Biographie

Sedlnitzky, Leopold Graf Choltitz von Odrownocz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Fürstbischof von Breslau
* 29. Juli 1787 in Geppersdorf/Österr.-Schlesien
† 25. März 1871 in Berlin

Sedlnitzky entstammte einer angesehenen mährisch-schlesischen Adelsfamilie. Kindheit und Jugend verbrachte er auf dem väterlichen Stammschloß, unterrichtet von Hauslehrern, die ihn im Geiste der katholischen Aufklärung erzogen. Da der Knabe für die geistliche Laufbahn bestimmt worden war, erhielt er schon früh verschiedene Präbenden, zum Beispiel 1802 ein Kanonikat an der Kollegiatkirche zu Neisse. Im Oktober 1804 immatrikulierte sich Sedlnitzky an der Universität Breslau zum Studium der Philosophie und Theologie. Sein besonderes Interesse galt der Auslegung der Bibel. Gerne hörte er die Vorlesungen des von der katholischen zur evangelischen Kirche übergetretenen Professors Adalbert Kayßler, der, ähnlich wie Blaise Pascal und Johann Michael Sailer, eine Einigung der Konfessionen auf der Grundlage biblischer Werte für möglich hielt. Nachdem er 1809 die theologischen Examina abgelegt hatte, empfing Sedlnitzky am 8. Juni 1811 in der Kreuzkirche zu Breslau die Priesterweihe durch Fürstbischof Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein und trat als Assessor und Sekretär in das Bischöfliche Vikariatsamt ein. Seine Mitgliedschaft in der 1805 von Johann Michael Sailer gegründeten Bibelgesellschaft, die sich unter anderem die Verbreitung einer deutschen Übersetzung des Neuen Testaments unter allen Christen zum Ziel gesetzt hatte, trug Sedlnitzky allerdings schon bald Anfeindungen seiner Kollegen und den Argwohn der höheren Geistlichkeit ein, die ihm unterstellten, er habe sich von der katholischen Lehre entfernt. Dieser Vorwurf traf damals noch nicht zu, auch wenn die nach dem Wiener Kongreß einsetzende Restauration Sedlnitzkys Vorstellung von der Zukunft des Christentums zuwiderlief. Da ihm aber angesichts der fortwährenden Verdächtigungen eine weitere Tätigkeit in der kirchlichen Administration unmöglich schien, nahm er einen Ruf des Oberpräsidenten von Schlesien, Theodor von Merckel, an und wechselte als Konsistorialrat in das Provinzialkonsistorium beim Oberpräsidium in Breslau.

Rasch erwarb sich Sedlnitzky die Gunst der preußischen Regierung, die seinen weiteren kirchlichen Aufstieg förderte. Seit 1819 Domkapitular in Breslau, erhielt er 1830 durch königliche Präsentation die Dompropstei und wurde nach dem Tod des Fürstbischofs Schimonsky-Schimoni am 28. Dezember 1832  zum Kapitularvikar gewählt. Sedlnitzky war auch der Wunschkandidat der preußischen Behörden für die Nachfolge auf dem Bischofsstuhl, obwohl an der Kurie schwere Bedenken gegen ihn vorlagen und er selbst bezweifelte, daß er dem Amt gerecht werden könne. Nach zähen Verhandlungen setzte König Friedrich Wilhelm III. schließlich seinen Willen durch. Am 27. Oktober 1835 wählte das Domkapitel Sedlnitzky einstimmig zum Fürstbischof von Breslau; Papst Gregor XVI. präkonisierte ihn am 11. Juli 1836; am 18. September desselben Jahres empfing er im Dom zu Breslau aus der Hand des Erzbischofs von Gnesen-Posen, Martin Dunin, die Bischofsweihe. Doch bald nach seinem Amtsantritt sah sich Sedlnitzky erneut Verdächtigungen und Schikanen ausgesetzt. Unter anderem wurde er gerügt, weil er den Titel "Fürstbischof von Gottes Gnaden" statt des vorgeschriebenen "Fürstbischof von Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnaden" führte. Vertrauliche Dokumente gelangten ohne sein Wissen an die Öffentlichkeit; seine Anordnungen wurden verschleppt oder gänzlich ignoriert. Zum offenen Bruch mit dem Heiligen Stuhl kam es im Zusammenhang mit dem Mischehenstreit, der 1837/38 eskalierte. Da Sedlnitzky nicht auf der katholischen Kindererziehung bestand, sondern an der seit Mitte des 18. Jahrhunderts geübten und noch von Papst Pius VIII. gebilligten Praxis festhielt, welche die stillschweigende Duldung nichtkatholischer Kindererziehung in einer gemischtkonfessionellen Ehe vorsah, rügte ihn Papst Gregor XVI. in einem Schreiben vom 18. Januar 1839 in scharfer Form, forderte die strikte Einhaltung der verschärften Regelung und bezichtigte ihn weiterer Irrlehren wie des Hermesianismus und der Unterstützung des schlesischen Häretikers Anton Theiner. Von diesen zum Teil ungerechtfertigten Vorwürfen zutiefst getroffen, sah Sedlnitzky nur noch einen Ausweg: Am 18. Juli 1840 resignierte er auf sein Bischofsamt; der Heilige Stuhl nahm seinen Rücktritt am 10. Oktober 1840 an.

In der Folgezeit lebte Sedlnitzky überwiegend in Berlin, wo ihn König Friedrich Wilhelm IV. zum Wirklichen Geheimen Rat und Mitglied des Staatsrates ernannte und ihm, da er auf alle Einkünfte aus seiner bischöflichen Stellung verzichtet hatte, eine staatliche Pension aussetzte. Im Laufe der Zeit entfernte sich Sedlnitzky innerlich immer weiter von der zunehmend ultramontanen Ausrichtung der katholischen Kirche. Dagegen beeindruckten ihn die evangelische Spiritualität und Diakonie, die er bei Besuchen in der Herrnhuter Brüdergemeine und im Rauhen Haus zu Hamburg erlebte, sowie das Glaubenszeugnis führender evangelischer Männer, denen er in Berlin begegnete. So war sein Übertritt zur evangelischen Kirche durch Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt am ersten Adventssonntag 1862 in der Berliner Marienkirche nur die letzte Konsequenz einer längeren religiös-geistigen Entwicklung.

Daß es ein katholischer Bischof wagte, offen zum evangelischen Glauben überzutreten, erregte ungeheures Aufsehen und führte unausweichlich zu einer gewissen negativen (katholischerseits) wie positiven (evangelischerseits) Legendenbildung, die eine historisch objektive Darstellung Sedlnitzkys erschwert. Geprägt vom Gedankengut der Aufklärung und offen für die Ökumene, mußte er zwangsläufig mit der restaurativ-ultramontan orientierten katholischen Amtskirche in Konflikt geraten. Persönlich jedoch war er ein zutiefst frommer, um den rechten Glauben ringender Mensch. Einen Großteil seiner Einkünfte stiftete er für soziale Zwecke. So gründete er 1862 in Berlin das "Paulinum", eine Pensionsanstalt für Gymnasiasten, 1869 ebenda ein Konvikt für evangelische Theologiestudenten, das "Johanneum". In seinem Testament bedachte er das Breslauer evangelische Theologenkonvikt mit bedeutenden Mitteln. Die weitere Entwicklung des Katholizismus verfolgte er kritisch, jedoch ohne Polemik. Am 25. März 1871 erlag Sedlnitzky in Berlin den Folgen eines Gehirnschlages. Seinem letzten Willen entsprechend wurde er in seiner schlesischen Heimat auf dem evangelischen Friedhof von Rankau im Kreis Breslau begraben.

Lit.: H. Lother, Leopold Graf Sedlnitzky, in: Schlesische Lebensbilder, Bd. 4, Breslau 1931, Sigmaringen21985, S. 339-347. –  E. Sobotta, Studie zur theologischen Entwicklung des Grafen Sedlnitzky nach seiner Resignation, in: Jahrbuch des Vereins für schlesische Kirchengeschichte 25 (1936), S. 147-154. –  J. Gottschalk, Briefe an den resignierten Fürstbischof von Breslau, Leopold Graf Sedlnitzky, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 2 (1937), S. 185-206. –  Ders., Übertritt, Tod und Grabstätte des ehemaligen Breslauer Fürstbischofs Graf Leopold von Sedlnitzky, in: ebd. 5 (1940), S. 206-213. – K. Müller, Graf Leopold Sedlnitzky, Fürstbischof von Breslau, in: Jahrbuch für schlesische Kirche und Kirchengeschichte N.F. 38 (1959), S. 129-138. –  A. Jongen, Leopold Graf von Sedlnitzky, Fürstbischof von Breslau, Preußischer Staatsrat, Freund und Förderer Wicherns. 1787-1871. Zu seinem 100. Todestag, in: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte N.F. 50 (1971), S. 125-162. –  E. Gatz, Art. Sedlnitzky, Leopold Graf, in: Ders. (Hrsg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803-1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 696-698.

Bild: aus: Schlesische Lebensbilder, a.a.O., Abb. 20.