. Auch jetzt erschauerte sie nicht vor der Gewalt des Meeres, aber sie erschauerte vor der Unendlichkeit. Auf dem Lande ist alles endlich, und mag der Blick noch so schweifen. Der eisstarrende Berg bezwingt durch Erhabenheit und Ruhe, aber nur das Meer läßt die Unendlichkeit spüren. Und es ist ein furchtbares Wort: Unendlichkeit! Und ist unmittelbar benachbart dem Donnerwort Ewigkeit!” In den Romanen Die Bauern von Siedel (1939) undDie Wiedes (1940) geht es immer wieder um erneute Abwandlungen von Liebe, Kampf, Nöten und Hoffnungen der “Scholle verbundener Menschen”. Es sind in der Qualität der Komposition und der Gestaltung nicht gleichwertige Werke. Im übrigen steht eine eingehende Analyse von Schröers Werk durch die Literaturwissenschaft noch aus.

Deutlich ist Schröers nationale Tendenz – so im Volksbuch vom Thüringer Befreiungskampf gegen Napoleon, Volk im Schmiedefeuer (1934), oder im WeltkriegsbuchFlucht von der Murmanbahn (1917). Schröer, der Schlesier und Wahlthüringer, verschloß sich auch sozialen Problemen nicht – wie sein Buch von den Kämpfen und Nöten arbeitsloser Menschen zeigt (Wir lassen uns nicht unterkriegen, 1934). Und an das schwere Dasein der Thüringer Buckelapotheker und Laboranten im 19. Jahrhundert erinnert Das Schicksal der Käthe Rotermund.

Eine seltene Fülle an Menschen und Schicksalen, Gestalten, die uns nicht mehr erreichen – sie sind vergessen und reden womöglich in einer uns nicht mehr vertrauten Sprache. Ein durchaus normales Schriftstellerschicksal, das Schröer zuteil wurde, der einmal von sich sagte: “Niemals habe ich mich einen Dichter genannt. Es genügt mir, ein deutscher Erzähler zu sein.” Damit hat er wohl selbst seine Grenze abgesteckt. Sein Werk veraltete mit den Maßstäben und dem Geschmack seiner Zeit.

Werke:Das Herz spricht. Erzählung, Quell-Verlag, 1934. – Der Hof im Ried. Leipzig 1929. – Der Hohlofenbauer. Roman. Gütersloh 1943. – Die Lawine von St. Thomas. Ein Roman aus den Bergen. Gütersloh 1949. – Deutsche Legenden. Halle (Saale) 1923. – Peter Lorenz. Die Geschichte eines Knechtes. Leipzig 1922. – Die Flucht aus dem Alltag. Berlin 1941. – Im Schatten des Helberges. Roman. Gütersloh 1943. – Der Schelm von Bruckau. Ein heiterer Kleinstadtroman. Gütersloh 1943. – Schicksalshände. Roman. Gütersloh 1943. – Der Schulze v. Wolfenhagen. Die Geschichte eines Dorfes. Leipzig 1944. – Die Siedler vom Heidebrinkhofe. Gütersloh 1943. – Der Streiter Gottes. Ein Lutherbuch. Stuttgart 1949. – Frau Käthe Werner. Die Geschichte einer tapferen Frau. Stuttgart 1940. – Das Wirtshaus zur Kapelle. Roman. Leipzig 1942. – Thüringer Kurzgeschichten. Aus dem Nachlaß ausgew. von Gertrud Schröer. Würzburg 1963. – Der Bauernenkel. Roman. Gütersloh 1933. – Der Brockhof und seine Frauen. Wilhelmshaven 1954.

Lit.: Reinold Braun: Gustav Schröer. Weg und Werk. 1935.

 

Günter Gerstmann