Biographie

Stackelberg, Nikolaus Johannes Traugott Freiherr von

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Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Arzt, Maler, Schriftsteller
* 6. Juni 1891 in Reval/Estland
† 8. November 1970 in Tengen bei Konstanz

Im Jahre 1891 wurde Traugott Freiherr von Stackelberg in der alten Hansestadt und Hauptstadt Estlands geboren. Stackelberg entstammte einer estländischen ritterschaftlichen Familie, die über Jahrhunderte das Land mit geprägt hat. Die Familie war im Mittelalter, in den Jahren der Kolonisation und der Christianisierung, in das Baltikum gelangt.

Die Stackelberg haben sich im Laufe der Zeit nicht nur an der Selbstverwaltung der baltischen Provinzen beteiligt. Nachdem die Ostseeprovinzen im Jahre 1721 unter russische Herrschaft gelangt waren, wirkte das Geschlecht mit vielen Repräsentanten auch in der russischen Verwaltung. Zahlreiche Familienmitglieder dienten dem Zaren als Offiziere. Das russische Kaiserreich verdankt dieser Familie viele große Persönlichkeiten, darunter mehrere herausragende Diplomaten. Doch wie bei nicht wenigen ritterschaftlichen Familien des Baltikums war im Laufe der Zeit nicht nur die juristische Verwaltungserfahrung ausgeprägt. Gleichermaßen traten die Stackelberg auch im Kulturleben des Baltikums hervor. So waren sie in der Professorenschaft der Universität Dorpat und in der baltischen Literaturgeschichte vertreten. Der Vater Traugott v. Stackelbergs, Nikolaus, wirkte als Pastor längere Zeit im Gouvernement Pleskau. Dort war er zugleich Adelsmarschall. Später übernahm Nikolaus die Leitung einer Diakonieanstalt in Reval. Der Sohn Traugott wußte sich mit seinem Medizinstudium der großen Familientradition verpflichtet, ist ganz in ihr groß geworden. Er wurde zum Vermittler zwischen dem baltischen Raum und dem russischen Zarenreich. Er hat versucht, falsche Vorstellungen über das russische Reich auszuräumen.

Wenn etwa schon seit dem 18. Jahrhundert in Westeuropa mit dem Wort Sibirien zumeist die Vorstellung von Verbannung verbunden war, so hat gerade Traugott von Stackelberg mit seinem großartigen Buch Geliebtes Sibirien dazu beigetragen, ein anderes Bild dieses Landstrichs zu entwerfen. Sibirien war freilich auch für baltische Familien schon im 19. Jahrhundert zum Verhängnis geworden, denn unter denDekrabristen gab es auch mehrere Balten, die nach Sibirien verbannt wurden. Sibirien ist einerseits bis in die Gegenwart mit diesem Verdikt zu recht behaftet, dennoch gab und gibt es auch andere hervorhebenswerte Aspekte. Stackelbergs Buch über Sibirien ist eine Liebeserklärung an dieses Land, mit seiner Schilderung der Natur in ihrer unendlichen Weite und der Menschen in ihrer großzügigen Denkungsart. Das Werk beruht auf Erlebnissen und Kenntnissen, die Stackelberg in mehreren Jahren in Sibirien gesammelt hat. Stackelberg hatte nach der Schulausbildung in Reval, schließlich nach einem Studium der Medizin in Deutschland und Finnland, längere Zeit in Sibirien verbracht.

Auch er war während des Ersten Weltkrieges, in den Jahren 1915 bis 1918, als politischer Deportierter nach Sibirien gekommen. Als Arzt konnte er aber einen großen Teil Nord-, Mittel- und Vorderasiens bereisen. Seine Verbannungszeit in Sibirien hat er genutzt und als große Bereicherung seines Lebens empfunden. Ein weiteres Werk Stackelbergs, Manon de Carmignac, „ein Roman aus dem alten Europa“, im Jahre 1952, ein Jahr nach seinem Buch über Sibirien erschienen, enthält gleichfalls autobiographische Züge. Es schildert das Leben des Barons Lappe, der aus Estland stammt, in Berlin Medizin und Kunstgeschichte studiert und schließlich in die Wirren des Ersten Weltkriegs hineingerät. Es ist eine leise Liebeserzählung, in der die Berliner Hugenottin Manon de Carmignac die Hauptrolle spielt. Stackelberg schildert das „alte Europa“ vor dem dem Ersten Weltkrieg, in dem die kulturellen Verbindungen alter Familienvom Westen bis zum Osten Europas reichen.

In seinem Roman über Manon de Carmignac greift Stackelberg eine typisch baltische literarische Tradition auf, wie sie etwa auch Siegfried von Vegesack in seiner Romantriologie verwendet hat, indem er seine Erzählung in eine fingierte aufgefundene Aufzeichnung einkleidet. So heißt es am Beginn des Romans: „Die nachfolgenden Aufzeichnungen des baltischen Barons Johannes von Lappe und das Tagebuch der Manon de Carmignac übergab mir nach ihrer Flucht aus Pommern Margaretha von Lappe, geb. von Born. Ihr Mann war im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht als Dolmetscher eingezogen worden und aus Rußland nicht wieder heimgekehrt.“

Stackelberg schildert das Leben und die Welt der Deutsch-Balten, die eben nicht nur als Verwaltungsfachleute und Offiziere im russischen Zarenreich hervorgetreten sind, sondern gleichermaßen auch als Künstler und Kunstbegeisterte weit über die Landesgrenzen hinaus gewirkt haben. Diese Welt brach 1918 zusammen. Stackelberg, aus Sibirien zurückgekehrt, verließ das Baltikum. Er ließ sich als Arzt in Süddeutschland nieder. Er hatte seit dem Jahre 1925 eine Arztpraxis in Schwaben und lebte auf dem sogenannten Degenhof bei Tengen. Dort verfaßte er auch seine Bücher. Durch seine schriftstellerische Arbeit wurde er bekannt, seine Existenz vermochte sie aber nicht zu sichern, so daß er zeitlebens den Arztberuf ausgeübt hat. Zu seinen weiteren, in den 1950er Jahren erschienenen Werken gehören Wintererzählungen, Cornet der Zarin, Die Bärenkralleund Doktors Vieh, eine kleine Erzählung aus dem Leben eines Landarztes. Im Jahre 1958 veröffentlichte er zwei Erlebnis- und Reiseberichte unter dem Titel Fratze und Gesicht Rußlands.

Stackelberg ist immer wieder den eigenen Spuren nachgegangen, so etwa 1968 in dem Buch Auf eigener Fährte. Reise durch die Sowjetunion. Am 8. November 1970 ist Stackelberg in Tengen auf dem Degenhof gestorben. Sein Hauptwerk ist das Buch über Sibirien und Manon de Carmignac, zwei Werke, die viel über das Baltikum und die baltische Kultur, gerade in seiner kulturellen Brückenfunktion zwischen dem Osten und Westen Europas sagen.