Biographie

Silbergleit, Arthur

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Lyriker, Erzähler
* 26. Mai 1881 in Gleiwitz/ Oberschlesien
† 13. März 1943 in KZ Auschwitz

In Oberschlesien mischte sich nicht allein das Deutsche mit dem Polnischen. Viele Menschen mit jüdischen Wurzeln suchten in dieser Region Arbeit und Zuflucht. Hier lebten die Juden seit Beginn der industriellen Revolution meist in den sich rasant entwickelnden Städten. In Preußen bestanden nach einem Edikt von 1812 und dem Judengesetz von 1847 weitgehende Voraussetzungen für ihre Integration in die bürgerliche Gesellschaft. Wenngleich die allseitige Gleichstellung ihnen letztlich dann doch versagt blieb, so fanden sie hier trotzdem viele Möglichkeiten für eine Emanzipation. Diese Juden begriffen sich zuerst als deutsche Staatsbürger. Begeisterte jüdisch-deut­sche Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg sowie die Abwanderung jüdischer Bevölkerung aus dem ab 1922 polnischen Ostoberschlesien nach Deutschland sind letztlich dafür Beispiele.

In Bereichen der Kunst führte diese Entwicklung u.a. dazu, dass eine größere Anzahl jüdisch-stämmiger Dichter und Poeten maßgeblich die Literatur im deutschen Sprachraum bereicherte.

Arthur Silbergleit entstammte einer jüdisch-religiösen Familie, die aus Litauen einwanderte und in Gleiwitz zu einer angepassten, bürgerlichen Existenz fand. Die Familie leugnete trotzdem niemals die Herkunft und hielt auch Traditionen lebendig. Für Silbergleit blieb, trotz katholischer Taufe im jugendlichen Alter, das Judentum seiner Vorfahren immer präsent.

Den Vater, der sich in Gleiwitz u.a. als Fotograf, Künstler und Erfinder betätigte, beschreibt er selbst als einen Mann mit vielen Talenten und Begabungen. Die Mutter war eine sehr empfindsame, religiöse Frau, die in den letzten Lebensjahren, fast erblindet, in einem jüdischen Altersheim in Breslau unterkam. Seine jüngeren Geschwister waren Max, Helene und Charlotte. Der Bruder Max besaß in Gleiwitz später eine Handelsagentur für technische Bedarfe.

Sein Vater starb 1930 eines natürlichen Todes. Alle anderen Familienangehörigen haben den Holocaust nicht überlebt. Einzig sein Neffe (Sohn v. Charlotte), Heinz-Zwi Getz entging der Vernichtung und engagierte sich nach dem Krieg in einer Rettungsaktion für jüdische Kinder. Später war er Kaufmann in Tel-Aviv und setzte sich u.a. für die deutsch-israelische Verständigung ein.

Nach Besuch des Königlichen Katholischen Gymnasiums in Gleiwitz trat Silbergleit eine Lehre beim renommierten, jüdisch-stämmigen Breslauer Privat-Bankhaus Heimann an.

Die Banklehre entsprach in keiner Hinsicht seinen Neigungen. Mit zunehmendem jüdischen Bewusstsein und ausgerüstet mit katholisch geprägten Gymnasial-Wissen, versuchte er mit ersten Gedichten metaphysisch solchem Dasein zu entfliehen. Seine vom Expressionismus beeinflusste Lyrik spiegelte die eigene Gefühlswelt wider. Erste kleine Veröffentlichungen folgten. Der Freund und Schriftsteller, Literaturagent sowie Übersetzer von Jack London, Erwin Magnus, führte ihn in die Breslauer Dichterschule ein. Diese Vereinigung war ursprünglich der Moderne verbunden, begann aber langsam, sprachlich schwülstig in das martialische, nationalmystische Umfeld der Kaiserzeit abzugleiten. Mit der Zeitschrift „Der Osten“ bot sich hier jungen Schriftstellern eine Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Werke. Die Anregungen aus diesem Kreis und Kontakte zu bereits namhaften Literaten, wie Max Hermann Neisse. Paul Hoffmann, Hermann Stehr, Walter Meckauer, Marie Barsch-Muthreich und anderen beeinflussten seine Entwicklung. Jedoch Ende 1907 gab es für ihn in Breslau kein Halten mehr.

Um der verhassten Banktätigkeit schnell zu entkommen, wurde er zuerst Hilfsredakteur und später Mitherausgeber bei der Zeitschrift „Ost und West, Illustrierte Monatsschrift für modernes Judentum“ in Berlin. Unklar bleibt, inwieweit der bekannte Verleger Martin Buber ihm dazu mit verhalf.

Hier trat er jetzt schon mit einem gewissen Ruf als Dichter von Novellen und von Lyrik an. Als er 1912 auf Einladung der Gleiwitzer Loge „Humanitas“ in seiner Heimatstadt Gleiwitz weilte, war im „Oberschlesischen Wanderer“ (1912/232, v. 13. November) zu lesen: „Silbergleit ist einer der sehr wenigen, die sich als gebürtige Oberschlesier weit über den Rahmen ihrer Heimat Lorbeeren sichern konnten“. Weitere Einladungen zu Lesungen sollten folgen.

Berlin wurde zur künstlerischen Heimat. Zahlreiche anregende Kontakte mit von ihm bewunderten Dichtern, wie Max Brod, Franz Werfel, Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal, beförderten sein Schaffen. Gleichwohl musste er seinen Lebensunterhalt noch immer mühsam mit kleinen Honoraren bestreiten.

Im Ersten Weltkrieg war Silbergleit freiwilliger Rot-Kreuz-Sanitäter an der russischen Front und vermutlich auch in Flandern. Eventuell war die Entscheidung für einen solchen Dienst schon durch frühe Kontakte mit dem Gleiwitzer Schriftsteller Paul Mühsam (Cousin v. Schriftsteller Erich Mühsam) beeinflusst, der in dieser Zeit ebenfalls beim Roten Kreuz arbeitete. Beide waren dann etwa ab 1918 freundschaftlich eng verbunden. Selbst schwer erkrankt (Rheuma, Herz- und vermutlich Lungenprobleme), kehrte er nach 9 Monaten Lazarettaufenthalt in Salzburg in diesem Jahr nach Berlin zurück.

In Flandern gab es mit großer Wahrscheinlichkeit eine Begegnung mit dem Arzt und Literaten Gottfried Benn (damals Militärarzt) und während der Salzburger Lazarettzeit dann auch mit Arnold Zweig, mit dem er schon vor Kriegsbeginn bekannt war und der damals dort ansässig war.

Im gleichen Jahr erhält er wegen der Verdienste beim Fronteinsatz die preußische Rote Kreuz-Medaille 3. Klasse verliehen.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für Silbergleit eine schaffensreiche Periode. Zahlreiche Werke entstanden und wurden verlegt. Auch beim jetzt entstandenen Rundfunk fand er ein Betätigungsfeld.

Eine Leserreise nach dem jetzt polnischen Posen war für ihn sehr erfolgreich. Jedoch beschlich ihn das Gefühl, dass die oberschlesische Heimat ihn vergessen hat, wie er in einem Brief an den Beuthener Schriftsteller Alfred Hein beklagt. Im Jahre 1919 erreichte ihn dann doch eine Einladung vom Breslauer Volksrat, um an der Ausstellung „Kultur und Arbeit in Oberschlesien“ mit einer Lesung aus seinen Werken teilzunehmen. Die in diesem Zusammenhang sich ergebenden weiteren Leserreisen führten nach Beuthen, Königshütte und Oppeln.

Als eines der bedeutendsten Werke brachte er den Gedichtzyklus Orpheus mit 600 Gedichten zu Papier, der jedoch erst 1931 auszugsweise gedruckt wurde.

Ein bemerkenswertes Zeitzeugnis Oberschlesischer Kultur ist die Kattowitzer Zeitschrift „Die Gäste“, von der allerdings in dieser Zeit nur vier Nummern erschienen sind. Sie war der zweite Versuch, eine überregionale Kulturzeitschrift mit diesem Namen herauszugeben, nachdem dies 1909-1910 jungen Kattowitzer Literaten unter der Leitung von Arnold Zweig schon einmal misslungen war.

Die erneute Herausgabe 1921 von Franz Graetzer und Richard Lamza beim Kattowitzer Verlag der Gäste war dem Spätexpressionismus zugewandt und wurde professionell hergestellt. Als einziges oberschlesisches Periodikum für Moderne Kunst bot sie der heimischen, künstlerischen Avantgarde eine Plattform und verdeutlichte Oberschlesiens Anteil an deutscher Gesamtkultur. Trotzdem war sie unwirtschaftlich und musste wieder eingestellt werden. Silbergleit war einer der Autoren.

Anlässlich seines 50. Geburtstages wurde er von seiner Heimatstadt Gleiwitz mit der in der Gleiwitzer Hütte gefertigten Eichendorffplakette geehrt.

Von der Stadt Köln erhielt er für die Legende „Die Magd“ den Ehrenpreis und die Berliner „Preußischen Akademie der Künste“ überreichte ihm am 09.10.1931 eine Ehrengabe.

Diese Jahre waren für Silbergleit nie ganz frei von Existenznöten, bis er 1925 eine Gastdozentur an der Berliner Lessing-Hochschule erhielt, damals eine bekannte Weiterbildungseinrichtung auf etwa wissenschaftlich universitärem Niveau.

Ab 1931 erhielt er Zuwendungen der Schillerstiftung.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kehrten die Existenznöte zurück, da seine Werke nicht mehr verlegt wurden und jede andere Tätigkeit in deutschen Medien Juden untersagt war. Als Oberschlesier und Jude, der 1921 beim Plebiszit gemäß Versailler Abkommen, für den Verbleib beim Deutschen Reich votiert hatte, war er aber nach dem deutsch-polnischen Abkommen vom 15.05.1922 vor Verhaftung geschützt, weil die Nazis, auf Druck des Völkerbundes die antisemitische Gesetzgebung für Oberschlesien vorerst zurücknehmen mussten. Nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund wurde dieses Abkommen weiter beachtet, um Polen keinen Vorwand für Gegenmaßnahmen zu liefern. Erst mit seinem Auslaufen am 17.07.1937 betrafen die Rassengesetze auch die oberschlesischen Juden im vollen Umfang. Von da an drohte ihm ständig eine Verhaftung.

Die 1930 geschlossene Mischehe mit Gertrud Michler, einer Verkäuferin aus Guben (Niederlausitz), bewahrte ihn eine Zeit lang vor dieser allerschlimmsten Repressalie. Die Ehefrau bestritt seit 1933 allein mit einem kleinen Gehalt den gesamten Lebensunterhalt des Paares. Kleine materielle Unterstützungen, wie z.B. von der Frauenrechtlerin, Ida Altmann waren hilfreich. Zwei Operationen wegen seiner TBC-Erkrankung waren nur mit finanzieller Unterstützung von Stefan Zweig möglich. Von Krankheiten geplagt, verbrachte er die Zeit mit Arbeiten an Romanen, die nicht zu veröffentlichen waren. Krankheit war der Grund für das Scheitern einer Ausreise in die USA. Versuche, über ein Schweizer Exil nach Frankreich dem Holocaust zu entkommen, waren nicht erfolgreich. Dazu hatte er sich mehrmals an jüdische Organisationen im Ausland gewandt und wurde auch von Freunden unterstützt. Friederike Zweig (Erste Frau von Stefan Zweig) und eine Reihe weiterer Schriftsteller im Exil bemühten sich sehr und beriefen sich dabei auch auf seine Bekanntschaft mit Hermann Hesse, der Silbergleits Werk sehr schätzte. Letztlich scheiterten alle Bemühungen an bürokratischen Hürden und dem zögerlichen Handeln der Gastländer.

In Berlin wurde der chronisch kranke, fast erblindete Dichter dann am 03.03.1943 in seiner Wohnung, in der Ansbacher Str. von der Gestapo verhaftet und nach einer kurzen Haftzeit mit Sammeltransport in das KZ Auschwitz überführt. Dort wurde er vermutlich sofort nach Ankunft am 13.03.1943 grausam ermordet.

Das künstlerische Werk von Arthur Silbergleit ist vor allem durch lyrische Dichtung geprägt. Die Werke entstanden im Spannungsfeld jüdischer Traditionen und Frömmigkeit mit dem christlichen Gedankengut und wurden zudem durch die Kriegserlebnisse nachhaltig beeinflusst. Seine innige Gefühlswelt und Gedanken transportierte der ansonsten bescheidene, eher zurückhaltende Dichter in pathosvolle, sinnhafte Verse, die mythologisch die Wirklichkeit kontrastierten. Zu seiner Zeit verlieh ihm die kritische Presse einige kennzeichnende Beinamen. Am treffendsten waren wohl: „Glöckner der Stille“ oder „Moderner Romantiker“.

Heute vermag sich uns aus seinem Werk nicht mehr alles erschließen, wie z.B. oftmals pathetische Ausführungen zu Themen wie Tod, Krieg und Glauben, in den Reimen dargelegt mit sakraler Frömmigkeit und vergessener, mystischer Symbolik. Eine Durchdringung der Wirklichkeit mit Legenden und Träumen und die poetische Leidenschaft, in Versen wortgewaltig in Szene gesetzt, geht aber auch heutigen Lesern unter die Haut.

Die von dem ihm zugewandten Schriftsteller, Horst Bienek (* 07.05.1930 in Gleiwitz; † 07.12.1990 in München) formulierte Feststellung, dass sich in einigen Werken unter dem Kriegseindruck auch „ziemlich patriotische, heute ungenießbare Verse versammelten“, ist aber durchaus berechtigt. Horst Bienek hat seinem Gleiwitzer Landsmann Arthur Silbergleit in der Tetralogie „Gleiwitzer Kindheit“ mit dem Roman „Septemberlicht“, ein unvergängliches literarisches Denkmal gesetzt.

Vieles aus dem Leben und Werk Silbergleits ist noch nicht aufgearbeitet. Wir alle sind jedoch in der Verantwortung, damit Leben, Schicksal und Werk von Arthur Silbergleit unvergessen bleiben.

Lit.: Else Levi-Mühsam (Hrsg. und Kommentare), Arthur Silbergleit und Paul Mühsam, Würzburg 1994. – Detlef Haberland, Der ‚oberschlesische Orpheus‘. Aspekte des Werkes von Arthur Silbergleit, in: Hans Henning Hahn/ Jens Stüben (Hrsg.), Jüdische autoren Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert. 2., überarb. Aufl. Frankfurt a.M., Berlin, Bern 2002, S. 61-75. – Nina Nowara-Matusik, Ein Haus schwankt aus dem Nebelrauch. Die Darstellung des 1. Welt­kriegs im Werk von Arthur Silbergleit. Studia Literaria Universitatis Iagellonicae Cracoviensis, Katowice 2015 (als PDF in deutsch: https://depot.ceon.pl/bitstream/handle/123456789/5727/Die%20G%E4ste%20Vorboten%20der%20Moderne%20in%20Oberschlesien.pdf?sequence=1). – Robert Rduch, Die Gäste – Vorboten der Moderne in Oberschlesien. Veröffentlichungen des Mitteleuropäischen Germanis­ten­verbandes, Bd. 2, Mitteleuropa Kontakte und Kontroversen, Hrsg. v. Ingeborg Fiala-Fürst et.al., Dresden 1911. Redaktioneller Beitrag: Der Dichter Arthur Silbergleit. Oberschlesien im Bild,1927/25. – Johannes Nebmaier, „Abwärts“. Ida Altmann-Bronn, Berlin 2015, S.171 ff. / 222 S. – Ostdeutsche Morgenpost 1931, Jg. 13, Nr.142, 24.05.1931, Katowice, S. 5/40. – Oberschlesischer Wanderer 1931, Jg. 104, Nr. 120, 23.-25.05.1931, Gleiwitz, S. 18/26. – Jadwiga Sebesta/ Eugeniusz Szymik, Arthur Silbergleit (1881-1943) żydowski outsider z Gliwice. Na zachód od Edenu … czyli mit Górnego Śląska oczyma niemieckojęzycznych pisarzy i poetów – emigrantów, Ustron 2014 in polnischer Sprache. (Übersetzung: „Arthur Silbergleit (1881-1943) – der jüdische Außenseiter von Gleiwitz. Westlich von Eden … der Mythos von Oberschlesien in den Augen deutsch-sprachiger Schrift­steller und emigrierter Poeten). – Art. Arthur Silbergleit, Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 19 (Sand – Stri), Berlin/ Boston 2012, S. 234 ff. – Art. Arthur Silbergleit, Wikipedia (deutsch), URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Silbergleit, abgerufen am 06.03. 2018. – Art. Arthur Silbergleit, in: Poesiealbum 327, Planet Lyrik, URL: http://www.planetlyrik.de/arthur-silbergleit-poesiealbum-327/ 2017/02, abgerufen am 07.03.2018.

Bild: Unknown – National Library of Israel, Schwadron collection.

Helmut Steinhoff