Werner Sombart war wohl der meist gelesene und gewiß einer der einflußreichsten deutschen Sozialwissenschaftler im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Viele seiner Bücher erreichten enorm hohe Auflagen und wirkten wie seine zahllosen öffentlichen Vorträge weit über die universitäre Wissenschaft hinaus. Heute scheint sein Ruhm lange verblaßt. Angesichts der überwiegend ahistorischen Orientierung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften scheinen die Arbeiten des letzten großen Vertreters der historischen Schule der Nationalökonomie an Bedeutung verloren zu haben. Auch für die „historische Sozialwissenschaft“ – den Begriff hat Sombart geprägt – bleibt er noch zu entdecken. Angesichts dieser relativen Vernachlässigung wird häufigvöllig zu Unrecht angenommen, daß sein Werk auch zu Lebzeiten auf weniger Interesse als das Max Webers oder Georg Simmels gestoßen sei. Obwohl er als vermeintlicher Sympathisant der Sozialdemokratie lange ein Außenseiter im akademischen Leben war und erst spät (1917) zum Ordinarius berufen wurde, gehörte Sombart schon früh den Schlüsselorganisationen der Sozialwissenschaftler seiner Zeit an: Seit den frühen 1890er Jahren zählte er zu den führenden Mitgliedern des „Vereins für Sozialpolitik“ und spielte später eine zentrale Rolle bei der Gründung der „Gesellschaft für Soziale Reform“. Als Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik beeinflußte er die wohl wichtigste sozialwissenschaftliche Zeitschrift des wilhelminischen Kaiserreichs, und seit den zwanziger Jahren lenkte er gemeinsam mit Ferdinand Tönnies und Leopold von Wiese die Geschicke der 1909 gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“. Neben seinem wissenschaftlichen Werk begründet vor allem sein politischer Werdegang das Interesse an der Biographie Werner Sombarts. Galt er in den 1890er Jahren, wie er selbst rückblickend meinte, als „erklärter Sozialdemokrat“, so wünschte er 1932 in seinem einflußreichen Vortrag über Die Zukunft des Kapitalismus mit Blick auf Mussolini, „daß auch unserem Vaterlande die Gnade eines solchen Willens beschieden sein möge“.
Geboren als Sohn eines reichen Rittergutsbesitzers und Zuckerfabrikanten trat Werner Sombart nach Abschluß seines Studiums in Pisa und Berlin zunächst eine Stelle als Syndikus bei der Bremer Handelskammer an. Doch schon 1890 wurde er –ohne je Privatdozent gewesen zu sein – auf ein Extraordinariat nach Breslau berufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er neben seiner Dissertation über Die römische Campagna (1888) nur einige kleinere Arbeiten publiziert. In der Folgezeit erregte er jedoch mit seinen Aufsätzen, die der späten Marx-Rezeption in der deutschen Sozialwissenschaft entscheidende Anstöße gaben, erhebliches Aufsehen, und spätestens der 1896 publizierte Band Sozialismus und soziale Bewegung trug ihm den Ruf des „erklärten Sozialdemokraten“ ein. Sombarts Interesse am Fortgang der Arbeiterbewegung schlug sich indessen nicht nur publizistisch nieder. In Breslau war er z.B. als Stadtverordneter politisch aktiv und leitete die dortige Ortsgruppe der „Gesellschaft für Soziale Reform“, die besonders eng mit Vertretern der Sozialdemokratie zusammenarbeitete. Wichtiger noch für seine herausragende Position unter den Nationalökonomen und Soziologen seiner Zeit war indessen Der moderne Kapitalismus. Dieses 1902 erstmals in zwei dicken Bänden erschienene Hauptwerk führte den Kapitalismusbegriff erst eigentlich in die universitäre Diskussion der Jahrhundertwende ein. In diesem groß angelegten Versuch, Theorie und Geschichte zu verbinden, entwickelte er seine Vorstellungen von der zentralen Bedeutung eines spezifisch kapitalistischen Geistes, die nicht zuletzt Max Weber stark beeinflußten. Noch größere Breitenwirkung erzielte wohl seine ein Jahr später vorgelegte Studie Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, in der bereits einige der kulturkritischen Momente anklingen, die in den folgenden Jahren den Schwerpunkt der Sombartschen Publizistik ausmachten. Unter dem Eindruck einer Amerikareise und geprägt von der Freundschaft zu Carl Hauptmann, dessen Nachbar in der Künstlerkolonie Mittel-Schreiberhau (im Riesengebirge) er seit 1903 war, spürte er nun vor allem den zunehmend negativ bewerteten kulturellen Folgen kapitalistischer Entwicklung nach. 1906 wechselte er an die Handelshochschule nach Berlin. Während seiner dortigen Lehrtätigkeit entstanden wichtige Vorstudien zur 1916/1917 erschienenen Neuauflage des Modernen Kapitalismus, in denen er versuchte, einzelne wichtige Faktoren für die Entstehung und Durchsetzung des Kapitalismus zu isolieren. Die Neuauflage seines Hauptwerks trug entscheidend dazu bei, daß Sombart 1917 an die Universität Berlin berufen wurde. Er fand jetzt nicht nur breitere wissenschaftliche Anerkennung, auch politisch hatte er sich seinen Fachkollegen stärker genähert. Seine 1915 erschienene Schrift Händler und Helden zählt zu den schlimmsten Zeugnissen professoralen Chauvinismus der Weltkriegszeit, und mit seiner 1924 vorgelegten Abrechnung mit dem Marxismus Der proletarische Sozialismus verfocht er Positionen, die in universitären Kreisen mit breiterer Zustimmung rechnen durften als seine Frühschriften. Am deutlichsten knüpfte er an letztere nochmals mit dem 1927 in zwei Halbbänden erschienenen dritten Band eines Modernen Kapitalismus an, der ebenso wie seine daran anschließenden Analysen der zeitgenössischen Wirtschaft große Aufmerksamkeit auch außerhalb der universitären Wissenschaft erregte. Das läßt sich weder von seinem methodologischen Hauptwerk Die drei Nationalökonomien (1930) noch von seinem letzten Buch Vom Menschen (1938) behaupten. Dagegen ist SombartsDeutscher Sozialismus (1934) schon von den Zeitgenossen recht unterschiedlich gedeutet worden. So wenig Zweifel indes an seiner Sympathie für einen autoritär verfaßten Staat und an seinen Hoffnungen auf das nationalsozialistische Regime bestehen können, so viele offene Fragen gibt es noch in bezug auf die Wandlungen der politischen Haltung dieses bedeutenden Gelehrten in seinem letzten Lebensjahrzehnt.
Weitere wichtige Werke: Dennoch! Aus Theorie und Geschichte der gewerkschaftlichen Arbeiter-Bewegung (1900). – Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus? (1906). – Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911). – Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen (1913). – Luxus und Kapitalismus (1913). – Krieg und Kapitalismus (1913). – Neo-Soziologie (1956 – posthume Aufsatzsammlung). – Allgemeine Nationalökonomie. Nach Vorlesungen und Seminarübungen bearbeitet und hg. von Walter Chemnitz (1960).
Lit.: Bernhard vom Brocke: Werner Sombart 1863-1941. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, in: Ders. (Hg.): Sombarts ,Moderner Kapitalismus‘. Materialien zur Kritik und Rezeption. München 1987, S. 11-65 (mit der älteren Literatur). – Hinnerk Bruhns/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.): Journée d’études Werner Sombart. Paris 1990.
Bild: Porträtfoto von 1935. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.