Biographie

Seeberg, Reinhold

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen), Pommern
Beruf: Theologe
* 5. April 1859 in Pörrafer/Livland
† 23. Oktober 1935 in Ahrenshoop/Pommern

Reinhold Seeberg wurde am 5. April 1859 in Pörrafer (Livland) geboren. In seiner Jugend hatte er die Russifizierungspolitik des Zarenreiches im Baltikum miterlebt. Deshalb bezeichnete er sich wie viele seiner baltischen Landsleute bewußt als „Deutscher und Lutheraner“. Nach dem Theologie- und Philosophiestudium war er zunächst Privatdozent an der Universität in Dorpat (1884); ein Jahr später erhielt er das Extraordinariat ebendort. 1889 wurde er als ordentlicher Professor für Systematische Theologie an die Universität Erlangen berufen. Hier wirkte er fast zehn Jahre, ehe man ihn 1898 als Antipoden zu Adolf von Harnack an die Berliner Universität holte.

Auf seinen Arbeitsgebieten Systematische Theologie (Dogmatik und Ethik), Kirchen- und Dogmengeschichte war Seeberg ein über die Grenzen Berlins hinaus anerkannter und geachteter akademischer Lehrer. Seine Bücher zu theologischen aber auch gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen gehörten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den meistgelesenen. Nicht zu Unrecht kann man Reinhold Seeberg als herausragenden theologischen Wissenschaftler im Wilhelminischen Zeitalter bezeichnen. Außer seinem bedeutenden „Lehrbuch der Dogmengeschichte“, das noch nach dem Zweiten Weltkrieg nachgedruckt wurde, sind alle anderen Arbeiten Seebergs in Vergessenheit geraten bzw. „heute veraltet“ (E. Schott). Theologisch kann man Seeberg als Vertreter des „modern-positiven“ Christentums bezeichnen. Er versuchte das Christentum, das er „als einen Lebensprozeß … zwischen dem absoluten Geist und den von ihm geschaffenen Geistern“ verstand, von seiner inhaltlichen Seite (biblischer Glaube) mit den modernen Bewußtseinsstrukturen zu vermitteln.

Seeberg blieb zeit seines Lebens im guten Sinn konservativ; doch ist ihm bei dieser Einstellung die Sensibilität für soziale Fragen nie verlorengegangen. Er war einer der wenigen Theologieprofessoren seiner Zeit, der sich politischer und gesellschaftlicher Fragen angenommen hat (vgl. nur seine zahlreichen Artikel in der Kreuz-Zeitung oder der Vossischen Zeitung). Auch mit Fragen seiner baltischen Heimat beschäftigte sich Seeberg vornehmlich während und nach dem Ersten Weltkrieg (z.B. Baltenland- und Kultur, Die Erhellung der baltischen Art).

Er hatte für bestimmte Forderungen der deutschen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften ein offenes Ohr, jedoch konnte er ihren Demokratisierungstendenzen keine Gegenliebe entgegenbringen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war er Rektor der Berliner Universität (1919). 1929 wurde Reinhold Seeberg emeritiert. Kurz zuvor hatte er erfolgreich die Promotion seines Schülers Dietrich Bonhoeffer mit der Arbeit „Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche“ betrieben, sowie für Bonhoeffers weitere wissenschaftliche Laufbahn am systematischen Seminar der Berliner Universität gesorgt. Reinhold Seeberg starb am 23. Oktober 1935 in Ahrenshoop. Wenn auch heute seine Theologie und sein Eintreten für bestimmte Positionen im Ersten Weltkrieg, weithin unter dem mißverständlichen Kürzel „Kriegstheologie“ gefaßt, kritisch beurteilt werden (G. Brakelmann, K. Hammer), so wird doch durch die Betonung des Moments der Verkündigung für den modernen Menschen seine Theologie über die Zeit hinaus als bleibend angesehen werden können.

Lit.: Der Nachlaß Reinhold Seebergs befindet sich im Bundesarchiv Koblenz: Bibliographie: H. Lammers, Reinhold Seeberg Bibliographie, Stuttgart-Berlin 1939; E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer, München 19703; G. Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg. Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen Imperialismus, Bielefeld 1974; K. Hammer, Deutsche Kriegstheologie 1870-1918, München 1974; E. Schott, Art. Reinhold Seeberg, in: RGG3 Bd. V, Sp. 1632f. (Lit.!); G. Steege; Mythos. Differenzierung. Selbstinterpretation. Versuch einer erkenntnistheoretischen Grundlegung einer entmythologisierenden Theologie unter kritischem Rückblick auf die induktive Erkenntnismethode Reinhold Seebergs, Hamburg 1953.