Biographie

Stern, Otto

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Atomphysiker
* 17. Februar 1888 in Sohrau/Oberschlesien
† 17. August 1969 in Berkeley/Kalifornien

Die zahlreichen Arbeiten Otto Sterns dienten weitestgehend dazu, der modernen Physik in Gestalt der Quantentheorie zum Durchbruch zu verhelfen. Immer wieder gelang es ihm, durch Ersinnen und Ausführen schwieriger Experimente die zum Teil selbst für die damaligen Physiker kaum glaublichen Voraussagen der Bohr-Sommerfeldschen-Atomtheorie zweifelsfrei zu bestätigen. Seine Grundlagenforschungen resultierten nicht direkt in spektakulären neuen Erfindungen, doch ist z. B. der heute in vielfältiger Form angewandte Laser indirekt auch seiner Arbeit zu verdanken.

Otto Stern wurde in dem kleinen oberschlesischen Städtchen Sohrau geboren. Es liegt an der Ruda, einem östlichen Nebenfluß der Oder, zwischen den Städten Rybnik und Pleß, südwestlich von Kattowitz, und hat mit Oberschlesien seit dem Mittelalter stets zu Schlesien gehört. Über seine Vorfahren ist ebensowenig bekannt wie über seine persönlichen Verhältnisse. Seine Eltern waren Eugenie, geborene Rosenthal, und Oskar Stern, beide Juden. Der Vater war Mühlenbesitzer, vielleicht auch Getreidekaufmann, mit Geschäftsverbindungen nach Rußland und Österreich; beide Länder grenzten damals unmittelbar an Oberschlesien.

Als Otto Stern vier Jahre alt war, verzog die Familie nach Breslau, der Hauptstadt Schlesiens, wo er die Volksschule und anschließend das Johannes-Gymnasium besuchte. Nach seinem Abitur Ostern 1906 studierte er Physik und Physikalische Chemie in Breslau, Freiburg i. Br. und München, unter anderem bei Sommerfeld, Abegg, Lummer und Pringsheim. Das für die damalige Zeit lange Studium wurde 1912 mit der Promotion beendet, hatte aber breite und außerordentlich gute Grundlagen geschaffen – wie die Zukunft zeigen sollte.

Unmittelbar nach der Promotion ging Otto Stern nach Prag. Hier kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen ihm und dem neun Jahre älteren Albert Einstein, dessen Theorie der Brownschen Molekularbewegung aus dem Jahre 1905 Stern stark beschäftigte, bestätigte sie doch die korpuskulare Natur der Materie, die noch immer nicht von allen Physikern anerkannt wurde. Als Einstein, der von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich gekommen war, noch 1912 dorthin zurückging, folgte Stern ihm alsbald nach und erhielt 1913 in Zürich die „venia legendi“ für das Fach Physikalische Chemie.

Als Einstein 1914 nach Berlin wechselte, verließ auch Stern Zürich – nun schon Privatdozent – und ging gemeinsam mit Max von Laue an die Universität Frankfurt am Main und lehrte hier Theoretische Physik. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Stern Soldat, in der zweiten Kriegshälfte aber, wie andere Naturwissenschaftler auch, für militärische Forschungen, und zwar an der Universität Berlin unter der Leitung von Walther Nernst, freigestellt, lernte er zwei glänzende Experimentalphysiker kennen: Max Vollmer und James Frank. Beide blieben nicht ohne Einfluß auf Stern und trugen mit dazu bei, daß dieser sich ab 1918 mehr als bisher experimentellen Arbeiten zuwandte. Nach dem Ende des Krieges entwickelte Stern – wieder in Frankfurt – seine Molekularstrahl- (oder auch Atomstrahl-)Methode, mit deren Hilfe es ihm gelang, im April 1920 die „thermische Molekulargeschwindigkeit“ einiger Gase zu bestimmen und so die „Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung“ von 1860 experimentell bestätigen. Wie fast alle genialen Ideen der Physik war auch die Molekularstrahl-Methode im Prinzip  recht einfach, im Versuch jedoch schwierig durchzuführen. Da sie Moleküle mit gleicher Geschwindigkeit erzeugen konnte, war sie auch auf andere Fragestellungen der Physik anwendbar, und das erkannte Stern schnell. Gemeinsam mit Walther Gerlach konnte er so in dem berühmt gewordenen Stern-Gerlach-Versuch 1922 eine Frage der Bohr-Sommerfeldschen Quantentheorie der Atome entscheiden: ein Strahl von Silberatomen spaltet sich beim Durchgang durch ein inhomogenes Magnetfeld in zwei Anteile auf – man spricht von der „Richtungsquantelung“. Damit war der experimentelle Beweis für eine theoretische Voraussage erbracht, der gleichzeitig gegen die Gültigkeit der bisherigen klassischen Gesetze im Bereich der Atome sprach und für die neuentwickelte Quantentheorie. Otto Stern war bereits im Herbst des Jahres 1921 außerordentlicher Professor für Theoretische Physik an der Universität Rostock geworden, hier traf er auch Max Vollmer wieder, mit dessen Doktoranden Immanuel Estermann ihn von nun an eine lebenslange Zusammenarbeit verband. Am 1. Januar 1923 erhielt Otto Stern einen Ruf als ordentlicher Professor für Physikalische Chemie an die Universität Hamburg. Sie sollte seine letzte Station in Deutschland werden, aber auch die fruchtbarste für seine wissenschaftlichen Arbeiten und wohl die schönste in seinem Leben. In der Jungiusstraße, in der Nahe des Botanischen Gartens, entstand im Institut für Physikalische Chemie ein Laboratorium für Molekularstrahlphysik. Als neuer Direktor dieses Instituts konnte Stern weitgehend Einfluß auf die Gestaltung seines Labors nehmen. Somit vermochte er im Alter von gerade erst 35 Jahren nach seinen Wünschen selbständig zu planen. In seinem Labor entstanden in den folgenden zehn Jahren mit Hilfe der Molekularstrahl-Methode bedeutende Arbeiten zur modernen Physik in Zusammenarbeit mit einigen wenigen, aber äußerst kompetenten Mitarbeitern, mit I. Estermann, O. R. Frisch und den späteren Nobelpreisträgern E. Segré und I.I. Rabi, der um 1938 Sterns Methode zur Atomstrahlresonanz-Methode verbesserte.

1933 wurde Sterns enger Mitarbeiter I. Estermann entlassen. Die damit sichtbar gewordene Haltung der Nationalsozialisten gegenüber Wissenschaftlern jüdischen Glaubens ließ Stern resignieren, den Abschied nehmen und noch 1933 in die USA emigrieren, im gleichen Jahr wie Albert Einstein und James Frank, denen es zahlreiche andere außerordentlich verdiente deutsche Wissenschaftler gleichtaten.

Otto Stern fand ein neues Wirkungsfeld als Forschungsprofessor dem Gebiet der Physik am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania. Hier, gut500 Kilometer südwestlich von New York, errichtete ihm die Buhl-Foundation unter Aufwendung von 25000 Dollar ein neues Labor zur Fortsetzung seiner Arbeiten auf dem Gebiet der modernen Physik unter Anwendung seiner Molekular Strahlmethode. Stern wurde Direktor dieses Instituts; mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen in amerikanischen Zeitschriften zeugen von dem hier Erreichten. Doch die Hamburger Atmosphäre ließ sich offenbar nicht nach Pittsburgh übertragen. Resignation überschattete die Begeisterung, mit der er die Forschungsarbeit betrieb, bedingt durch den geringeren Stellenwert des Carnegie Instituts im Vergleich mit anderen amerikanischen Hochschulen, durch geringere finanzielle Mittel und schließlich durch eine Reduzierung der Förderung physikalischer Forschung nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg.

Im Jahre 1944 erhielt Otto Stern den Physik-Nobelpreis für das Jahr 1943 zuerkannt, wohl die größte Auszeichnung, die einem Physiker unseres Jahrhunderts zuteil werden kann, „… für seinen Beitrag zur Entwicklung der Molekularstrahl-Methode und die Entdeckung des magnetischen Moments des Protons“, also genau die Arbeiten, die Stern noch in Deutschland durchgeführt hatte. Trotz dieser und anderer Ehrungen ließ Stern sich nicht mehr umstimmen: Er zog sich im Jahre 1945 zurück, also bereits im Alter von 57 Jahren, und setzte sich ein Jahr später in Berkeley an der amerikanischen Westküste zur Ruhe, wo er bereits 16 Jahre zuvor Gastvorlesungen gehalten hatte. Otto Stern, der zeitlebens gerne das Kino besucht haben soll, starb am 17. August 1969 an einem Herzanfall während eines Kinobesuchs, wie die New York Times zwei Tage später meldete. Er wurde 81 Jahre und sechs Monate alt.

Werke: Mit A. Einstein: Einige Argumente für die Annahme einer Molekularen Agitation beim absoluten Nullpunkt. Annalen der Physik 40, 551, 1913. – Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. Zeitschrift für Physik 2, 49, 1920. – Mit W Gerlach: Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld. Zeitschrift für Physik 9, 349, 1. März 1922. – Zur Methode der Molekularstrahlen I. Zeitschrift für Physik 39, 751, 1926. – A new method for the measurement of the Bohr magneton. Physical Review 51, 852, 1937.

Lit.: Dictionary of Scientific Biography, New York, Vol. XIII. – Nobel Lectures Physics, 1942 – 1962, Amsterdam, London, New York 1964. – H.-J. Kämpfert: Otto Stern. BdV-Arbeitshilfe Nr. 53. Bonn 1988.

Bild: Titelbild der BdV-Arbeitshilfe Nr. 53/1988.