Biographie

Spalding, Johann Joachim

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Protestantischer Theologe
* 1. November 1714 in Triebsees/ Vorpommern
† 25. Mai 1804 in Berlin

Johann Joachim Spalding war „einer der bedeutendsten lutherischen Theologen des 18. Jahrhunderts, von den Zeitgenossen wegen seiner intellektuellen Redlichkeit, kirchlichen Modernität und menschlichen Integrität als der Patriarch der Aufklärungstheologie verehrt“ (Albrecht Beutel). Er war ein Hauptvertreter der „Neologie“, der innerkirchlichen evangelischen Aufklärung in Deutschland in der Mitte des 18. Jahrhunderts, welche die Bibel nicht mehr als wörtlich inspiriert verstand, sondern eine historisch-kritische Auslegung der Bibel betrieb.

Als gründlich denkender und zugleich verständlich formulierender theologischer Schriftsteller, als mitreißender Prediger, mit seiner friedfertigen, unpolemischen Haltung und als menschlich untadeliger Christ wurde er auch von theologischen Gegnern respektiert. Als leitender Berliner Geistlicher im Umfeld des Preußenkönigs Friedrich des Großen (1712-1786, Regentschaft ab 1740) war er von maßgeblichem Einfluss auf das kirchliche Leben in Preußen. Sein theologisches Anliegen war die Verbindung von Vernunft, Erfahrung und christlichem Glauben, die Konzentration der christlichen Verkündigung auf wesentliche, für die zeitliche und ewige „Glückseligkeit“ unverzichtbare Gesichtspunkte. Sein undogmatisches Christentum kreiste um das Sein Gottes, die der Gewissenseinsicht folgende Sittlichkeit und die Erwartung eines ewigen Lebens. Das Christliche war für ihn das wahrhaft Menschliche.

Spalding suchte in der Theologie einen Weg zwischen der von Bibel und kirchlichem Bekenntnis ausgehenden Orthodoxie (der „Rechtgläubigkeit“) einerseits und andererseits einem Rationalismus, der alle religiösen Einsichten rein von der eigenen Vernunft und unter Absehung von einer göttlichen Offenbarung zu gewinnen sucht. Er wandte sich entschieden gegen einen atheistischen Materialismus, wie er von radikalen Vertretern der französischen Aufklärung vertreten wurde, aber auch gegen den in der französischen und britischen Aufklärung weit verbreiteten Deismus, für den Gott zwar die Welt geschaffen hat, diese aber jetzt ganz sich selbst überlässt. Spalding suchte insbesondere die religiös Gleichgültigen anzusprechen und sie zur Besinnung auf den Sinn ihres Lebens zu bewegen.

Geboren wurde Spalding am 1. November 1714 in Tribsees in Vorpommern. Er stammte aus einer 1624 aus Schottland nach Deutschland eingewanderten Familie. Sein Vater Johann Georg Spalding (1681-1748) war Pastor von Tribsees. Spalding studierte von 1731 bis 1733 Philosophie und Theologie an der Universität Rostock und wurde hier mit dem Denken des von Leibniz beeinflussten Philosophen und Mathematikers Christian Wolff (1679-1754) vertraut gemacht. 1736 wurde er in Rostock zum Doktor der Philosophie promoviert.

Zunächst arbeitete er als Hauslehrer und als Studienbegleiter seiner Schüler. 1745 bis 1747 war er in Berlin Gesandtschaftssekretär des schwedischen Diplomaten Rudenskjöld und lernte hier den evangelisch-reformierten Hofprediger August Friedrich Wilhelm Sack (1703-1786) kennen, den Altmeister der Neologie und Vertreter religiöser Toleranz, mit dem Spalding dann lebenslang freundschaftlich verbunden war. 1747 wurde Spalding Hilfsprediger bei seinem Vater in Tribsees.

1748 erschien sein erstes, sehr erfolgreiches Hauptwerk Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. Es wurde häufig aufgelegt und erweitert und hieß ab der vierten Auflage 1751 Die Bestimmung des Menschen. Die Endgestalt des zunächst nur 26 Seiten umfassenden Werkes war mit der dreizehnten Auflage 1794 auf 244 Seiten angewachsen. Spalding will hier aufzeigen, dass der Mensch auf Glück angelegt ist, das heißt sowohl auf irdisches Wohlergehen und Seelenfrieden wie auch auf eine Vollendung nach dem Tod, und das beides im Bezogensein auf Gott und im Gehorsam gegenüber den sich uns im Gewissen aufdrängenden und in der Vernunft einleuchtenden sittlichen Grundsätzen. Wer bereit ist, sich auf sich selbst und den eigenen Daseinssinn zu besinnen, kommt an Gott als dem Urgrund von allem nicht vorbei, sondern stößt auf eine erste Grundquelle, auf einen eigentlichen Urheber alles dessen, was da ist. Denn anders finde ich doch durchaus keine denkbare Erklärung des Ursprungs der Dinge und ihrer Beschaffenheiten; keine Antwort auf die stets wiederkommende, nicht zu unterdrückende Frage: Woher und Warum? Dieses große Bedürfnis meines Verstandes wird nur durch die Anerkennung eines Wesens befriediget, das von und durch sich selbst besteht und in welchem sich alles Übrige gründet. Es ist also eine Kraft, die das Ganze bewirkt; ein Verstand, der für das Ganze denkt; ein Geist, der durch seine unbegreiflichen Ausflüsse allen Dingen Dasein, Dauer, Kräfte, Nutzbarkeit und Schönheit mitteilet; durch welchen auch ich bin, was ich bin.“

Von 1749 bis 1757 war Spalding Pfarrer in Lassan in Pommern. In dieser Zeit, 1756, übersetzte er das Hauptwerk der gemäßigten englischen Aufklärungstheologie, die Analogy of Religion (1736) des Philosophen und anglikanischen Bischofs Joseph Butler (1692-1752). Der deutsche Buchtitel ist zugleich ein Programm: „Bestätigung der natürlichen und geoffenbarten Religion aus ihrer Gleichförmigkeit mit der Einrichtung und dem Laufe der Natur“. Natürliche, durch Vernunft und Erfahrung gewonnene Religion, und geoffenbarte Religion, aus dem biblischen Zeugnis erhoben, sind keine Gegensätze, sondern passen zusammen, auch wenn sie nicht einfach identisch sind, wie der konsequente Rationalismus meint.

Von 1757 bis 1764 amtierte Spalding als Pfarrer in Barth in Pommern. Hier entstand 1761 seine Schrift Gedanken über den Wert der Gefühle im Christentum, in der er eine vom Gefühl her entworfene Theologie, wie er sie bei Teilen des Pietismus und vor allem bei dessen Bekehrungsfrömmigkeit sah, durch den Blick auf den Menschen in seinen verschiedenen Aspekten erweiterte: Die „gänzliche Abhängigkeit des Menschen von Gott“ wird zugleich „gefühlt“ und „erkannt“. Unentbehrlich für die Religion sind „Nachdenken und Gebet“.

Von 1764 bis 1788 war Spalding in Berlin Propst an St. Marien und St. Nicolai und zugleich Oberkonsistorialrat. Diese hohe kirchenleitende Stellung wurde ihm von Friedrich dem Großen auf Vorschlag des Hofpredigers und schon seit 1750 Berliner Oberkonsistorialrats August Friedrich Wilhelm Sack verliehen. In dieser Funktion redigierte er 1765 und dann noch einmal 1780, diesmal zusammen mit Wilhelm Abraham Teller (1734-1804), einem weiteren prominenten Aufklärungstheologen, ebenfalls Berliner Oberkonsistorialrat, das Berliner Gesangbuch.

In seiner Berliner Zeit brachte der gefeierte Prediger Spalding mehrere Predigtbände heraus: 1765 Predigten, 1768 Neue Predigten und 1784 Neue Predigten. Zweiter Band. Eine 1772 verfasste Schrift Über die Nutzbarkeit des Predigtamts und deren Beförderung provozierte Johann Gottfried Herder (1744-1803) zu der Gegenschrift An Prediger (1774). Ihm war Spalding in seiner Predigttheorie und Predigtpraxis, die auf Lebenshilfe konzentriert war und die überkommenen christlichen Glaubenslehren wie Dreieinigkeit, Rechtfertigung und Versöhnung hintanstellte, zu sehr auf den Nutzen und die Moralität bedacht. Doch bedeutet die Frage nach dem Nutzen noch keine „Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit. Nur mit der Wahrheit und in der Wahrheit kann man ein unsrer Bestimmung gemäßes Leben aufbauen und dadurch wahrhaft nützlich sein. […] Das Entscheidende bleibt für Spalding, die Menschen in ihrer Beziehung auf Gott, auf ihr Gewissen und auf die zukünftige Welt glücklich zu machen, […] sie zu unterrichten und zu ermuntern, Gott zu gefallen, die Ruhe eines guten Gewissens zu genießen und zu einer glücklichen Ewigkeit geschickt zu werden“ (Emanuel Hirsch).

Anonym erschienen 1784 Spaldings Vertraute Briefe, die Religion betreffend. Darin stellt er der Religionskritik seiner Zeit die „wahre Aufklärung“ entgegen. Es gelte, „durch wirkliche Aufklärung die Grundwahrheiten der christlichen Gottesverehrung meinem Verstande gewiss und meinem Herzen wichtig zu machen“.

1788 wurde in Preußen das Wöllnersche Religionsedikt erlassen. Jetzt wurden die Prediger jedwelcher Konfession und Religion in ihrer öffentlichen Verkündigung und Unterweisung auf die offiziellen Glaubenslehren und Bekenntnisse ihrer jeweiligen Glaubensgemeinschaft festgelegt. Damit sollte die religiöse Aufklärung mit ihrer modernen, vernunftgemäßen Deutung der Glaubensbotschaft bekämpft werden. Spalding ließ sich das nicht bieten. Er (allerdings sowieso nicht mehr der jüngste) gab alle seine kirchlichen Ämter auf. Er befürchtete eine „verketzerungssüchtige“ Bespitzelung seiner Predigten, und „ich wollte mich nicht gern der Gefahr aussetzen, noch in meinem Alter vor ein schikanierendes Inquisitionsgericht gezogen zu werden“.

1797 erschien als eine Art Testament Spaldings Werk Religion, eine Angelegenheit des Menschen. Hier wollte er „die allgemeine Denkbarkeit und moralische Bedeutsamkeit von Religion für ein breites Publikum darlegen“, „die Universalität von Religion für den Alltag deutlich machen“ (Wolfgang Erich Müller). Wie in seinem Frühwerk, so setzt er auch in seinem Alterswerk beim Menschen an. Jeder Mensch ahnt die unbedingte sittliche Forderung. Aber das ist erst die Vorgabe. „Dem menschlichen Gemüte muss durch eigenes Denken und Empfinden das vernunftmäßige wichtige Gute des Glaubens an eine höhere Beziehung dringend eingeleuchtet haben, ehe es sich mit voller Neigung daran hängen kann.“ Religion ist bei Spalding nicht nur ethisch gefärbt, sondern zugleich ganz auf Gott bezogen. Religion ist „Glauben an einen untrüglichen Verstand, eine vollkommene Heiligkeit, eine allmächtige Güte“. Dabei ist Spaldings Gottesverständnis von der christlichen Botschaft der Güte Gottes bestimmt: „Die höchste Menschenwürde und reinste Gottesliebe im Guteswollen und Rechttun; der Schöpfer und Herr der Welt als allgemein guter Vater der Menschen; der Trost seiner alles umfassenden Vorsehung; die auch den Verirrten versicherte Zurückbringung und Wiederaufnahme zur Tugend und Glückseligkeit; die Erwartung einer fortdauernden erfreulichen Zukunft unter der unverbrüchlichen Bedingung der Rechtschaffenheit: – das ist Religion des Christentums!“

Spalding heiratete 1755 Wilhelmine Gebhardi (1734-1762) aus Stralsund, mit der er sechs Kinder hatte, von denen aber nur drei das Erwachsenenalter erreichten. 1764 heiratete er Maria Dorothea von Sodenstern (1739/40-1774), 1775 Maria Charlotte Lieberkühn (1749-1804). Seine dritte Ehefrau überlebte ihn nur um wenige Monate.

Spalding starb am 22. Mai 1804 in Berlin. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) hatte den „ehrwürdigen Vater Spalding“ seinen geistigen Mentor genannt. Bei der Gedächtnisfeier in St. Nicolai nannte Propst Wilhelm Abraham Teller, danach noch im selben Jahr in Berlin gestorben, seinen Freund Spalding „einen Heiligen Gottes“.

Noch im September 1804 erschien Spaldings Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgesetzt. Ergänzt und herausgegeben hat sie sein jüngster Sohn, der Altphilologe und Gymnasialprofessor Georg Ludwig Spalding (1762-1811).

Werke: Die Bestimmung des Menschen. Die Erstausgabe von 1748 und die letzte Auflage von 1794 (Theologische Studien-Texte Band 1). Hrsg. von Wolfgang Erich Müller, Waltrop 1997. – Religion, eine Angelegenheit des Menschen (Bibliothek klassischer Texte). Hrsg. von Wolfgang Erich Müller, Darmstadt 1997. – Kritische Ausgabe. Hrsg. von Albrecht Beutel, Band I/1-II/5 (13 Bände), Tübingen 2001-2013.

Lit.: Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Band, Gütersloh (1949) 31964. – Wolfgang Gericke, Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/2), Berlin 1989. – Albrecht Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Ein Kompendium (UTB), Göttingen 2009. – Ders., Johann Joachim Spalding. Meistertheologe im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 2014.

Bild: Kupferstich, Christian Gottlieb Geyder (1742-1803) zugeschrieben.

Andreas Rössler