Biographie

Spahn, Martin

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Historiker
* 7. März 1875 in Marienburg/Westpr.
† 12. Mai 1945 in Seewalchen, Attersee/Österreich

Die Begeisterung für Preußen und seine Geschichte empfing Martin Spahn, wie er in seiner Autobiographie berichtet, durch das Hochmeisterschloß des Deutschen Ordens, das in der Nähe seines Elternhauses lag. Seine preußisch-nationale Gesinnung prägten die Berliner Professoren Heinrich von Treitschke, Max Lenz, Kurt Breysig und Gustav Schmoller, bei dem er seine Dissertation über die Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Herzogtums Pommern von 1478 bis 1625 schrieb. Zwei Jahre später, 1898, habilitierte er sich mit einer Arbeit über den ReformationstheologenJohannes Cochläus. Größere Arbeiten widmete er der preußischen Geschichte des 17. Jahrhunderts, in dem er – mit dem traditionellen Geschichtsbild brechend – das glorreichste des Hohenzollernstaates und das Jahrhundert der "Wiedergeburt" Deutschlands sah.

Spahn war empfänglich für die wechselnden Methoden der Geschichtsschreibung. Sein "Karakterbild" des Großen Kurfürsten (1902) folgte der kulturhistorischen Methode, indem er politische und Kulturgeschichte in ihrer gegenseitigen Durchdringung zu erhellen suchte. Doch trat er vor allem als politischer Historiker und Publizist hervor. In Bismarcks Reichsgründung sah er das Ziel preußisch-deutscher Geschichte seit der Entfaltung des preußischen Machtstaats im 17. Jahrhundert erreicht. Er rückte die Nationalstaatsgründung von 1871 in die Kontinuität des Heiligen Römischen Reiches und der katholisch-universalen Kaiser- und Reichsidee.

Diese Geschichtskonstruktion erklärt sich aus Spahns Konfession: Er war überzeugter Preuße und Katholik zugleich, wandte sich an der Seite der "Reformkatholiken" gegen Ultramontanismus und Schultheologie und suchte das katholische Geistesleben mit moderner Kultur und Wissenschaft, ja letztlich mit dem protestantisch geprägten Nationalstaat zu versöhnen. Das trug ihm Intrigen in Rom und scharfe Angriffe der Ultramontanen, aber auch die besondere Förderung Friedrich Althoffs ein, des mächtigen preußischen Hochschuldezernenten. Wogen großer Erregung schlug Spahns Berufung an die Straßburger Philosophische Fakultät 1901, der er von Althoff gegen deren Willen (neben dem gewünschten Protestanten Meinecke) oktroyiert wurde, um den Konfessionsverhältnissen im mehrheitlich katholischen Elsaß Rechnung zu tragen, um die Errichtung einer Katholisch-theologischen Fakultät vorzubereiten und der Zentrumspartei als Hauptstütze der Reichspolitik entgegenzukommen.

Im Reichsland Elsaß-Lothringen fand Spahn wie sein Vater, der langjährige Vorsitzende der Zentrumsfraktion im Reichstag, Peter Spahn, den Weg in die Politik. 1909 übernahm er den Vorsitz der elsässischen Zentrumspartei, 1912 den Vorsitz der Zentrumsfraktion im Straßburger Gemeinderat, 1910 bis 1912 war er Mitglied der Zentrumsfraktion im Reichstag. 1920 wurde er an die wiedergegründete Universität Köln berufen und leitete gleichzeitig das aus dem jungkonservativen Juniklub hervorgegangene "Politische Kolleg für nationalpolitische Schulungs- und Bildungsarbeit" in Berlin. Während der Weimarer Republik war er der führende Kopf des "Rechtskatholizismus", der sich von einem nationalistisch verengten Reichsgedanken und einer antiparlamentarischen Grundhaltung leiten ließ und das Zusammenwirken von Zentrum und Sozialdemokratie ablehnte. Wie der Großteil der Rechtskatholiken fand Spahn seine neue politische Heimat bei der Deutschnationalen Volkspartei, deren Reichstagsfraktion er von 1924 bis 1933 angehörte. In seinen historischen Arbeiten propagierte Spahn jetzt, gestützt auf die geopolitischen Ansätze Friedrich Ratzels, die Mitteleuropaidee, in der er raumpolitische und sozial-romantische Vorstellungen, Reagrarisierungswünsche und eine der Republik entgegengesetzte christlich-germanische Reichsidee amalgamierte. Damit nicht genug: Diese Mitteleuropaidee wollte er schon in Bismarcks Politik vorgebildet sehen. Sie enthielt bei Spahn eine betont antiösterreichische Komponente.

Im Dritten Reich sah Spahn die Möglichkeit einer Verwirklichung seiner politischen Ideale. Katholizismus und Nationalsozialismus hielt er für vereinbar. Seit 1933 saß er für die NSDAP im Reichstag. Welcher Illusion er damit erlegen war, wurde ihm seit Anfang der vierziger Jahre bewußt. Die Nationalsozialisten emeritierten ihn vorzeitig 1940. Lehren durfte er seitdem nicht mehr.

Schriften: Verzeichnis bei G. Clemens (s.u.) und in M. Spahn: Für den Reichsgedanken. Historisch-politische Aufsätze 1915-1934. (Festgabe zum 60. Geburtstag.) Berlin, Bonn 1936, S. 417-455.

Lit.: Gabriele Clemens: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik. Mainz 1983 (Veröffentl. d. Kommission f. Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 37). – Dies.: Rechtskatholizismus zwischen den Weltkriegen. In: Albrecht Langer (Hrsg.): Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa seit 1800. Paderborn 1985, S. 111-130. – Daneben auch Rudolf Morsey, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 4. Mainz 1980, S. 143-158, 274f. – Bernd Faulenbach: Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München 1980. – Zum "Fall Spahn" und die Berufung nach Straßburg  Peter Mast: Künstlerische und wissenschaftliche Freiheit im Deutschen Reich 1890-1901. Rheinfelden21986.

Bild: Aus der Festgabe zum 60. Geburtstag 1936.

Matthias Pape