Sie liebte Pferde. Welches Mädchen nicht. Ob sie gerne geritten ist, ist nicht überliefert, denn sie war sehr groß, ausgewachsen 1,80 Meter, in der Schule wurde sie deshalb gehänselt. Aber gezeichnet hat sie Pferde, auch andere Tiere. Berühmt geworden ist ihr Berliner Bär, der einen begrüßte, wenn man von Westen kommend, die DDR passierte und wieder im Westen gelandet war, nämlich am Grenzübergang Dreilinden in Westberlin. Auch heute noch stehen an Grenzmarkungen ihre bekannten Bären. Obwohl sie auch den Berliner Filmbären geschaffen, der jedes Jahr in Gold, Silber und Glas an die Filmschaffenden aus aller Welt verliehen wird, ist sie selber allerdings ziemlich unbekannt. Das ist oft das Schicksal von Künstlerinnen, dass sie noch eher in Vergessenheit geraten als ihre männlichen Kollegen.
Geboren wurde Renate Alice Sintenis am 20. März 1888 in Glatz. Ihr Vater war Justizrat, die Familie hugenottischer Herkunft. Ihre Jugend verbrachte sie in Neuruppin und Stuttgart. An der Oberschule in Stuttgart bekam sie den ersten Zeichenunterricht. Von 1907 bis 1910 studierte sie Dekorative Plastik an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin. Sie musste ihr Studium abbrechen, um beim Vater als Sekretärin zu arbeiten Deshalb entfloh sie ihrem Elternhaus und zog mit einer Freundin zusammen.
Ab 1913 hatte Renée Sintenis mit ersten kleinformatigen plastischen Arbeiten Erfolg und war auch bald in den Ausstellungen der Berliner Secession vertreten, der heute am Gebäude des Kurfüstendamm-Theater mit einer Gedenktafel gedacht wird.
Im Umfeld des Kurfürstendamms hatten vor dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren eine Unmenge von Literarischen Cafes und Kabaretts ihr Zuhause, allem voran das Cafe des Westens und das Romanische Cafe. Hier verkehrte Renée Sintinis, hier traf sie berühmte Leute. Eine lebenslange Freundschaft mit Ringelnatz beginnt hier. Sie lernten sich 1922 auf einem Künstlerball kennen. Ihr Mann, der Maler und Graphiker Emil Rudolf Weiß und sie förderten Ringelnatz, den sie auch portraitierte. In der renommierten Galerie Flechtheim ermöglichten sie Ausstellungen seiner skurrilen Zeichnungen. Renèe Sintenis hat 1934 die Grabplatte auf Ringelnatz’ Grab in Charlottenburg aus „Muschelkalk“, wie er seine Frau Leonharda Pieper genannt hatte, gestaltet. „Mein richtiges Herz/ Das ist anderwärts, irgendwo/ Im Muschelkalk“ (Gedicht von Ringelnatz).
1921 stirbt August Gaul, der seit 1898 zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession gehört, seit 1908 Professor an der Akademie der Künste ist und 1919 in die Ankaufskommission der Berliner Nationalgalerie berufen wird. Gaul war der erste Bildhauer, der eine autonome Tierplastik etablierte. Vorher waren Tiere nur schmückende Attribute. Inhaltlich wird Sintenis seine Nachfolgerin, ihre Tiere jedoch sind fast immer in Bewegung, dynamisch, während Gauls Tiere eher beschaulich verharren. In Böhmen wird es zeitgleich ebenfalls einen Bildhauer geben, Emil Schwantner, in Prag bei Myslbek ausgebildet, ein Jahr bei Franz Metzner am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und in Berlin arbeitend, den man den Böhmischen Gaul nennen wird. Auch er hat wie Gaul die Tiere im Zoo beobachtet und ist wie Sintinis fasziniert von der Bewegung der Tiere, als habe das dynamische Jahrzehnt der Roaring Twenties auch die Tiere erfasst.
Ihr Kunsthändler Alfred Flechtheim präsentierte ihre Arbeiten unter anderem in Paris und New York. 1931 wird sie als erste Bildhauerin Mitglied in der Berliner Akademie der Künste. Sie macht meist kleinformatige Skulpturen, besonders gern auch Sportler, bei denen sie ähnlich wie bei den Tierplastiken ihre Begeisterung für die Bewegung zeigen kann.
Wie fast allen Kunstschaffenden ihrer Epoche setzt die Nazizeit Beschränkungen oder ein Ende. Obwohl sie 1934 wegen der Herkunft ihrer Mutter aus rassischen Gründen aus der Akademie der Künste ausgeschlossen wurde, konnte sie als „Vierteljüdin“ Mitglied der Reichskulturkammer bleiben und somit weiterarbeiten.
1942 stirbt ihr Mann, 1945 wird ihre Wohnung zerstört und sie verliert ein Großteil ihrer Werke. Ab 1947 arbeitet sie als Professorin an der Berliner Hochschule für Bildende Künste. 1955 wird sie in die neugegründete Akademie der Künste von Westberlin aufgenommen. Im Jahr 1957 wird die Statue des Berliner Bären als lebensgroße Bronzeplastik auf dem Mittelstreifen der heutigen Bundesautobahn 115 zwischen Dreilinden und dem Autobahnkreuz Zehlendorf aufgestellt. Ein weiteres Exemplar hatte der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, 1960 auf der Berliner Allee in Düsseldorf eingeweiht. Ferner 1962 wird das Bronzedenkmal des Berliner Bären von Sintenis auf dem Mittelstreifen der Bundesautobahn 9 auf Höhe der heutigen Anschlussstelle München Fröttmaning-Süd enthüllt. Auch USA-Präsident John F. Kennedy erhält bei seinem Berlin-Besuch am 26. Juni 1963 diese kleine Bärenstatuette von Willy Brandt überreicht.
In Berlin-Friedenau, wo alle ihre Bronzefiguren bei Noack gegossen wurden, gibt es einen Renée-Sintenis-Platz, in dessen Mitte ihr anmutiges grasendes Fohlen aus Bronze steht, das sehr beliebt ist. Es wird sommers wie winters von den Kindern der Nachbarschaft mit frischem Gras oder Heu versorgt.
Renée Sintenis stirbt am 22. April 1965; am Haus ihrer letzten Wohnung in Berlin-Schöneberg, Innsbrucker Straße 23a, befindet sich eine Gedenktafel, auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem hat sie ein Ehrengrab des Landes Berlin.
Lit.: Silke Kettelhake, Renée Sintenis, Osburg Verlag, Berlin/Hamburg 2010.
Bild: Medaille von Johannes Henke 1978.
Jenny Schon