Biographie

Schumpeter, Joseph Alois

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Nationalökonom
* 8. Februar 1883 in Triesch/Mähren
† 8. Januar 1950 in Taconic, Connecticut/USA

Dieser Jünger der neoklassischen Schule der Nationalökonomie, dem die modernen Wirtschaftswissenschaften eine der anregendsten, in den 1960er Jahren wieder heftig diskutierten Studien über die Entwicklung des Kapitalismus zu verdanken haben, wurde vor 100 Jahren als Sohn eines Tuchfabrikanten geboren. Er besuchte das There sianum in Wien, wo sich Schumpeter in der Juristische Fakultät einschrieb und 1906 den Titel der Rechte erwarb. 1907-08 war er als Rechtspraktikant am Internationalen Gerichtshof in Kairo, erhielt 1909 die Venia legendi (Lehrerlaubnis) und einen Lehrstuhl in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina. 1911 wurde er an die Universität Graz berufen, wo er bis 1918 lehrte, mit einer zweijährigen Unterbrechung als Gastprofessor an der Columbia-Universität in New York. 1918-19 war er Mitglied der deutschen Sozialisierungskommission in  Berlin, im März 1919 Staatssekretär für Finanzen im Kabinett Rennert in Wien, 1921 Präsident der Biedermann-Bank, 1925 Professor für Finanzwissenschaften in Bonn, 1927/28  und  1930/31  Gastprofessor in Boston-Cambridge an der Harvard-Universität. Dorthin emigrierte er 1932, um bis zu seinem Tode, 1950, in Harvaed zu lehren und zu forschen.

Dank seines enzyklopädischen Wissens und seiner großen analytischen Begabung wurde er zum Mittelpunkt der ökonomischen Fakultät der Harvard-Universität. 1937- 41 war Schumpeter Präsident der „Economic Society“ und wurde 1948 zum Präsidenten der „American Economic Association“ gewählt. Während des Zeiten Weltkrieges geriet der deutschstämmige Sozialwissenschaftler in eine gewisse Isolierung, da er der Sympathie mit der deutschen Seite bezichtigt wurde. Schumpeter beschäftigte sich vor allem mit aktuellen Forschungen der ökonomischen Theorie, betrieb daneben sehr ausführliche dogmengeschichtliche Forschung, auch auf soziologischem sowie auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet. Sein bekanntestes Werk ist „Kapitalismus und Demokratie“ („Capitalism, Socialism and Democracy“), eine weitausholende Studie über die Entwicklung des Kapitalismus und dessen Nachfolgers, des sozialistischen Sozial- und Wirtschaftssystems. Kern der Schupeterschen Theorie bildet die These, daß der ökonomische und damit der soziale Wandel das Ergebnis des Einwirkens einer elitären Schicht auf die ökonomisch Basis sei. Letzte Ursache für das allgemeine Absterben der kapitalistischen Produktionsweise ist nach Schumpeter die Entpersönlichung oder Kollektivierung der Unternehmerfunktion.

Diese Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung blieb lange ohne großen Einfluß, bis sie in den 1960er Jahren im Zusammenhang mit der Diskussion von Entwicklungsproblemen wieder aktuell wurde, auch im Zusammenhang mit den stagnativen Tendenzen der Weltwirtschaft der folgenden Jahre.

Hauptwerke: Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, München u. Leipzig 1908, Nachdruck 1970; Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Leipzig 1912, 61964; Die Krise des Steuerstaates, Graz u. Leipzig 1918; Zur Soziologie der Imperialismen, Tübingen 1919; Business Cycles: A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process, New York u. London 1939 (dt. Konjunkturzyklen, 1961); Capitalism, Socialism and Demokracy, New York 1942, M950, 41959 (dt. Kapitalismus, Sozialismus u. Demokratie 1946, 21950);History of Economic Analysis, 2 Bde., New York u. London 1953, 51963 (dt. Geschichte der ökonomischen Analyse 1965); Ten Great Economists: from Marx to Keynes, New York 1951. Vollständiges Werkverzeichnis: Quarterly Journal of Economics, Vol. LXIV, pgs. 373-84. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. E. Schneider u. A. Spiethoff, l: Aufsätze zur ökonomischen Theorie, 1952; 2: Aufsätze zur Soziologie, 1953; 3: Dogmenhistorische u. biographische Aufsätze, 1954, mit Register.

Lit.: R. Kola: Rückblick ins Gestrige, Wien 1922; Ch. A. Gulick: Österreich von Habsburg bis Hitler, Wien 1948; R. V. Clemence u. F. S. Doody: The Schumpeterian System, Cambridge 1950; G. Haberler: J. A. Schumpeter, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. LXIV 1950, pgs. 333-372; Schumpeter, social scientist, hrsg. v. S. E. Harries, Cambridge, Mass. 1951); R. Schaeder: Schumpeter, J. A., in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 9. Bd., Tübingen 1956; E. März: Zur Genesis der Schumpeterschen Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, in: On Political Economy and Econometrics, Essays in honour of Oscar Lange, Warschau 1964, pgs. 363-88; E. Schneider: J. A. Schumpeter – der Theoretiker, in: E. Schneider: Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, Tübingen 1964: F. Perroux: La pensée économique de J. S., Genf 1965; J. Werner, in: Geschichte der Volkswirtschaftslehre, hrsg. v. A. Montaner, 1967; K. Ausch: Als die Banken fielen, Wien 1968; E. Schneider: J. A. S., 1970 (mit Biographie).