Biographie

Schummel, Johann Gottlieb

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Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Pädagoge, Schriftsteller
* 8. Mai 1748 in Seitendorf, Hirschberg/Riesengebirge
† 23. Dezember 1813 in Breslau

Johann Gottlieb Schummel ist ein heute weitgehend vergessener Autor. Während noch ein vierbändigerBrockhaus aus dem Jahre 1926 von ihm Kenntnis nimmt und auf sein Hauptwerk, den komischen SchelmenromanSpitzbart hinweist, kommt er in dem zehnbändigenBertelsmannLexikon aus dem Jahre 1996 nicht mehr vor. Sicherlich kann Schummel wohl kaum als ein großer Zeuge für Schlesien gelten, und er wurde auch in den von Herbert Hupka besorgten Band Große Deutsche aus Schlesien (München 1969) nicht aufgenommen, wenngleich er kurz nach seinem Tode als eine der „gefeiertsten Größen Schlesiens“ charakterisiert wurde (so der Breslauer Historiker Karl Adolf Menzel). Weit mehr: Schummel war zu seiner Zeit in Deutschland bekannt und wurde als Gelehrter, vor allem als ein bedeutender Pädagoge und auch als Autor, wenngleich als dieser nicht unumstritten, geschätzt. Schummel war ein Vertreter der Aufklärung, und in seinem Werk, vor allem in seinen reformpädagogischen Schriften, spiegelt sich dieses Gedankengut wieder. Nicht ohne Einfluß auf ihn war wohl die Philosophie Christian Wolffs (1679-1754) und Christian Garves (1742-1798).

Johann Gottlieb Schummel wurde in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Dorfschulmeisters geboren. Er verlor früh seine Mutter. Von seinem Vater, der das Amt eines Kantors versah, mag er die musikalische Begabung geerbt haben. Während des Besuchs des Hirschberger Gymnasiums beeindruckten ihn Theateraufführungen so stark, daß er sich einer Schauspielertruppe anschloß und sein Vater ihn mit Gewalt zurückholen mußte. Will man den Berichten Glauben schenken, spielte er in Landeshut die Rolle der Panthea im gleichnamigen Stück der Gottschedin (Luise Adelgunde Victorie Gottsched). Nach dem Abschluß des Hirschberger Gymnasiums folgten Studien der Philosophie und der Theologie an den Universitäten Halle und Leipzig (1767-71). Freilich zwangen ihn bedrückende äußere Verhältnisse, eine Stelle als Erzieher bei einem Oberamtmann („ein schweres Amt“) in Aken (b. Magdeburg) anzunehmen, die er 1772 mit dem ihm angetragenen Amt als Präzeptor an der Klosterschule zu Unserer Lieben Frau in Magdeburg vertauschen konnte, protegiert vom preußischen Unterrichtsminister von Zedlitz (1731-1763). Vornehmlich unterrichtete er hier Französisch, Englisch und Italienisch.

In Magdeburg schrieb Schummel auch an seinem erstengrößeren literarischen Werk – dieEmpfindsamen Reisen durch Deutschland(3 Teile, 1771/72), die den Einfluß des englischen Schriftstellers Laurence Sterne verraten. In einer Vorrede heißt es: „Große Begebenheiten sind mir nie begegnet…“ Und: „Kann ich doch selbst nichts weiter, als Histörchen lose aneinanderkleben…“ Goethe bezeichnete das Werk 1772 in denFrankfurter Gelehrten Anzeigen als „Makulaturbogen“ und fand daran „alles unter der Kritik.“

Schummel verbrachte an der Magdeburger Klosteranstalt acht Jahre als ein angesehener Lehrer und versuchte sich weiterhin auch als Schriftsteller; eine Reihe von Beiträgen schrieb er für Zeitschriften, verfaßte Komödien und gab eine Übersetzerbibliothek zum Gebrauche der Übersetzer, Schulmänner und Liebhaber der alten Literatur (Wittenberg-Zerbst 1774) heraus. Viele Reisen, die ihn nach Berlin, Kassel und Göttingen, nach Braunschweig und Hannover, nach Sachsen und Böhmen und in seine schlesische Heimat führten, erweiterten sein Blickfeld und schärften seine aufklärerischen Intentionen. Von größter Bedeutung wurde seine Teilnahme an einer Tagung im Dessauer Philanthropin im Mai 1776, das von Johannes Bernhard Basedow (1734-1780) gegründet worden war. Das hier praktizierte Lern- und Bildungsziel sollte in einem frohen Spiel bestehen, und selbst das Lateinische sollte eine höchst lebendige Angelegenheit sein; Strafen sollten abgeschafft werden (eine bis heute in diesem Geiste wirkende Schule, die 1784 von Christian Gotthilf Salzmann [1744-1811] gegründet wurde, befindet sich in Schnepfenthal bei Gotha).

Schummels pädagogische Erfahrungen, die er im Umgang mit seinen Schülern und im Austausch mit seinen Kollegen sammelte, haben sich in seinem Roman Spitzbart. Eine komisch-tragische Geschichte für unser pädagogisches Jahrhundert (1779) niedergeschlagen – eine Art Persiflage auf „Idealenkrämer im Erziehungswesen“. Auch der Leiter des Dessauer Philanthropinums, Basedow, geriet in die kritische Optik Schummels. Das interessante Werk wurde von dem in Weimar lebenden Literaturwissenschaftler Eberhard Haufe in der DDR neu herausgegeben (eine Ausgabe bei Beck in München 1983 folgte). Schummel schrieb weitere pädagogische Werke: so Wilhelm von Blumenthal (2 Bde. 1780/81) undDer kleine Voltäre (1782) – eine „Lebensgeschichte für unser freigeistiges Jahrhundert“. Im Spitzbart schreibt er: „Ist irgend ein Stand recht eigentlich dazu gemacht, Karikaturen von menschlichen Charakteren zu zeugen, so ist es gewiß der Schulstand. Nur die wenigsten Schulleute haben die Gelegenheit, sich, ich will nicht einmal sagen in der großen, sondern nur in der gesitteten Welt zu bilden: Verachtung oder Fleiß oder Armut schließen sie davon fast gänzlich aus. Das originale Gepräge also, was bei uns andern in der menschlichen Gesellschaft gar bald abgeschliffen wird, bleibt bei ihnen unverändert. Sie sind von keinen kritischen Beobachtern ihrer kleinen Torheiten und Leidenschaften umgeben, sondern nur von Kindern oder Jünglingen, vor denen sie tun zu können glauben, was ihnen beliebt.“ Das klingt wie das literarische Programm Schummels.

In den Jahren 1779 bis 1788 lehrte Schummel an der Ritterakademie zu Liegnitz und folgte danach einem Ruf an das berühmte Breslauer Elisabethgymnasium, wo ihn eine Fülle an weiteren Aufgaben in Anspruch nahm (Lehrtätigkeit unter anderem an der neugeschaffenen Militärakademie). Zudem engagierte er sich, wie das schon in Magdeburg der Fall war, für soziale Belange, was sich auch in der Schaffung einer Schulwitwenkasse für die Hinterbliebenen bedürftiger Lehrer zeigte. ImBreslauer Almanach (Breslau 1801) legte er ein Handbuch über die bedeutendsten Persönlichkeiten der Stadt vor – wie überhaupt eine Reihe von Werken sein Interesse für schlesische Dinge verrät. So erschien 1791 das Buch Schummels Reise durch Schlesien im Julius und August 1791. Es war „auf Kosten des Verfassers“ gedruckt worden und war der Bericht über eine mehrwöchige Reise, die den Autor vorwiegend in die oberschlesischen Regionen sowie auch in die Grafschaft Glatz und einige Flecken in Österreichisch-Schlesien geführt hatte. Am Fuße des Zobten wurde die Reise beendet.

Zweifellos war Schummels Reisebericht auch ein Versuch, auf Grund eigener Beobachtungen und Eindrücke Vorurteile, die über das Reisegebiet („das so fürchterlich beschriebene Oberschlesien“) bestanden, zu korrigieren – Horror-Visionen zu verscheuchen, in denen die dort lebenden Menschen „noch einige Stufen unter den Kalmücken und Kirgisen“ klassifiziert wurden. Schummels Reisebericht enthält eine Reihe von ganz anderen Beobachtungen. „Schummels Buch, in der Forschung durchaus bekannt, unzählige Male zitiert und gewürdigt, wurde wohl aus Verlegenheit [angesichts des Problems Oberschlesien] nicht in seiner vollen Bedeutung erkannt“, wie Wojciech Kunicki darlegt, der im Auftrage der Stiftung Haus Oberschlesien das Buch neu herausgegeben und kommentiert hat. Schummels Reise, so W. Kunicki, „ist ein frühes Zeugnis für das erwachende geschichtliche Interesse an den oberschlesischen Problemen, und so kann es als eines der Beispiele für die Entstehung der Historiographie aus dem Reisebericht verstanden werden: Der Autor spricht über sich selbst als von einem ‘Historiker von Profeßion’, der die beobachteten Daten so genau wie möglichdem belehrungsbedürftigen Publikum darbieten soll.“ Sein Hauptinteressegilt nicht dem Vergangenen, sein Blick richtet sich auf das Zukünftige, er glaubt „an den Fortschritt des Menschengeschlechts“. Zweifellos stellt Schummels Reise durch Schlesien ein aufschlußreiches Kulturdokument dar.

Lit.: M. Hippe: J.G. Schummel. Ein Lebensbild, in: Zeitschr. d. Ver. f. Gesch. Schles. Bd. XXVI (1892), S. 249-281. – Rudolf Heine: Aus dem handschriftl. Nachlasse d. Reformpädagogen J.G. Schummel, in: Jahrbuch d. Vereins f. wiss. Pädagogik. Jg. 41 (1909), S. 1-98. – Franz Wiedemann: J.G. Schummel und die Rektorwahl am Gymnasium zu St. Elisabeth im Jahre 1809/10, in: Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestehens des Gymnasiums zu St. Elisabeth, Breslau 1912, S. 1-91. – Franz Etzin: Joh. Gottl. Schummels Pädagogik. Langensalza 1915. – Wilhelm Gierke: Joh. Gottl. Schummel und seine Romane (Diss. phil., Bern), Borna-Leipzig 1915. – Georg Weigand: J.G. Schummel. Leben und Schaffen eines Schriftstellers und Reformpädagogen. Frankfurt a.M. 1925 (Mit Bibliographie der Schriften von und über Schummel).

Weitere bibliographische Angaben enthält die von W. Kunicki besorgte Buchausgabe „Schummels Reise durch Schlesien im Julius und August 1791“ (Gebr. Mann Verlag Berlin 1995).

 

Günter Gerstmann