Biographie

Simpson, William von

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Schriftsteller
* 19. April 1881 in Nettienen, Kr. Insterburg/Ostpr.
† 11. Mai 1945 in Scharbeutz/Holstein

Der auf dem Rittergut Georgenburg zu Nettienen bei Insterburg geborene, schon als Achtjähriger vaterlos gewordene William von Simpson trat, der Familientradition entsprechend, eine landwirtschaftliche Ausbildung in seiner ostpreußischen Heimat an. Nach der Studienzeit absolvierte er den Militärdienst bei den Husaren und hielt sich zeitweilig als Offizier in Deutsch-Südwestafrika auf. Schließlich kaufte er das im Kreis Preußisch-Eylau gelegene Gut Groß-Lauth, verließ aber schon 1913 Ostpreußen, um eine Position als Landstallmeister des lippeschen Sennegestüts Lopshorn im Teutoburger Wald anzunehmen.

Bei Kriegsausbruch 1914 zog Simpson ins Feld. Die Erlebnisse auf einem Ritt von Pommern bis nach Konstantinopel faßte er in dem 1916 erschienenen Werk Im Sattel vom Ostseestrand bis zum Bosporus zusammen. 1918 äußerte er sich zuTagesfragen zur deutschen Pferdezucht. Nach dem Kriege lebte Simpson fünf Jahre in Brasilien, anschließend in Berlin und Graz, seit 1935 in Scharbeutz in Holstein. Hier beging der 64jährige beim Einmarsch der englischen Truppen im Mai 1945 Selbstmord. Seit 1916 war Simpson mit der ebenfalls alsSchriftstellerin (unter anderem Reiterin in Tag und Traum, 1938) wirkenden Margot von Gustedt, geschiedene von Herder, verheiratet.

Über zwanzig Jahre lang arbeitete der weitgereiste Simpson an dem FamilienromanDie Barrings, der 1937 erschien und mit dem Roman Der Enkel zwei Jahre später eine Fortsetzung erhielt. Beide Werke bieten auf gut fünfzehnhundert Seiten ein breitangelegtes Kulturbild des ostpreußischen Großgrundbesitzertums in der Zeit zwischen 1875 und 1900. Hauptfigur ist der alte Archibald von Barring, Inbegriff aller positiven Eigenschaften des konservativen ostpreußischen Landadels, patriarchalisches Familienoberhaupt und Mittelpunkt der weitverzweigten Sippe. Ihm wird die schöne, aber gefühlskalte, intrigante und "städtische" Gerda von Eyff, seine Schwiegertochter, gegenübergestellt, die nach dem Tode des Alten und einem Unfall ihres Mannes, blind für die Würde des Landlebens, seine kulturellen Leistungen und Traditionen, den Familienbesitz verschleudert. Im Enkel, gleichfalls Archibald mit Namen, leben die alten Tugenden wieder auf. Ihm gelingt es, nach mancherlei Schwierigkeiten und Enttäuschungen, einen Teil der alten Güter zurückzuerwerben. Mit dem Kriegsausbruch 1914 schließt der Roman.

Simpson hat dem alten Archibald von Barring in seiner schlichten Geradlinigkeit unverkennbar Züge Wilhelms I. verliehen. Wie er alle Ränke und Schliche durchschaut, läßt er allerdings eher an Bismarck denken, dessen Verehrung immer wieder zur Sprache kommt. Das Schicksal des Sohnes Fried schließlich gemahnt an das des "99-Tage-Kaisers" Friedrichs III. Sind die Barrings also eine verschlüsselte preußische Geschichte – nur diesmal mit positivem Ausgang, weil sich der Enkel auf die Tugenden des Großvaters besinnt? Das sicher nicht, obwohl deutlich der Kontrast zwischen der gediegenen konservativen Einstellung politischer Kreise der Bismarck-Zeit und der parvenühaften Geschäftigkeit der Eliten Wilhelms II. herausgestellt wird.

Die große Politik ist allerdings in der Handlung der Romane nur eine Nebensache. Wenn auch die Rolle des alten Barrings als Mitglied der Konservativen Partei und immer wieder die gerade aktuellen politischen Probleme skizziert werden – unddas Werk zum Teil ins freundlich geschilderte England hineinführt -, ist es doch die Beschreibung des Lebens auf den ostpreußischen Gütern, das den größten Teil der Romane ausmacht. Familienfeste und -treffen folgen aufeinander, man treibt beschauliche, nur zum Teil auch politische Konversation, reitet auf die Felder oder zur Jagd, beschäftigt sich intensiv mit der Pferdezucht – aus der Perspektive des patriarchalischen Landedelmanns wird das Landleben in Ostpreußen als "heile Welt" geschildert, in der jeder Stand seine eigene Last zu tragen hat. Zwar mangelt es nicht an Szenen unter den Bediensteten und Tagelöhnern, doch fehlt ihnen jeder realistische oder naturalistische Zug. Daran dürften die Leser dieser Romane indes auch nicht interessiert gewesen sein. Obwohl in weiten Passagen "Standesliteratur", wurden Simpsons Werke vor allem vom Bürgertum gelesen. Die Behaglichkeit in der Schilderung des Landlebens, der Schlösser und Gutshäuser und deren Interieurs, die sichere Gewißheit des letztlich guten Endes, ein nicht geringer Schuß Sentimentalität und "Kitsch", wozu auch die scharfe Abgrenzung zwischen "guten" und "bösen" Charakteren zählt – es fällt schwer zu entscheiden, was letztlich für den großen Erfolg derBarrings gesorgt hat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von William von Simpson lediglich diese beiden Romane erneut aufgelegt, allerdings in hunderttausendfacher Auflage, und schließlich auch verfilmt. Im Jahre 1956 verfaßte Hubertus William von Simpson eine weitere Fortsetzung der Familiengeschichte unter demTitel Das Erbe der Barrings, die das Schicksal des Geschlechts, insbesondere des "Enkels" durch die politischen Wirren weiterverfolgt und die Familie schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein wieder Fuß fassen läßt.

Die kritische Rezension der beiden Romane fällt angesichts des Beschriebenen leicht. Und dennoch sollte auch bedacht sein, wie vielen Lesern insbesondere aus dem Westen Deutschlands gerade durch die leichte Eingängigkeit der Romaninhalte und der einfachen Identifizierungsmöglichkeiten das Schicksal der Familie Barring einen ersten Begriff davon gegeben hat, was die Provinz Ostpreußen und die Besonderheit seiner Bewohner ausmachte. Um zu einem ausgewogenen Bild zu kommen, wird man freilich anderes heranziehen müssen, um aber einen Einblick in das Selbstverständnis der ostpreußischen Gutsbesitzer zu erhalten, ist Simpsons Werk geeignet wie kaum ein zweites.

 

  Rainer Täubrich