Biographie

Sperontes (Johann Sigismund Scholze)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Jurist, Musiker und Dichter
* 20. März 1705 in Lobedau bei Liegnitz/Schlesien
† 28. Mai 1750 in Leipzig

Der Fachvertreter für Musikwissenschaft (Musikgeschichte) an der Berliner Universität, Prof. Dr. Philip Spitta, veröffentlichte 1885 seinen grundlegenden Aufsatz über Sperontes und seine „Singende Muse an der Pleisse“. Anhand von Archivunterlagen in Leipzig konnte er den bürgerlichen Autor der unter dem Pseudonyn „Sperontes“ 1736 zum ersten Mal herausgekommenen „Singenden Muse an der Pleisse in 2 mahl 50 Oden“ benennen: den Studenten Johann Sigismund Scholze (auch Scholz oder Schulze) aus Lobendau bei Liegnitz. Sein Vater war dort Amtsschreiber. Johann Sigismund besuchte in Liegnitz die Schule, studierte danach an der Leipziger Universität;  eine Immatrikulaltions-Nummer für ihn ist allerdings nicht nachgewiesen. Er schloß sich einer Studentengruppe an, der lustigen Gesellschaft, dem auch der aus dem niederschlesischen Striegau stammende Johann Christian Günther nahe stand oder sogar angehörte. Diesem Kreis dürften weitere Schlesier beigetreten sein; in der Singenden Muse ist auf Seite 66 einer Polonoise das Gedicht im schlesischen Gebirgsdialekt „Hoah ichs nich lang gesoat“ beigegeben, das in der 3. Auflage herausgefallen ist. Auch erwähnt er in einigen Liedtexten den Rübezahl.

Scholze scheint – ähnlich wie der mit ihm befreundete Günther – ein etwas leichteres Leben geführt zu haben. Da er eine Traiteurswitwe (Gastwirtin) geschwängert hatte, heiratete er sie auf Geheiß des Konsistoriums der Stadt am 3. Januar 1729; sie starb bereits am 12.2.1738. Scholze stand als Autor in Kontakt mit dem Leipziger Buch- und Musikverlag Breitkopf, der verschiedene Werke von ihm herausbrachte.

Sperontes’ (Scholzes) berühmte und geschätzte Odensammlung erschien in mehreren Folgen und Ausgaben bis 1751, teilweise auch in Nachdrucken bei Korn in Breslau. Ode war damals u. a. eine Bezeichnung für das am Klavier begleitete Lied. Die von der damaligen Gesellschaft angenommene „Singende Muse“ hat zeitgenössische und nachfolgende Komponisten beeinflußt. Von Musikschriftstellern seiner Zeit wird er erwähnt: von J.A. Scheibe, F.W. Marpurg und J.A. Hiller.

Sperontes gab die hochbarocken Tänze der französischen Suite (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue), ebenso die Gavotte und die Bourrée sowie die Anglaise auf, sammelte vor allem die  damals aufkommenden Tanzstücke, bevorzugt das Menuet, dann die Polonoise, ferner den Marche und vereinzelt Murki-Stücke, die einen gleichbleibenden Baßton in abwechselnden Oktavsprüngen haben, aber auch den Air (im Volksmund die Air).

Er notierte die kleinen einfachen Werke im Klaviersatz, öfters auch mit Generalbaßbezifferung, und fügte gesondert im Anschluß daran die Strophen der zu unterlegenden und zu singenden Gedichte an, ein Hinweis, daß diese Stücke auch für sich nur am Klavier (also ohne Gesang) gespielt wurden, wie es bereits der Titel des Druckes andeutet. Seine Stücke verlangen keine große Fertigkeiten. Sperontes (Scholze) verwendete das Parodieverfahren: In den Instrumentalsätzen (hier Klavierstücken) werden neue rhythmisch dazu passende Texte den Noten der Melodie unterlegt. Die Zuweisung der Textsilben zu den einzelnen Noten in der Singenden Muse ist mühsam, gelegentlich beschwerlich, da die rein instrumentale und nicht vokale Notierung im Klaviersatz gewählt worden ist.

Scholze war unter seinem Pseudonym auch an zwei Singspielen beteiligt, und zwar an „Der Frühling“, vertont von J. G. A. Fritzchen, und „Der Winter“ – an diesem als Autor nicht ganz gesichert. Außerdem schrieb er den Text von drei Schäferspielen: „Das Kätzgen“, „Die Kirms“ (beide 1746) und „Das Strumpfband“ (1748). Ferner sind einzelne Gedichte von ihm, etwa von Breitkopf, im Druck herausgebracht worden.

Einzelne Lieder seiner „Singenden Muse“ waren bis Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt und in Gebrauch. Die erhebliche Wirkung seiner Lieder läßt sich kaum erklären oder gar begründen; vielleicht liegt dies an der Unbekümmertheit und Schlichtheit des musikalischen Satzes und seiner Gedichttexte.

Werke: Singende Muse an der Pleisse in 2 mahl 50 Oden, Leipzig 1736 und in drei Nachdrucken erschienen: Breslau 1740 und 1741, ferner Leipzig 1747. Für den Leipziger Druck erhielt Scholze für die Überarbeitung insgesamt 120 Reichsthaler. – Erste Fortsetzung in 2 mahl 25 Oden, Leipzig 1742 und Breslau 1747. – Zweyte Fortsetzung Leipzig 1743. Dritte Fortsetzung ebenfalls Leipzig 1745. Alle vier Teile bei Korn in Breslau 1751. – Sing- und Schäferspiele siehe oben. – Die erste Ausgabe und alle drei Fortsetzungen der Leipziger Drucke samt dem Schäferspiel „Das Kätzgen“ in einem Aufzug (mit sieben Auftritten) sind als Mikrofiches in der Reihe „Bibliothek der deutschen Literatur“ (Sign. 18066) erschienen. – Eine gedruckte Faksimile-Ausgabe von 1736 brachte der VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig 1964 mit einem Nachwort von Horst Irrgang heraus. – Ausgaben im 20. Jahrhundert: Sämtliche Teile hrsg. von Edward Buhle in: Denkmäler deutscher Tonkunst, Bd. 35/36, Leipzig 1909, dieselben kritisch revidiert von Hans Joachim Moser, Wiesbaden 1958. – Ferner Einzelausgaben von verschiedenen Liedern.

Lit.: Einschlägige Musiklexika und Nachschlagewerke.

1. Zuletzt in Musiklexika: Dieter Härtwig/Ute Härtwig, Artikel Sperontes, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart 12, 1965, Sp. 1034-1038. – Rainer Bayreuther, in ebd. 15, 2. Aufl. 2006, Sp. 1174-1176. – Robert L. Marshall/Dianne M. McMullen, Artikel Sperontes, in: The New Grove Dictionary of Music an Musicians, Second Edition, London 2001. – Lothar Hoffmann-Erbrecht, Artikel Sperontes, in: Ders., Schlesisches Musiklexikon, Augsburg 2001. – Hubert Unverricht, Artikel Sperontes, in: Ders. (Hrsg.), Liegnitzer Lebensbilder des Stadt- und Landkreises 2 (Beiträge zur Liegnitzer Geschichte der Historischen Gesellschaft Liegnitz e.V. in Zusammenarbeit mit der Liegnitzer Sammlung Wuppertal 32), Hofheim/Taunus 2003.

2. Literatur (chronologisch geordnet in Auswahl): Philipp Spitta, Sperontes’ „Singende Muse an der Pleisse“. Zur Geschichte des deutschen Hausgesanges im achtzehnten Jahrhundert, in: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 1 1885, S. 35-126. – Ders., Zu Sperontes „Singender Muse“, in: ebd., S. 350-355. – Ders., Musikgeschichtliche Aufsätze, Berlin 1894, S. 175-195. – Max Friedländer, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. Quellen und Studien, Stuttgart und Berlin 1902 1, 1. Abth., S. 82-87, 2. Abth. S. 38-44, 218-220, 2 S. 34f. – Hermann Abert, Sperontes. Singende Muse an der Pleisse, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 12 1910/11, S. 70-72 (Besprechung der Ausgabe von Edward Buhle). – Hermann von Hase, Sperontes. Singende Muse an der Pleisse, in: ebd. 14 1912/13, S. 93-104. – Arnold Schering, Zwei Singspiele des Sperontes, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 7 1924/1925, S. 214-220. – Max Seiffert, Die Sperontes-Lieder: „Ich bin nun wie ich bin“ – „Ihr Schönen höret an“ und Sebastian Bach, in: Hans Hoffmann/Franz Rühlmann (Hrsg.), Festschrift für Fritz Stein zum 60. Geburtstag, Braunschweig 1939, S. 66-70. – Arnold Schering, Musikgeschichte Leipzigs 3: Das Zeitalter Johann Sebastian Bachs und Johann Adam Hillers (von 1717-1800), Leipzig 1941, S. 230-245, 256-259, 528. – John William Smeed, German Song and its Poetry 1740-1900, London u. a. 1986, S. 2f. und 14f. – Siegfried Kroß, Geschichte des deutschen Liedes, Darmstadt 1989, S. 69-71. – Klaus-Peter Koch, Sperontes und Johann Christian Günther. Zu den musikalisch-rhetorischen Figuren der Affektenlehre, in: Wojciech Kunicki (Hrsg.), Aufklärung in Schlesien im europäischen Spannungsfeld II. Aufgeklärter Sensualismus, Wrocław (Breslau) 1998, S. 223-244.

Aus germanistischer und volkskundlicher Sicht:

1. Lexika: Artikel unter dem Namen Scholze, Johann Sigismund: Ulrich Joost, in: Walter Killy (Hrsg.), Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Gütersloh, 10 1991, S. 366f. – Hubert Herkommer und Carl Ludwig Lang (Hrsg., ehemals Kosch), Deutsches Literatur-Lexikon, 3. Aufl. Bern und München 16 1996, S. 158;

2. Literatur: Arthur Kopp, Gedichte von Günther und Sperontes im Volksgesang, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 27 1895, S. 351-364. – Rolf Wilhelm Brednich, Die Rastatter Liederhandschrift von 1769, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 13 1968, S. 26-58. – Wolfgang Promies, Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Rolf Grimmiger (Hrsg.), Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789, 3 München-Wien 1980, speziell S. 582.

Hubert Unverricht