Biographie

Sömmering, Samuel Thomas von

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Anatom
* 28. Januar 1755 in Thorn/Westpr.
† 2. März 1830 in Frankfurt/Main

Samuel Thomas Soemmerring wurde am 28. Januar 1755 in Thorn, an der Ostseite des Altstädtischen Marktes, als Sohn des Stadtarztes geboren. Seit frühester Jugend mit anatomischen Sektionen vertraut, erhielt er am evangelischen Akademischen Gymnasium auch Anatomie- und Physiologielehrstunden. Er immatrikulierte sich 1774 an der Göttinger Georgia Augusta, der führenden deutschen Universität und studierte Medizin. Schnell fiel seinen Lehrern Soemmerrings außerordentliche Begabung und sein überdurchschnittlicher Fleiß auf. Der freundschaftliche Kontakt mit dem späteren Begründer der modernen Anthropologie, Johann Friedrich Blumenbach, seinem ersten Studienfreund, währte lebenslang. Mit seiner Dissertation über die Hirnbasis und die das Hirn verlassenden Nerven, in der er einen neuen Hirnschnitt einführte, wies Soemmerring 1778 der Hirnforschung neue Wege. Seine Zählung der damals bekannten Hirnnerven gilt bis heute. Als wichtigster Rezensent medizinischer Literatur für die „Göttinger Gelehrten Anzeigen“, das führende deutsche Rezensionsorgan, blieb er seiner Alma Mater immer verbunden. Deren Herausgeber, der Bibliotheksdirektor Christian Gottlob Heyne, wurde sein väterlicher Freund.

Auf einer Studienreise durch Nordwesteuropa lernte Soemmerring 1778/79 die Koryphäen seines Faches kennen. Dazu zählten der niederländische Mediziner und Naturforscher Petrus Camper und in London der Naturforscher und Weltumsegler Georg Forster aus dem Danziger Werder, der sein engster Freund wurde. Auf dessen Vermittlung erhielt Soemmerring 1779 eine Medizinprofessur in Kassel, wo er ausgezeichnete praktische Arbeitsbedingungen vorfand und mit Forster und dem Historiker Johannes Müller zu den Exponenten der Kasseler Aufklärung zählte. Am modernsten deutschen Anatomietheater sezierte er zahlreiche menschliche Leichen, auch Mohren, und tierische Kadaver, darunter Exoten aus der berühmten landgräflichen Menagerie. Den Schädel eines von ihm 1780 präparierten indischen Elefanten lieh er Johann Wolfgang Goethe – Beginn einer lebenslangen Gelehrtenfreundschaft. 1783 entdeckte Soemmerring die Sehnervenkreuzung im Säugetierhirn und ließ in Kassel den ersten deutschen Freiballon aufsteigen – eine mit Gas gefüllte, gefirnisste Fruchtblase. Seine Forschungen wurden zur Basis für spätere, grundlegende Studien u. a. zur vergleichenden Anthropologie, Embryologie und Teratologie.

Als Professor für Anatomie und Physiologie lehrte und forschte Soemmerring 1784-1797 an der Mainzer Hochschule und verhalf dieser zu einem vorher nie gekannten Ansehen. Dort entstanden seine wichtigsten medizinischen Publikationen, darunter die in mehrere Sprachen übersetzte, führende deutsche Anatomie-Enzyklopädie „Vom Baue des menschlichen Körpers“ (1791-1796). Daneben veröffentlichte er zahlreiche Schriften zur Anatomie und Physiologie und entdeckte in Mainz 1791 den Gelben Fleck in der Augennetzhaut. Mit Schriften über die Schädlichkeit des Korsetts und gegen die Anwendung der Guillotine wurde er auch in der Öffentlichkeit sehr bekannt. Als erster Mediziner beschrieb Soemmerring 1795 einen Zusammenhang zwischen Pfeifenrauchen und der Entstehung von Unterlippenkrebs. Mit der Entdeckung dunkler Ablagerungen im nach ihm benannten Nervenzellenkern im Mittelhirn leistete er 1800 einen Beitrag zur Erforschung der Parkinson-Krankheit. Seine vier großformatigen Publikationen über die menschlichen Sinnesorgane (ab 1801) sind auch künstlerische Meisterwerke. 1792 heiratete Soemmerring in Frankfurt am Main die aus angesehener Kaufmannsfamilie stammende Margarethe Elisabeth Grunelius. Im Verlauf der Französischen Revolution verlegte er seinen Wohnsitz nach Frankfurt, wo er inzwischen der Bürgerschaft angehörte und 1793/96 seine beiden Kinder geboren wurden. Aufsehen erregte Soemmerring 1796 mit der Immanuel Kant gewidmeten Schrift „Über das Organ der Seele“. Bei dem Versuch, den Sitz der Seele im Hirn zu lokalisieren, vermischte er Physiologie und Philosophie. Als Mitglied der praktischen Ärzteschaft verkehrte Soemmerring in den gehobenen Kreisen des Frankfurter Bürgertums. Mit einem Kollegen führte er gegen zahlreiche Widerstände 1800/1801 in Frankfurt die Pockenschutzimpfung ein.

Nach dem frühen Tod seiner Frau erhielt Soemmerring Stellenangebote aus dem In- und Ausland, wurde 1805 Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München und dort 1808 in den persönlichen Adelsstand erhoben – Ritter Samuel Thomas von Soemmerring. Der Mediziner wandte sich zunehmend anderen Fachgebieten zu und kombinierte 1809 eine Voltaische Säule mit der Elektrolyse des Wassers zum Elektr(ochem)ischen Telegraphen. Seine Erfindung gilt als ein Meilenstein in der Entwicklung der Nachrichtentechnik. In München avancierte Soemmerring zudem zu einem deutschen Pionier der Paläontologie und veröffentlichte vorbildliche Schriften.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Soemmerring ab 1820 in Frankfurt, wo er die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und den Physikalischen Verein mitbegründete sowie astronomische Forschungen durchführte. Die Londoner Royal Society und die Académie Royale de Médicine in Paris nahmen ihn unter ihre Mitglieder auf. Anläßlich der Feierlichkeiten zu seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum wurden Soemmerring zu Ehren 1828 eine Medaille geprägt und ein begehrter Preis für Physiologie und Anatomie gestiftet. Ein Mondkrater, eine Gazelle, ein japanischer Fasan und ein Saurier tragen seither seinen Namen. Soemmerring starb am 2. März 1830 in Frankfurt, wo man ihm 1868 ein Denkmal errichtete. Bis heute werden in Mainz und Frankfurt Preise auf seinen Namen ausgelobt. Nach ihm sind Plätze und Straßen u. a. in Berlin, Kassel, Mainz und Frankfurt und ein medizinisches Institut in Bad Nauheim benannt. Für ihn wurden in Thorn und Göttingen Gedenktafeln enthüllt. Der universale Forscher Soemmerring stand in Kontakt mit den führenden Dichtern und Denkern um 1800, darunter Forster, Goethe, Blumenbach, Jacobi, Kant, Heinse, die Brüder von Humboldt, Lichtenberg und Fraunhofer, und er ist auch eine bedeutende Persönlichkeit der deutschen Kulturgeschichte zwischen Aufklärung, Französischer Revolution und Romantik. In den letzten Jahrzehnten wird er durch Forschungsarbeiten für die Fachwelt wiederentdeckt sowie mittels Ausstellungen auch in der breiten Öffentlichkeit wieder bekannter.

Lit.: In der im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, herausgegebenen Edition „Samuel Thomas Soemmerring, Werke“ (Verlag Schwabe, Basel) werden Soemmerrings Werke nach Sachgruppen geordnet originalgetreu wiedergegeben und kommentiert. Die Reihe „Samuel Thomas Soemmerring, Forschungen“ erschließt die Wissenschaftsgeschichte der Goethezeit. Nähere Informationen zu den Soemmerring-Ausstellungen des Westpreußischen Landesmuseums Münster auf der Internetseite www.uni-goettingen.de/de/sh/21306.html.

Rolf Siemon