Biographie

Schumacher, Wilhelm

Herkunft: Danzig
Beruf: Schriftsteller, Journalist
* 3. Januar 1800 in Danzig
† 28. April 1837 in Danzig

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erschienen in Danzig und ganz Westpreußen eine erstaunlich große Anzahl periodischer literarischer Blätter oder Zeitschriften, allerdings oft mit einer ebenso erstaunlich kurzen Erscheinungsdauer. In diesem Umfeld wirkte als anerkannter Lokalpoet und äußerst rühriger Journalist Wilhelm Schumacher. Die Gesellschaft in Danzig hatte einen hohen Belehrungs- und Unterhaltungsbedarf auf unterschiedlichem Niveau, dem die verschiedenen Zeitschriften zu entsprechen versuchten. In fast jedem Danziger Hause wurde gelesen. Drei Tageszeitungen erschienen – zwar nicht durchgängig täglich, jedoch mehr als einmal wöchentlich. Täglich erschienen die Danziger Anzeigen, ein Intelligenzblatt, wöchentlich ein Regierungsblatt und ein Prauster Kreisblatt, zweimal im Monat ein Gewerbeblatt und ein Kunstblatt.

Bereits während des Jahres 1804 erschien eine WochenschriftUnterhaltungsblatt an der Weichsel und Ostsee. Nach der Befreiung von der französischen Besatzung gab es eine Fülle neuer periodischer Zeitschriften, gleichsam auch ein Zeichen für die Befreiung von geistiger Knebelung. Beispielhaft seien einige wenige genannt: In den Jahren 1815 und 1816 gab der Historiker Professor Löschin dieGedana heraus, ein literarisches Wochenblatt nach dem Geschmack der Zeit, das in Danzig schon seines Namens wegen sehr bekannt geworden ist. Der Ährenleser auf dem Felde der Geschichte,Literatur und Kunst erschien von 1814 bis 1825 als anspruchsvolles Blatt zweimal in der Woche. 1820 und 1821 erschien das von A. Momber herausgegebene TheaterblattAnsichten der Danziger Schaubühne im bekannten Danziger Verlag von J.C. Alberti, schon 1826 die ZeitschriftKallisto von Ertel, zweimal wöchentlich für die gerade erst im Entstehen begriffenen Badeorte Zoppot und Brösen, und ab 1829 brachte Löschin dieDanziger Anzeigen als Theaterblättchen heraus, und schließlich folgte 1827Der Gesprächige von Schnaase. Eine große Zahl von Schriftstellern aus Danzig und der näheren und weiteren Umgebung beteiligte sich an der Ausgestaltung dieser Zeitschriften und gab ihnen ihren teilweise sehr ansprechenden Rang.

Zu diesen Schriftstellern gehörte auch Wilhelm Schumacher. Er wurde als Sohn eines Fuhrmanns und späteren Regierungsboten geboren und wuchs unter sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Kindheit und Jugend fiel in die vielleicht größte Notzeit Danzigs, in die Zeit der französischen Besatzung der Stadt vom Mai 1807 bis zum Januar 1814. Denn obwohl Napoleon Danzig zu einer Freien Stadt erklärt hatte, wurde die wirtschaftliche und politische Lage Danzigs so katastrophal, daß die Stadt zwei Drittel ihrer Einwohnerzahl verlor. Wilhelm Schumacher lernte bei seinem Vater lesen, besuchte nur etwa ein halbes Jahr eine Freischule und erhielt ein wenig Privatunterricht in den Fächern Französisch, Polnisch und Erdkunde. Gegen Ende der Besatzungszeit trieb ihn der Hunger aus der Stadt. Er schlug sich als dreizehnjähriger Junge bei Bauern und den Belagerungstruppen – Russen, Kosaken und Preußen – bis zur Einnahme der Stadt durch. Anschließend wollte er eine Schule besuchen und Theologie studieren, doch die in der „Franzosenzeit“ völlig verarmte Familie war nicht in der Lage, die Kosten dafür aufzubringen. Wilhelm Schumacher nahm eine Sattlerlehre auf und wurde anschließend Soldat. Während dieser Zeit nutzte er jede sich bietende Gelegenheit, die versäumte Schulbildung nachzuholen. 1821 begab er sich auf Wanderschaft und erwarb sich in Breslau durch ein Gelegenheitsgedicht die Gunst eines Fürsten, in dessen Begleitung er die österreichisch-ungarischen Länder durchreiste. Der Hofmeister des Fürsten wurde ihm Lehrer und Vorbild, auf dieser Reise erhielt er buchstäblich seine Bildung.

Als Schumacher 1823 nach Danzig zurückkehrte, gab er seinen erlernten Beruf auf und arbeitete als Gelegenheitsdichter, Schriftsteller, Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und Redakteur beim GraudenzerGeselligen, einem Unterhaltungsblatt. Er wurde so zu einem bekannten Journalisten und witzigen Berichterstatter, der ab 1826 – zuerst mit einem bezeichnenderweiseErstlingebetitelten Band, einer Sammlung von Erzählungen, Gedichten und Scharaden – auch als Schriftsteller auftrat. Noch im selben Jahr erschien ein satirischer Roman Der große Eremit, oder Liebesabenteuer des Freiherrn Leopold von Lilienfeld und 1828 Lustgedränge und Harfenklänge, eine Sammlung von Balladen, Erzählungen und Gedichten, die schon im Titel den Verfasser als Satiriker ausweisen. Trotz allen Fleißes und auch aller bescheidenen Erfolge war der Hunger sein ständiger Begleiter. Erst als Schumacher sich (nach einem vergeblichenVersuch mit dem Aufmerksamen Zuschauer 1826) entschloß, eine eigene Zeitschrift zu gründen und diese auch ihr Publikum eroberte, hatte die materielle Not ein Ende. Im November 1831 ließ er erstmals dasDanziger Dampfboot erscheinen mit dem Untertitel „Zeitschrift für Geist, Humor, Satire, Poesie, Welt- und Volksleben, Kunst, Literatur und Theater“. Dieser Untertitel war ihm verbindliches Programm, und es ist um so erstaunlicher, daß er dieses Programm mit großem Erfolg bewältigen konnte, als er doch fast alle Beiträge selbst verfaßte. Sein unerschöpflicher Humor, seine witzigen Glossen, seine aktuelle, die Neugierde befriedigende Berichterstattung aus Danzig und Umgebung machten die Wochenschrift bei einem großen Leserkreis sehr beliebt und bescherten ihr hinlänglich viel Abonnenten. Insbesondere seine „Muckeriana“ genannten, locker geschriebenen Aufsätze, die sich recht energisch gegen die Pietisten wandten, führten dasDanziger Dampfboot zu einem schnellen Aufschwung und seinen Redakteur Wilhelm Schumacher zu hoher Anerkennung.

Als Schumacher einige Jahre später in seiner Zeitschrift das Danziger Theaterwesen mit bitterer Kritik angriff, verlor das Blatt vorübergehend seine Beliebtheit und einen Teil seiner Abonnenten. Ab 1. Januar 1837 erschien sogar eine Art Gegenzeitschrift, deren Tendenz sich schon im Titel verriet, derDanziger Dampfwagen, eine von Schnaase und Botzon herausgegebene Wochenzeitschrift, die aber in 104 Nummern nur ein Jahr bestand. Schumacher reagierte auf diese Konfrontation am 1. April 1837 mit der Ankündigung der Herausgabe einer zweiten Zeitschrift, der Danziger Schnellpost, die aber bereits am 30. Juni ihr Erscheinen wieder einstellte. Wilhelm Schumacher war darüber 37jährig gestorben.

Das von Wilhelm Schumacher gegründeteDanziger Dampfboot wurde von dem bekannten und begabten Dr. Ignaz Lasker (gen. Julius Sincerus, der Aufrichtige), der sich später in Berlin als Redakteur und Parlamentsredner einen Namen machte, mit großem Erfolg weitergeführt. Das Dampfboot erschien wenige Jahre später wöchentlich und hatte eine Auflage von 1500 Exemplaren, es bestand bis 1879. So hatte Wilhelm Schumacher den Grundstein gelegt für eine fast ein halbes Jahrhundert bestehende Zeitschrift, die nicht nur gern gelesen wurde, sondern auch durch die Art ihrer Berichterstattung in hohem und anerkanntem Maße belehrend und erziehend auf ihre Leser wirkte. Sie spielte dadurch im Danziger Zeitungswesen eine ganz besonders herausragende Rolle. Schumacher selbst hat sich trotz der überaus widrigen Zeitumstände durch seinen Fleiß und durch seinen Willen eine sehr geachtete Stellung unter den Schriftstellern des Weichsellandes erworben, ohne daß er dabei entscheidende Hilfe durch andere erfahren hätte.

Werke: „Momus“, ein Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire (1828). – „Schellenklänge“, Scherze, Schwänke, Glossen und Satiren (1828). – „Die Eroberung von Varna durch die Russen im J. 1828“, Gelegenheitsschauspiel (1829). – „Zacharias Zappio oder Liebe und Leben eines Danziger Bürgers“, Erzählung (1831). – „Maiblumen und Bergfrüchte“, Sammlung von Schriften in Poesie und Prosa (1836).

Lit.: Bruno Pompecki: Literaturgeschichte der Provinz Westpreussen. Danzig 1915. – Allgemeine Deutsche Biographie, Band 33, S. 38/39.

Hans-Jürgen Kämpfert