Biographie

Steinacker, Roland Arthur Bruno

Herkunft: Ungarn
Beruf: Theologe, Relgionspädagoge
* 29. September 1870 in Pest/ Ungarn
† 21. Juni 1962 in Stuttgart

Roland Arthur Bruno Steinacker wurde als älterer Sohn des Edmund Steinacker (1839-1929), Sekretärs der Budapester Handels- und Gewerbekammer und späteren Abgeordneten des ungarischen Reichstages, und der Auguste Glatz geboren. Sein jüngerer Bruder, der Historiker Harold Steinacker, erblickte 1875 das Licht der Welt. Anders als dieser, sollte sich Roland bei seiner Berufswahl an seinen beiden Großvätern orientieren: Der Theologe Gustav Steinacker (1809-1877) hatte in Weimar zum Kreis von Franz Liszt gehört, und Eduard Glatz (1812-1889), Sohn des Zipser Theologen Jakob Glatz (1776-1831), hatte sich nach seiner theologischen Ausbildung zunächst für den Lehrberuf entschieden, bevor er sich der Politik und Publizistik zuwandte.

Nach dem Besuch der damals noch bilingualen Pester Elementarschule – unterrichtet wurde in Deutsch und Ungarisch – wechselte Roland Steinacker 1881 für die nächsten drei Jahre an das evangelische Gymnasium mit rein ungarischer Lehrsprache. Zur Verbesserung der ungarischen Sprachkenntnisse verbrachte er auf Betreiben seines Vaters den Sommer 1883 in Miskolcz. Er lebte dort im Haus von Paul Kun, einem kalvinistischen Magyaren und Freund der Familie. Um seinen Sohn nicht den Verlockungen der in seiner Heimatstadt in weiten Kreisen beliebten Magyarisierung auszusetzen, wurde Roland 1884 – wohl nach seiner Konfirmation durch Alexander Eduard Doleschall – für vier Jahre nach Jena in das Erziehungsinstitut von Karl Volkmar Stoy geschickt, wo seine Kenntnisse der ungarischen Sprache wieder versandeten, die jedoch für die ungarische Reifeprüfung benötigt wurden. Daher verbrachte Roland Steinacker den Sommer 1888 in Debreczin bei seinem Onkel, dem Rechnungsrat Alexander Steinacker, der zwei Kinder im Alter des Neffen hatte.

An das bestandene Abitur am evangelischen Gymnasium schlossen sich 1889 ein zweisemestriges Studium der Philologie an der Universität Budapest und, parallel dazu, ein theologisches Studium an der reformierten Akademie an. Roland Steinacker entschied sich schließlich vollständig für die Laufbahn eines Theologen und setzte seine Studien in Preßburg, Erlangen, Göttingen und Wien fort. Als 25-Jähriger trat er schließlich in der deutsch-evangelischen Gemeinde von Maisbrünn (Mezöberény) im Komitat Békés, in der Großen Ungarischen Tiefebene, seine erste Stelle als Vikar an. Von dort wechselte er nach einem Jahr nach Modern (Modra) in den kleinen Karpaten. In dieser nahe Preßburg (Bratislava) gelegenen Kleinstadt war Steinacker nun der Vikar des Seniors Karl Hollerung, den sein eigener Vater noch aus dessen Tübinger Studentenzeit kannte und der nach weiteren sieben Jahren sein Schwiegervater werden sollte. Am 19. Juli 1906 – Steinacker war inzwischen Pfarrer in Schwedler (Švedlár) in der Unterzips, einem mehrheitlich von Deutschen bewohnten Ort – ging er mit Luise Wilhelmine Hollerung den Bund fürs Leben ein, und 1909 wurde die Tochter Gertrud, 1911 die Tochter Hildegard geboren.

In Steinackers Familie hatten auch schon früher Beziehungen zur Zips bestanden. Sein Großvater Gustav Wilhelm Steinacker war nach vierjähriger Tätigkeit als erster Direktor der reformierten Mädchenschule in Debreczin für weitere vier Jahre Pfarrer in der nahe bei Schwedler gelegenen Bergstadt Göllnitz (Gelnica) und mit Aurelie Westher aus Kesmark (Kežmarok) verheiratet gewesen. Roland Steinacker zog es aber wieder in die Nähe von Preßburg. 1912 tauschte er mit dem bisherigen Ortsgeistlichen von Kaltenstein mit der Filialgemeinde Ungarisch Altenburg im Komitat Wieselburg seinen Wirkungsort – im Einvernehmen mit den kirchlichen Behörden. Hier verfasste er zusammen mit dem Pfarrer und Senior Edmund Scholz das vor dem Ersten Weltkrieg neben der Bibel und dem Gesangbuch einzige deutschsprachige Lehrbuch zur Biblischen Geschichte für Volksschüler mit deutschem Religionsunterricht, und mit der Geburt von Ruprecht 1914 wurde die Familie komplett.

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Roland Steinacker der Gruppe von Männern an, die unter Führung von Karl Amon und Adalbert Wolf ein autonomes Gebiet Westungarn forderten. Von der ungarischen Presse wurde er für seine Vorschläge bezüglich der territorialen Abgrenzung dieses Selbstverwaltungsgebietes als „treibende Kraft“ der Autonomiebewegung kritisiert, die in Folge der Friedensbestimmungen von Saint Germain und Trianon indes obsolet waren. Steinacker kam daher die Berufung auf den unter dem Einfluss von Senior Carl Eugen Schmidt und Bischof Samuel Zoch für ihn persönlich geschaffenen deutschen Lehrstuhl der praktischen Theologie an der slowakischen kirchlichen Theologischen Hochschule Preßburg gerade recht. 1920 wurde umgezogen, und Steinacker, bereits zum Hochschullehrer bestellt, unterzog sich noch der Prüfung zum akademischen Grad eines Dr. theol. mit einer Dissertation über Recht und Aufgabe, Lehrgut und Lehrplan des Glaubensunterrichtes, die in Wien angenommen wurde. Er trat dem 1922 gegründeten Deutschen Evangelischen Pfarrerverein A.B. in der Slowakei bei und war 1928 eines der sechs Ausschussmitglieder.

Bis 1934 begleitete Steinacker eine ganze Generation von künftigen Seelsorgern deutscher, aber auch slowakischer Nationalität, die er – vielen als väterlicher Freund in dankbarer Erinnerung geblieben – dazu ermunterte, auch ein oder mehrere Semester in Deutschland zu studieren. Seine guten Beziehungen zum Gustav-Adolf-Werk und zum Martin-Luther-Bund sollten manch einem seiner Studenten durch ein Stipendium einen Aufenthalt in Erlangen, Greifswald, Leipzig oder Ros­tock ermöglichen.

Ein zweites Mal sollte Steinacker Ende der 1920er Jahre politisch in Erscheinung treten. 1927 hob er, u.a. zusammen mit Franz Karmasin – seinerzeit in der Slowakei noch ein unbeschriebenes Blatt – und dem Industriellen Karl Manouschek, die 1929 in Karpatendeutsche Partei umbenannte Karpatendeut­sche Volksgemeinschaft aus der Taufe. Als engagierter Mitarbeiter im Deutschen Kulturverband, im Theater- und Turnverein, hatte Steinacker dabei das Ziel vor Augen, damit die kulturellen Belange der deutschen Minderheit in der Slowakei und der Karpatenukraine innerhalb des tschechoslowakischen Staates zu vertreten. In diesem Sinne gehörte er auch zu den Begründern der ursprünglich weitgehend „ideologiefreien“ Zeitschrift „Karpathenland“, die bis 1938 in Reichenberg erschienen war und erst nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei als „Karpatenland“ von Karmasin in Preßburg herausgegeben wurde.

Der zunächst bürgerlich-christlichen Karpatendeutschen Partei stand Roland Steinacker bis 1933 vor, gab dann aber den Vorsitz ab – vielleicht weil er erkannte, dass sich die Partei seit dem Beginn der Zusammenarbeit mit der Sudentendeutschen Partei in NS-Richtung entwickelte und dies nicht mittragen wollte. Die Folgen seines zweiten, kurzfristigen politischen Engagements sollte er deutlich zu spüren bekommen: 1935 wurde die theologische Fakultät in die Comenius-Universität Preßburg eingegliedert und die Prager Regierung lehnte es ab, die nunmehr staatlich gewordene Fakultät zu übernehmen. Steinacker wurde von einem Tag auf den anderen von seiner Lehrverpflichtung entbunden und zunächst ohne Ruhegehalt entlassen, war sein geistiger Einfluss auf die jungen Theologen der Slowakei den tschechischen Machthabern doch ein Dorn im Auge. Als Mittsechziger setzte Steinacker, der vier Jahre lang für magere Altersbezüge streiten musste, nun in gesteigertem Maße die Aufgabe eines ehrenamtlichen Archivars der Preßburger evangelischen Gemeinde fort, was im Reich nicht unbemerkt blieb. 1937 wurde er mit der Silbernen Medaille des Deutschen Auslandsinstitutes Stuttgart ausgezeichnet und 1943 erhielt er zusammen mit dem Kesmarker Latein- und Geschichtsprofessor Johann Lipták den Prinz-Eugen-Preis.

Auch noch im wohlverdienten Ruhestand setzte sich Roland Steinacker für die Vertretung der protestantischen Belange der deutschen Minderheit in der Slowakei ein: Er war an der Neugestaltung der selbständigen Deutschen Evangelischen Landeskirche A.B. in der Slowakei ebenso beteiligt wie an der Neugestaltung der einheitlichen Liturgie und des neuen Preßburger Gesangbuches.

Im Januar 1945 sollte er nach einem Vierteljahrhundert für immer Abschied von Preßburg nehmen. Als er mit zahlreichen Preßburger Diakonissen, seiner Gattin und den beiden Töchtern in das oberösterreichische Gallneukirchen flüchtete, hoffte er noch auf eine Rückkehr und ließ den größten Teil seiner reichhaltigen, wertvollen Bibliothek zurück, der dadurch verlustig ging. Das Jahr 1947 bedeutete für ihn die endgültige Emigration nach Deutschland, wo er in Stuttgart eine neue Heimat finden sollte und sich fortan in den Dienst für Flüchtlinge und Heimatvertriebene stellte. Nicht nur seine karpatendeutschen Landsleute baten ihn nie vergeblich um Hilfe, im hohen Alter von fast 90 Jahren übernahm Steinacker als Verfechter eines geeinten Europas als Garant für Freiheit und Gleichberechtigung aller Völker und Menschen auch den Vorsitz in der deutsch-slowakischen Gesellschaft.

Für sein außerordentliches Engagement wurde ihm anlässlich seines 85-jährigen Geburtstages 1955 das Bundesverdienstkreuz verliehen, das Südostdeutsche Kulturwerk zeichnete ihn an seinem 90. Geburtstag mit der Adam-Müller-Guttenbrunn-Plakette aus.

Roland Steinackers geistiges Erbe fand letztlich vor allem in drei Publikationen seinen Niederschlag: 1956 erschien die zusammen mit Desider Alexy verfasste Abhandlung zur 350-jährigen Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. zu Preßburg, im Jahr darauf das Gemeinschaftswerk mit dem Historiker und Pädagogen Johann Lipták über das deutsche evangelische Schulwesen in der Slowakei. Der Titel der Festschrift zu seinem 90. Geburtstag, zu deren Gratulanten u.a. auch der Bischof der Württembergischen Landeskirche Haug zählte, umschreibt seine Vita mit dem Satz „Ein Leben für Kirche und Volk“.

Noch 1961 setzte sich Steinacker kritisch mit tendenziöser Protestantismusgeschichte auseinander, im Jahr darauf sollte – wie einst bei seinem Vater Edmund Steinacker – ein Verkehrsunfall sein unter das Motto genus fidemque servabo gestelltes Leben beenden.

Lit.: Carl E. Schmidt, Deutscher Evangelischer Pfarrerverein A.B. in der Slowakei, in: Almanach cirkvi evanjelickej A. V. na Slovensku z rokov 1919-1929 (do 1930). Martin 1930, S. 291f. – R. Treumund [= Roland Steinacker], Ein Blick in die Vergangenheit der alten Heimat. Erinnerungen an Ofenpest, in: Volkskalender der Deutschen aus Ungarn 1957, S. 66-68. – Rudolf Türke, Der einzige deutsche evangel. Theologie-Prof. in der Tschechoslowakei (Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. Roland Steinacker), in: Glaube und Heimat. Weihnachtsnummer 1960. – Karpatenpost 13 (1962) Folge 7, S. 1-2: Abschied von Prof. Dr. Roland Steinacker und Folge 8, S. 3-5. – Felix v. Schroeder, Roland Steinacker (1870-1962), in: Südostdeutsches Archiv 7 (1964) S. 220. – Bernhard H. Zimmermann, Zum 100. Geburtstag von Roland A. B. Steinacker [1870-1962], in: Südostdeutsches Archiv 13 (1970) S. 227-232. – Roland Steinacker und die Gründung des Burgenlandes. Erinnerungen, mitgeteilt und eingeleitet von Ruprecht Steinacker, in: Südostdeutsches Archiv 14 (1971) S. 173-187. – Rainer Rudolf/ Eduard Ulreich, Art. „Steinacker Roland“, in: Karpatendeutsches Biographisches Lexikon, Stuttgart 1988, S. 316f. – Ruprecht Steinacker, Art. „Roland Steinacker, Prof. Dr. theol“, in: Arbeiter in Gottes Weinberg. Lebensbilder deutscher evangelischer Pfarrer in und aus der Slowakei im 20 Jahrhundert, unter Mithilfe vieler Mitarbeiter(innen) verfaßt und bearbeitet von Andreas Metzl, Stuttgart 2004, S. 256-259. – Andreas Metzl, Steinacker – eine besondere karpatendeutsche Familie, in: Karpatenjahrbuch 61 (2009) S. 198-201.

Bild: Archiv der Verfasserin.

Heike Drechsler-Meel