Biographie

Steinbart, Gotthilf Samuel

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Pädagoge, Aufklärer
* 21. September 1738 in Züllichau
† 3. Februar 1809 in Frankfurt/Main

Vor 200 Jahren starb am 3. Februar 1809 im Alter von 71 Jahren Professor Gotthilf Samuel Steinbart, viele Jahre Direktor des Pädagogiums und Waisenhauses bei Züllichau (Ostbrandenburg) und mehrmaliger Rektor der Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder (1783, 1791, 1802). Ein Pädagoge und Aufklärer par exellence.

Am 21. September 1738 wurde dem Gründer des Züllichauer Waisenhauses, Siegmund Steinbart, ein Enkel geboren. Dieser, Gotthilf Samuel Steinbart, gewann später als Gelehrter hohes wissenschaftliches Ansehen. Er wurde nicht nur als Leiter des Züllichauer Waisenhauses Nachfolger seines Großvaters und Vaters, sondern ab 1774 auch Professor für Philosophie und Theologie an der Viadrina zu Frankfurt/ Oder. Er zählt zu jenen deutschen Geistesgrößen, die im 18. Jahrhundert die von Halle ausgehende Aufklärung weiterentwickelt haben.

Der einzige Sohn Johann Christian Steinbarts wurde von seinem 14. Lebensjahr an auf der Klosterschule Bergen bei Magdeburg unter dem Abt Steinmetz erzogen. Er studierte anschließend Philosophie und Theologie in Halle, dem Zentrum des Liberalismus, und in Frankfurt (Oder). Dabei kam er mitherausragenden Vertretern der Aufklärung wie Eberhard, Baumgarten und Töllner in Berührung. Deren Erkenntnisse beeinflussten den Studenten stark, so dass er später in seinen Publikationen die damaligen Strömungen der populären Aufklärung zu einem System philosophischer Weltanschauungen verarbeiten konnte. Nach Abschluss der Studienzeit wirkte Steinbart zunächst an der in Berlin neu errichteten Heckerschen Ökonom.-math.Realschule. Sein Vater übertrug ihm dann zu seiner eigenen Entlastung das Predigtamt an der 1753 baulich vollendeten Züllichauer Waisenhauskirche. In diesem Amt setzte der junge Theologe seinen Plan durch, dem Waisenhaus ein Erziehungsinstitut anzugliedern. Dies geschah 1766 mit Gründung des Pädagogiums. Sein Unterrichtsangebot war sehr reichhaltig: Schüler, die z.B. Baumeister, Offizier oder Landwirt werden wollten, fanden hier ebenso Unterrichtsangebote wie andere, die sich in der „gelehrten Schule“ für die Universität vorbereiten wollten. So erfreute sich das Pädagogium bald großen Zuspruchs. Nach dem Tode seines Vaters übernahm Gotthilf Samuel Steinbart 1767 die Leitung des Waisenhauses und des Pädagogiums.

Einige philosophische Schriften des Züllichauers erregten die Aufmerksamkeit Friedrichs II. Es kam zu einer umfangreichen Korrespondenz zwischen Steinbart und dem bedeutenden Preußen-König, der sich bekanntlich sehr intensiv mit den geistigen Strömungen seiner Zeit beschäftigte. Der Wert seiner wissenschaftlichen Arbeiten und seine Lehrbefähigung brachten Steinbart die Berufung an die Viadrina ein, zunächst als Professor philosopiae ordinarius und wenig später als Professor theologiae extraordinarius. Er trat die Nachfolge des verstorbenen Prof. Töllner (1724-1774) an und zog nach Frankfurt um, behielt jedoch seine Ämter in Züllichau. Der Waisenhausprediger Wismer musste ihm als Inspektor über alles, was an der Schule geschah, genau berichten. Immer wieder einmal reiste der Professor in seinen Geburtsort, wo er 1788 ein Lehrerseminar ins Leben rief. Dieses Institut wurde 1817 zum Leidwesen der Stadt nach Neuzelle verlegt. Von 1907 bis 1924 bestand jedoch erneut eine solche Ausbildungsstätte für Volksschullehrer in Züllichau.

Der Frankfurter Professor, den 1786 die Universität Halle mit dem Diplom eines Doktors der Philosophie auszeichnete, wurde in das preußische Oberschulkollegium berufen, als König Friedrich Wilhelm II. dies bilden ließ. Was das Züllichauer Werk seines Großvaters und Vaters anbetraf, so hatte der Gelehrte durch den Krieg zwischen Preußen undNapoleon I. schwierige wirtschaftliche Aufgaben zu lösen. Unter den Durchmärschen der Franzosen litten vor allem die Güter des Waisenhauses in Raüden im Sternberger Land und in Kerkow bei Soldin. Die Pachteinnahmen fielen mehrere Jahre aus. Die Verbesserung des schlechten Zustandes der Besitztümer erforderte erheblich finanzielle Mittel. Gotthilf Samuel Steinbart starb am 3. Februar 1809 nach kurzem Krankenlager.

Wenig Persönliches ist über den Viadrina-Professor überliefert. Ein verknöcherter Wissenschaftler war er offensichtlich nicht. Einmal heißt es über ihn:„In dem seelenvollen Blick seiner Augen und in allen seinen Mienen zeigten sich Heiterkeit und menschliches Wohlwollen, das in seiner Seele thronte und ihm die Herzen aller gewann, die sich ihm näherten.“ Von diesem Wohlwollen muss auch die ebenfalls in der Züllichauer Gegend aufgewachsene Dichterin Anna Luise Karsch (die „Karschin“) kurz vor ihrem Tode (1791) etwas gespürt haben. In einem ihrer letzten Briefe an den Dichterfreund Gleim in Halberstadt berichtete sie: „Seine Magnifizenz, der Oberkonsistorialrat Steinbart, an welchem ich hier schrieb, ließ mich und meinen Enkel (Wilhelm Hempel) zur Mittagsmahlzeit bitten. Er versprach ganz freiwillig, die Stelle seines bisherigen Gönners, des gerade verstorbenen Juraprofessors Daries, einzunehmen und für Wilhelm zu sorgen.“ Studenten der Viadrina widmeten ihrem Professor zu seinem 40. Geburtstag ein längeres Festgedicht, das teilweise auch an die Kommilitonen gerichtet ist und deren Dank an Steinbart ausdrückt. Hier ein Vers:

„Denn Eure Freude glüht dem,
der Weisheit und Tugend Euch lehret
und Tiefen der Wahrheit Euch
lichtvoll enthüllt.
Und Eure Ruhe und Glück
mit jeglichem Tage vermehret,
mit Überzeugung die Seele erfüllt!“

Die Arbeiten Steinbarts hatten Bedeutung für die geistigen Strömungen seiner Zeit. Nach einigen Veröffentlichungen pädagogischen Inhalts trat der Gelehrte 1778 mit einem Werk hervor, das für Religion und Moral der Aufklärungszeit von erheblichem Gewicht war. Der etwas langatmige Titel kennzeichnete das Buch als System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christentums. Darin gründete Steinbart die Moral auf vernünftige Selbstliebe und bemaß den Wert des Christentums nach dem Beitrag, den es zur Glückseligkeit der Menschen leistet. Dieses Hauptwerk des Professors bildete eine Art Leitfaden, um aus allen Irrgängen des Kirchensystems herauszufinden und zu einem neuen Lehrgebäude des Christentums zu gelangen. Die Vertreter des Rationalismus in der evangelischen Dogmatik priesen Steinbarts Thesen. Dagegen reagierten die Konservativen (Orthodoxen) mit heftigen Angriffen. Der Theologe konterte mit Philosophischen Unterhaltungen zur weiteren Aufklärung der Glückseligkeitslehre. Zu seinen weiteren bedeutenden Veröffentlichungen im Streit der Gelehrtenwelt gehörten die Gemeinnützige Anleitung des Verstandes zum regelmäßigen Selbstdenken und die Anweisungen zur Amtsberedsamkeit christlicher Lehrer.

Steinbarts Bestreben, die Theologie den Erkenntnissen der Wissenschaft anzupassen und das Glück des Einzelnen wie der Gemeinschaft als höchstes Gut herauszustellen, rief viele Gegner aus der altprotestantischen Orthodoxie auf den Plan. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang vor allem das Religionsedikt des Ministers des geistlichen Departements in der preußischen Regierung unter Friedrich Wilhelm II., Johann Christoph von Wöllner (1732-1800), das mit Polizeimaßnahmen den Einfluss der Aufklärung auszuschalten versuchte. Wöllner erreichte es fast, das Lehrerseminar in Züllichau aufzulösen und dadurch den Einfluss Steinbarts zu beschneiden. Dank des Regierungsantritts Friedrich Wilhelms III. gelang es Steinbart jedoch, seine Lehrerbildungsstätte zu erhalten. Die Angriffe gegen seine Lehrtätigkeit in Frankfurt wehrte er u.a. mit dem Argument ab, er trage die Theologie schon seit einigen Jahren bloß historisch vor, ohne über die Richtigkeit der Grundsätze der einzelnen Religionsparteien zu entscheiden. Der Einfluß des Gelehrten sank, als der Kantsche Moralismus, der kategorische Imperativ der Pflicht, die Glückseligkeitslehre (Eudämonismus) zu überwinden begann. Der Senior der Frankfurter Professoren, eine der charakteristischen Persönlichkeiten der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, behielt jedoch trotz vieler weiterer Anfeindungen alle seine Ämter bis zum Tod.

Nachfolger in Züllichau wurde Steinbarts Sohn Friedrich (1771-1840). Der ließ seinen Vater auf dem Waisenhausfriedhof der Kleinstadt im Südosten Brandenburgs beisetzen. Der Gottesacker mit den Gräbern aller vier Steinbarts und ihrer Nachfolger sowie der Familienangehörigen wurde 1945 dem Erdboden gleichgemacht. 1981 beseitigten die Polen auch die Waisenhauskirche.

Lit.: Veröffentlichungen des Vereins der Ehemaligen des Pädagogiums und Waisenhauses bei Züllichau.

Bild: Stadtarchiv Frankfurt/ Oder