Biographie

Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf von der

Beruf: Widerstandskämpfer
* 5. September 1902 in London
† 8. August 1944 in Berlin

 „Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor namenlosem Elend zu bewahren. Ich bin mir klar, daß ich daraufhin gehenkt werde, bereue meine Tat nicht und hoffe, daß sie ein anderer in einem glücklicheren Augenblick durchführen wird.“

Dieses trotzig-aufrechte Bekenntnis vor Freislers Volksgerichtshof am 10. August 1944 ist uns überliefert von einer der widersprüchlichsten und schillerndsten Persönlichkeiten des 20. Juli: Fritz-Dietlof von der Schulenburg. Als „Preuße, Nationalsozialist und Widerstandskämpfer“ hat ihn sein Biograph Ulrich Heinemann charakterisiert; ein scheinbar so gegensätzlicher Dreiklang, der aber aufzeigt, aus welch unterschiedlichen Lagern und politischen Überzeugungen man zur Fronde gegen Hitler und sein Regime stoßen konnte.

Am 5. September 1902 wurde Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg als Sohn des damaligen deutschen Militärattachés an der deutschen Botschaft in London und späteren Generalstabschefs der Heeresgruppe Kronprinz, Friedrich Bernhard Graf von der Schulenburg, geboren. Der bekannte Diplomat, letzte Botschafter des Reiches in Moskau und gleichfalls Angehöriger der Verschwörung, Friedrich Werner von der Schulenburg, war sein Onkel. Früh begeisterte sich der junge bildungshungrige Aristokrat für die Ideenwelt der „konservativen Revolution“. Oswald Spenglers „Preußentum und Sozialismus“, Hans Grimms „Volk ohne Raum“ und Müller van den Brucks spekulativ-idealistische Vision vom „Dritten Reich“ formten sein Weltbild im Sinne eines völkisch-paternalistischen Staatsideals und ließen ihn bereits im Februar 1932 der Partei Adolf Hitlers beitreten. Dort, d.h. im norddeutschen, stark sozialrevolutionär geprägten Teil der NSDAP mit ihrem Exponenten Gregor Strasser, glaubte er Spenglers ideelle Synthese von preußischem Geist und einem zeitgemäßen „nationalen Sozialismus“ verwirklicht. Seit März 1932 Regierungsassessor in Ostpreußen, wurde der junge Verwaltungsjurist kurz nach Hitlers Machtübernahme als Regierungsrat in das Königsberger Oberpräsidium versetzt, wo er u.a. zum persönlichen Referenten des Oberpräsidenten, seit Juni 1933 in Personalunion mit dem Amt des Gauleiters der NSDAP, Erich Koch, avancierte. Schon bald auftretende Spannungen mit Koch führten im November 1934 zu seiner Versetzung auf den Posten des Landrats im samländischen Fischhausen, wo er in dem von ihm so geliebten Ostpreußen („das phantastischste Land, das ich mir vorstellen kann“) endlich in einem eigenen Verantwortungsbereich eine überaus produktive kommunalpolitische Tätigkeit entfaltete. Im Sommer 1937 folgte ein zweijähriges Zwischenspiel als Polizeivizepräsident von Berlin unter Graf Helldorf, bevor er exakt zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns am 1. September 1939 für ein dreiviertel Jahr unter dem schlesischen Gauleiter Joseph Wagner stellvertretender Oberpräsident in Breslau wurde. Seit dem Sommer 1940 folgten verschiedene Kriegsverwendungen, darunter die Teilnahme am Rußlandfeldzug als Zugführer im Potsdamer I.R. 9 (bis November 1941) sowie, ab Januar 1942, eine Reihe organisatorischer Tätigkeiten in verschiedenen Kriegsverwaltungsstellen.

Schulenburgs zunehmende Entfremdung vom Nationalsozialismus resultierte wesentlich aus drei Dingen: seinem mit persönlicher Integrität und Unbestechlichkeit gepaarten ethischen Rigorismus, dem Glauben an die Unverzichtbarkeit eines am preußischen Dienstideal orientierten Berufsbeamtentums und seinem Beharren auf den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.

Im besonderen stieß ihn der innerhalb der Würdenträger des NS-Staates immer stärker um sich greifende materielle Luxus –  gepaart mit Verantwortungslosigkeit und Byzantinismus – ab, wie er ihn höchstselbst u.a. bei seinem früheren Vorgesetzten Erich Koch hatte beobachten können. Jedoch vollzog sich der Prozeß der Distanzierung gleichermaßen langsam wie schmerzhaft. Lange, noch bis weit in den Krieg hinein, glaubte Schulenburg an den „guten“ ideellen Kern im Nationalsozialismus und an die Reformfähigkeit des politischen Systems. Erst nach der Katastrophe von Stalingrad entwickelte er sich zu jenem zentralen Mittler sowohl zwischen den Generationen wie den politischen Fraktionen des Widerstands, was bis heute sein Bild innerhalb der Verschwörung im wesentlichen bestimmt. Am Tag von Stauffenbergs Attentat gehörte Schulenburg zu denen, die sich in Erwartung der Dinge im Berliner Bendlerblock versammelt hatten. Noch am Abend wurde er verhaftet und zum Gestapo-Verhör in die Prinz-Albrecht-Straße gebracht. Gerade indem er dem Nationalsozialismus den Spiegel vorhielt, wurden seine Vernehmungen, wie Ulrich Heinemann urteilt, „zu einer großen Abrechnung mit Hitler und dem Dritten Reich; er nahm ihr Gerede von den großen preußischen Werten der Pflicht, des Gehorsams und der Bescheidenheit ernst und verglich die tönende Propaganda mit der Wirklichkeit“. Vielleicht haben deshalb seine Vernehmer, die wohl nicht unähnlich dachten, seine schonungslose Kritik am Regime in ihren Verhörberichten relativ ungefiltert und kommentarlos „nach oben“ weitergegeben.

Vieles an der Persönlichkeit Fritz-Dietlof von der Schulenburgs mutet dem heutigen Betrachter widersprüchlich, ja fremd und rätselhaft an: sein aristokratischer Konservativismus mit dem Hang zum „sozialen Brückenschlag“ zur Arbeiterschaft, seine gefühlsbestimmte Religiosität, sein Preußentum und sein idealistisch verstandener Nationalsozialismus, den man wohl letztlich einem früh ausgeprägten politischen Romantizismus zuschreiben muß.

Den „letzten Samurai Preußens“ hat ihn, gleichermaßen pointiert wie prägnant, einer seiner einstigen Mitarbeiter im Breslauer Oberpräsidium rückschauend genannt; eine Charakterisierung, die einer Persönlichkeit galt, die ihre Gesprächspartner nicht nach politischen oder ideologischen Lagern beurteilte, sondern danach, wie er es selber so bildhaft ausgedrückt hat, ob in „ihren Herzen die Glocke von Potsdam“ schlug.

Lit.: Albert Krebs: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Zwischen Staatsräson und Hochverrat, Hamburg 1964. – Hans Mommsen: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und die preußische Tradition, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 32 (1984), S. 213–239. – Ulrich Heinemann: Ein konservativer Rebell. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli, Berlin 1990. – Ders.: Fritz Dietlof Graf von der Schulenburg. Preuße, Nationalsozialist, Widerstandskämpfer, in: „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli, hg. von Klemens von Klemperer, Enrico Syring und Rainer Zitelmann, Frankfurt a.M./Berlin 1994, S. 218–232.

Bild: 20. Juli 1944, 4. Aufl., neu bearbeitet und ergänzt von Erich Zimmermann und Hans-Adolf Jacobsen, hg. von der Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn 1951.

Manfred Zeidler