Biographie

Stifter, Adalbert

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller, Maler, Pädagoge
* 23. Oktober 1805 in Oberplan/Böhmen
† 28. Januar 1868 in Linz/Donau

Schon als Kind war ich in seinen Bann gezogen: „In der ungeheuren Stille, die herrschte, in der Stille, in der sich kein Schneespitzchen zu rühren schien, hörten die Kinder dreimal das Krachen des Eises. Was das Starrste scheint und doch das Regsamste und Lebendigste ist, der Gletscher, hatte Töne hervorgebracht. Dreimal hörten sie hinter sich den Schall, der entsetzlich war, als ob die Erde entzweigesprungen wäre, der sich nach allen Richtungen im Eise verbreitete und gleichsam durch alle Aderchen des Eises lief. Die Kinder blieben mit offenen Augen sitzen und schauten in die Sterne.“ (Bergkristall)

Der Naturforscher Friedrich Simony berichtet, dass Stifter die Idee zu der „Bergkristall“-Erzählung im Sommer 1845 auf einem Regenspaziergang bekam, als zwei Kinder in „regendurchtränkten Grastüchern“ ihnen Erdbeeren anboten. Simony erzählte während des Spaziergangs von seinen Forschungen am Dachstein und in einer Eishöhle, von der er Stifter ein Bild zeigte. Am nächsten Tag berichtete Stifter: „Ich habe mir jetzt das Kinderpaar von gestern in diesen blauen Eisdom versetzt gedacht; welch’ ein Gegensatz wäre dies liebliche, aufknospende, frisch pulsierende Menschenleben zu der grauenhaft prächtigen, starren, todeskalten Umrahmung!“ (Becher, S. 181). Becher zeigt in der Biografie, die er „Sehnsucht nach Harmonie“ nennt, die Arbeitsweise Stifters, die keineswegs weltfremd und biedermeierlich im idyllischen Stübchen zustande gekommen ist.

Wie eine Beschwörungsformel lässt Stifter in seiner wohl berühmtesten Erzählung Bergkristall Sanna, die kleinere Schwester, dem größeren Bruder antworten: „Ja, Konrad.“ Diese Stereotype zieht sich wie ein roter Faden durch das Geschehen und suggeriert uns, als sei alles in Ordnung. Dabei wissen wir, es ist nichts in Ordnung, die Kinder sind hochgradig bedroht, vom Gletscher verschluckt zu werden.

Stifter lässt uns zappeln. In geradezu satanischer Manier hält er uns hin. Seitenlang verzehren wir uns nach dem Ende der Geschichte. Aber nein, da wird erneut eine Wegbiegung beschrieben, ein schiefstehender Baum, ein Grollen, das vom Herunterdonnern eines Wasserfalls herrührt. In der Erzählung Der Waldsteig quält er uns mit allerlei Krankheiten seines Protagonisten, bis er, vom Kuren gesundet, so ganz beiläufig um die Hand eines Waldbauernmädchen anhält.

Thomas Mann stellte 1949 fest, dass „hinter der stillen, innigen Genauigkeit“ von Stifters „Naturbetrachtung eine Neigung zum Exzessiven, Elementar-Katastrophalen, Pathologischen wirksam“ sei. (Becher, S. 239)

Stifter – der Biedermann? Keineswegs! lässt uns auch Peter Becher wissen. Stifter liebt schöne Frauen. Er frisst und säuft sich zu Tode. Becher berichtet, dass sich Stifter von seinem Verleger Heckenast zum Beispiel im Oktober 1857 100 Flaschen Wein bestellte, und er kommt zu dem Ergebnis, dass täglich im Stifter-Haushalt knapp zwei Liter Wein konsumiert wurden, zusätzlich noch Bier und andere Alkoholika. Beim Essen sah es ähnlich aus. Besonders Fleischspeisen und Würstel, aber auch – wie bei den Böhmen üblich – Mehlspeisen jeder Art.

„Je stärker“, schreibt Becher, „ihn seine beruflichen Anforderungen und Enttäuschungen ‚stressten‘, umso mehr tröstete sich Stifter mit Genussmitteln verschiedener Art. Was die Überanstrengung mildern und ausgleichen sollte, war jedoch der Beginn einer Krankheit, die seinen Körper mit tödlicher Konsequenz zerstörte.“ (Becher, S. 191)

Am 28. Januar 1868 stirbt Stifter. Die Linzer Zeitung berichtet „Zehrfieber in Folge Leberatrophie“. Stifter sieht im Schmerz einen „heilige(n) Engel, und durch ihn sind Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt.“

Es ist vielleicht dieses Faustische, was Stifter an Goethe sehr verehrt. Er schreibt seinem Verleger Heckenast 1857: „Goethe ist erst durch Italien ein großer Dichter geworden, wäre ich vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren zum ersten Male und dann öfter nach Italien gekommen, so wäre auch aus mir etwas geworden …“ (Franz Baumer). Das schreibt Stifter elf Jahre vor seinem Tode, nachdem er bereits ein erfolgreicher Schriftsteller und Maler ist.

Auch ihn hatte die Sehnsucht nach der Antike, nach Italien getrieben. „Mein Sehnen seit vielen Jahren ist in Erfüllung gegangen: ich habe das Meer gesehen.“ (Baumer, S. 14) Leider hatte das Geld nicht gereicht, auch Venedig, Florenz oder Rom zu besuchen.

Wie Goethe war Stifter auch Maler. In seinen späten Studien zeichnet er griechische Tempelruinen, die er „Heiterkeit“ nennt, in denen sich die Formen aufzulösen beginnen. Während seine früheren Werke einen Wandel vom Naiven zum gekonnten Abbild durchlaufen, nähern sich seine späten Zeichnungen der Abstraktion, er betitelt sie „Bewegung“, „Waldrücken“, es sind bewegte Linien zu sehen. Stifter ist ebenfalls wie Goethe in den Staatsdienst gegangen, als Schulrat.

In Wien hatte er ein Rechtsstudium absolviert und alle Prüfungen, bis auf eine, erfolgreich bestanden. Er blieb unbegründet weg, das hatte zur Folge, dass er keinen akademischen Titel bekam und seine Jugendliebe Fanny, die aus gutbürgerlichem Hause war, nicht heiraten konnte. Immer wieder packte ihn die panische Angst vor Prüfungen. Er verdingte sich vielerorts als Privatlehrer und heiratete zwar ein bildhübsches Mädchen, Amalie, die aber aus niedrigem Milieu kam und ungebildet war.

Als Stifter in den Staatsdienst ging, hatte er nicht nur ans Geldverdienen gedacht. In dem 1844 herausgegebenen Sammelband Wien und die Wiener, in Bildern aus dem Leben hatte er eine fast vormärzige Einschätzung des Lebens in den großen Städten. „Mitten nun auf dieser dunklen Länderscheibe … gerade unten zu deinen Füßen liegt die schwarze Stadt, unberührt von der Morgenröthe, die bereits über ihr heraufflammt, dieses Bild des gestrigen Treibens, nun unbeweglich ruhig, wie in Todesschlummer gestürzt, gespenstig starr heraufglotzend, als wäre sie todt, von keinem einzigen Laute erschüttert, als hier und da von dem grellen Schlag einer geblendeten Nachtigall … und so geht es fort; wieder Erwerb, wieder Genuss, immer steigend, immerzu – größerer Gewinn, größrer Genuss, und der da stürzt in der hastigen Jagd, hat dann Neid und Groll gegen die Andern, weil er wähnt, er sei arm.“ (Becher, S. 144ff.) Stifter schreibt sich in das Treiben der Großstadt mit einem Stakkatostil.

Nach der 1848er Revolution schienen ihm die politischen Ideen verbraucht. Er hoffte mit der Einflussnahme auf die Bildung zu retten, was noch zu retten war. Da lag er voll im Trend der 1848er auch in Deutschland, wo selbst Frauen beteiligt waren und z.B. die Hamburger Frauenhochschule gründeten, übrigens sind sich nicht nur in diesen Punkt die Nachwirkungen der 1848er und 1968er Zeit ähnlich, auch im 20. Jahrhundert vollzog sich eine Wendung zu Erziehungsfragen.

Aber auch der Schuldienst enttäuschte Stifter zutiefst. Er schreibt deprimiert: „Fünf Jahre habe ich ohne Entgelt für die Realschule nach besten Kräften gesorgt … und im 6ten wird mir die Inspection abgenommen. Weniger die persönliche Kränkung als vielmehr der Gedanke, dass man so schnell und leichthin in der wichtigen Sache des Unterrichtes verfährt, ist tief in meine Seele gedrungen.“ (Becher, S. 184).

In seiner Erzählung Der Kuss von Sentze, sie beginnt im Jahr 1846, arbeitet er seine Erfahrung mit der 1848er Revolution ein. Stifter lässt den jungen Rupert sagen:

„Die Freiheit als die Macht, unbeirrt von jeder Gewalt, die höchste Menschheit an sich zu entwickeln, ist das größte äußere Gut des Menschen. Der rechte Mensch ist frei von den Gelüsten und Lastern seines Herzens und schafft sich Raum für diese Freiheit oder lebt nicht mehr. Wer so nicht frei ist, kann es anders nicht sein. Das andere ist die Freiheit des Tieres, das nach seinen Trieben tut. Ich hoffe, dass bei uns Männer sind, diese Freiheit zu fördern und ihr einen Weg in das Staatsleben zu bahnen, dass sie in ihrer Schönheit erblühe. Wie lange es bis dahin dauern wird, weiß ich nicht. Die meisten derer, die jetzt nach Freiheit rufen, sind noch in den Banden ihrer Gier nach Herrlichkeit, Nutzen und Gewalt und sind gegen die Unterdrückung Unterdrücker, wie der Dichter vor langem gesagt hat: ‚Um den Vorteil der Herrschaft stritt ein verderbtes Geschlecht, nicht würdig, das Gute zu schaffen.’ Bei uns tut es not, dass das Reich nicht wanke, und wenn es fest steht, dann mögen in ihm die rechten Männer den Pfad der Freiheit suchen und wir vorerst dazu die rechten Männer finden.“ (Meistererzählungen, Diogenes Verlag, S. 315)

Adalbert Stifter ist am 23. Oktober 1805 im böhmischen Oberplan geboren und auf den Namen Albert getauft worden. Den Namen Adalbert erhielt der Junge erst später im Benediktinerstift von Kremsmünster, wo er als „Adalbertus Stifter Bohemus Oberplaniensis“ geführt wurde. Über diese Zeit spricht Stifter von „jenen unvergesslichen Tagen … die ich unbedenklich die schönsten nennen kann …“ (Becher, S. 45)

Wer Ferien im Böhmerwald zu machen gedenkt, sollte das Geburtshaus in Oberplan, tschechisch Horní Planá, das ein Stifter-Museum beherbergt, besuchen.

Werke: Adalbert Stifter, Meistererzählungen, Diogenes Verlag, 1988.

Lit.: Peter Becher, Adalbert Stifter. Sehnsucht nach Harmonie. Eine Biografie, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2005. – Christian Begemann, Davide Guiriato (Hrsg.), „Stifter Handbuch“. Leben – Werk – Wirkung. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2017. – Franz Baumer, Adalbert Stifter der Zeichner und Maler, Passavia Verlag, 1994.

Bild: Stahlstich nach einem Gemälde von Moritz Daffinger.

Jenny Schon