Biographie

Schumacher, Kurt

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Politiker
* 13. Oktober 1895 in Kulm/Weichsel
† 20. August 1952 in Bonn

Kurt Schumacher wurde am 13. Oktober 1895 in der westpreußischen Kleinstadt Culm an der Weichsel geboren. Er besuchte das dortige Königliche Gymnasium. Bei Kriegsausbruch 1914 legte er das Notabitur ab und meldete sich freiwillig zur Armee. Anfang November 1914 wurde er als Infanterist an die Ostfront geschickt und bereits im November 1914 schwer verwundet. Sein rechter Arm mußte bis zur Schulter amputiert werden. Da er nunmehr nicht mehr kriegsdiensttauglich war, konnte er ein Studium aufnehmen und legte 1918 an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin, der heutigen Humboldt-Universität, sein erstes juristisches Staatsexamen ab. Im Januar 1918 trat er in die SPD ein. Am 1. Dezember 1920 wurde er Redakteur des sozialdemokratischen Parteiblatts „Schwäbische Tagwacht“ in Stuttgart. 1924 wurde er in den Württembergischen Landtag gewählt. Schumacher war Mitbegründer des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und bis 1929 Vorsitzender des Stuttgarter Reichsbanner-Vereins. 1926 promovierte er bei Prof. Johann Plenge in Münster über das Thema „Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie“. 1928 gehörte Schumacher zum Vorstand der württembergischen Landtagsfraktion. Am 20. Mai 1930 wurde er in den Deutschen Reichstag gewählt und blieb Reichstagsabgeordneter bis nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933. Am 23. Februar 1932 geißelte er in einer Replik auf eine Polemik des nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Dr. Joseph Goebbels den Nationalsozialismus als „einen dauernden Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“. Seitdem gehörte er zu den von den Hitleranhängern meistgehaßten deutschen Politikern. Kurt Schumacher war an der Ausarbeitung der Erklärung der SPD-Reichstagsfraktion vom 23. März 1933 beteiligt, in der das „Ermächtigungsgesetz“ für den Reichskanzler Adolf Hitler abgelehnt wurde. Durch Erlaß des Reichsinnenministeriums am 22. Juni 1933 wurde die SPD verboten. Am 6. Juli 1933 wurde Schumacher verhaftet und blieb zunächst bis März 1943 in Haft. Schumacher lehnte es ab, sich durch eine geheuchelte Ergebenheitserklärung gegenüber dem NS-Regime oder durch eine Verzichtserklärung auf weitere politische Tätigkeit die Entlassung aus der Haft zu erschwindeln. Stationen seiner Haft waren u.a. das Polizeigefängnis Berlin Alexanderplatz, das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße, die Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg. Wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes wurde er 1943 mit Aufenthaltsbeschränkung auf Hannover aus der Haft entlassen, jedoch nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 erneut verhaftet. Diesmal kam er in das KZ Neuengamme bei Hamburg, aus dem er im Frühjahr 1945 wieder nach Hannover entlassen wurde. Hannover wurde am 10. April 1945 durch amerikanische Truppen besetzt. Am 6. Mai 1945, also noch vor der endgültigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, hielt er vor sozialdemokratischen Funktionären in Hannover eine Grundsatzrede unter dem Titel „Wir verzweifeln nicht!“, in der er mit dem nationalsozialistischen Regime abrechnete und seinen Führungsanspruch beim „Wiederaufbau von Partei und Staat“ anmeldete. Einen Teil dieser Rede widmete er auch dem Verhältnis von SPD und KPD und erklärte, daß eine politische Vereinigung dieser beiden Parteien nicht möglich sei, weil die KPD ausschließlich an eine der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, nämlich an Rußland und seine außenpolitischen Ziele, gebunden sei. Aus dem Bewußtsein heraus, daß die SPD als einzige Partei vor 1933 die Grundsätze einer demokratischen und friedenfördernden Politik voll durchgehalten habe, müsse die SPD die schwere Aufgabe übernehmen, „aus den Trümmern Deutschlands ein neues und besseres Reich“ zu erbauen. Er befürwortete zunächst eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten in „allen sozialen Fragen und in der Austilgung des Faschismus“. Jedoch lehnte er von vornherein die Bildung einer so genannten „Antifaschistischen Front“ ab, da dies nur den Zweck verfolge, „Nichtkommunisten für kommunistische Zwecke einzuspannen und für die Kommunistische Partei zu erziehen.“ Die weitere Entwicklung in der SBZ und späteren DDR sollte Schumachers Befürchtungen und Warnungen in vollem Umfang bestätigen. Am 5. und 6. Oktober 1945 fand in Wenningsen bei Hannover die ursprünglich als „Reichskonferenz“ deklarierte Parteikonferenz der drei westlichen Besatzungszonen statt, an der am 6. Oktober (als privates Treffen deklariert) auch Vertreter des Berliner Zentralausschusses der in der SBZ neu gegründeten SPD (Otto Grotewohl, Gustav Dahrendorf und Max Fechner) teilnahmen. Schumacher machte hier noch einmal seine Ablehnung einer Einheitspartei mit den Kommunisten deutlich: „Wir deutschen Sozialdemokraten sind nicht britisch und nicht russisch, nicht amerikanisch und nicht französisch. Wir sind die Vertreter des deutschen arbeitenden Volkes und damit der deutschen Nation. Wir sind als bewußte Internationalisten bestrebt, mit allen internationalen Faktoren im Sinne des Friedens, des Ausgleichs und der Ordnung zusammenzuarbeiten. Aber wir wollen uns nicht von einem Faktor ausnützen lassen.“ Diese Haltung bestimmte auch sein Verhältnis zu einem deutschen Verteidigungsbeitrag für den Westen und zur Westbindung der Bundesrepublik. Er wollte keine westdeutschen Streitkräfte, solange die Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands um den Preis der militärischen Neutralität bestand und solange nicht die volle Gleichberechtigung dieser Streitkräfte in Kommandostruktur, Ausrüstung und Bewaffnung gewährleistet schien. Bei der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag unterlag Schumacher knapp Dr. Konrad Adenauer und blieb bis zu seinem Tode am 20. August 1952 Wortführer einer konstruktiven Opposition. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Hannover-Ricklingen. Hunderttausende säumten seinen letzten Weg von Bonn nach Hannover. Noch einmal wurde deutlich, daß Schumacher seit August Bebel der beliebteste deutsche Arbeiterführer war. Kurt Schumacher gehörte zu den schärfsten Gegnern der Oder-Neiße-Linie als endgültiger deutscher Ostgrenze. Im Oktober 1945 hatte er auf einer Rede in Köln geäußert, es sei die Pflicht jedes deutschen Sozialdemokraten, mit friedlichen Mitteln um jeden Quadratmeter deutschen Bodens zu kämpfen. Getreu dieser Ansicht verurteilte er auch die Annexion des Saargebietes durch Frankreich, die Bombardierung Helgolands durch die Briten und dänische Versuche zur Abtrennung von Teilen Schleswig-Holsteins. Am 13. Juni 1950 wies Schumacher darauf hin, daß die Oder-Neiße-Linie nicht nur ein Grenzproblem sei, sondern auch eine Frage des „Rückkehr- und Heimatrechts der Ostvertriebenen, zu dem wir uns bekennen müssen.“ Am 17. August 1951 erklärte er in Berlin: „Keine deutsche Regierung und keine Partei können bestehen, die die Oder-Neiße-Linie anerkennen wollen.“ Diese Auffassung erwies sich als irrig, jedoch hatte er recht mit seiner Ansicht, daß die wirtschaftliche und politische Anziehungskraft des Westens eine „Magnetwirkung“ hervorrufen würde, die den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Ostmitteleuropa bewirkt. Im Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie findet Schumachers Haltung zur Oder-Neiße-Linie keine Erwähnung. Die deutschen Heimatvertriebenen haben allerdings allen Anlaß, sich dankbar an Kurt Schumacher zu erinnern.

Lit.: Willy Albrecht: Kurt Schumacher. Reden-Schriften-Korrespondenzen 1945–1952, Berlin/Bonn 1985. – Johann Heinrich Frömel: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Vertriebenenverbände 1945–1969. Vom Konsens zum Dissens. Hg. von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 1999. – Walter G. Oschilewski/Arno Scholz: Turmwächter der Demokratie. Ein Lebensbild von Kurt Schumacher. Bd. 1–3 (Bd. 1: Sein Weg durch die Zeit, Bd. 2: Reden und Schriften, Bd. 3: Als er von uns ging), Hannover 1953–1954. – Franz Osterroth: Biographisches Lexikon des Sozialismus, Hannover 1960. – Peter Merseburger: Der schwierige Deutsche: Kurt Schumacher, Berlin 1995. – Fried Wesemann: Kurt Schumacher. Ein Leben für Deutschland, Bonn 1952. – Christl Wickert (u.a.): Der Freiheit verpflichtet. Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Gerhard Schröder, Marburg 2000.

Bild: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Johann Heinrich Frömel