Biographie

Stifter, Adalbert

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller, Maler, Pädagoge
* 23. Oktober 1805 in Oberplan/Böhmen
† 28. Januar 1868 in Linz/Donau

Adalbert Stifter, der als einer der wichtigsten Autoren im Übergang vom der Romantik- und Biedermeierzeit hin zur Moderne gelten kann, wurde am 23. Oktober 1805 im böhmischen Oberplan (heute: Horní Planá, Tschechien) geboren. Er war der älteste Sohn des Garnhändlers Johann Stifter und dessen Frau Magdalena. Da der Vater bereits früh – 1817 – durch einen Unfall verstarb, wurde der Großvater mütterlicherseits, Franz Friepes, wesentlich für die Entwicklung des Jungen verantwortlich. 1818 schickte er das Kind auf die Lateinschule (Gymnasium) des Benediktinerstifts Kremsmünster in Oberösterreich, die Stifter bis 1826 besuchte.

Bereits während seiner Studienzeit in Wien, die sich an den Besuch des Gymnasiums anschloß, war er als Hauslehrer tätig. Stifters Studium gehört nicht zu den besten Jahren des Autors, der sich an der juristischen Fakultät einschrieb. Zwar waren seine Leistungen durchaus gut, doch zögerte er seine Abschlußprüfungen immer weiter hinaus. Die Studienzeit war vor allem von persönlichen Niederschlägen geprägt. 1827 verliebte er sich während eines Sommeraufenthalts in Oberplan in die neunzehnjährige Fanny Greipl, die Tochter eines Getreidehändlers aus Friedberg/Böhmen. In diese Zeit fallen auch erste Gedichte, die Stifter an Fanny schrieb. Diese sind eindeutig romantischer Natur. Ebenso muß Stifter in diesen Jahren an seiner ersten Erzählung „Julius, die aber erst weit nach seinem Tod erscheinen sollte, gearbeitet haben.

Um die Liebe zu Fanny war es nicht gut bestellt. Die Eltern des Mädchens hielten wenig von Stifter und unterbanden die Verbindung. Sie zweifelten daran, daß er jemals eine bürgerliche Existenz aufbauen werde. Ganz unrecht schienen die Eltern damit auch nicht zu haben: Stifter brach sein Studium 1831 endgültig ab und hielt sich finanziell mit Privatstunden bei den Kindern der Wiener Gesellschaft über Wasser. Eine Karriere im Staatsdienst hatte sich der von Malerei, Literatur, aber auch den Naturwissenschaften Begeisterte nie vorstellen können. Die Zeit mit Fanny gehörte zu der schwierigsten und auch quälendsten Erfahrung im Leben des Dichters. 1837 heiratete er die Putzmacherin Amalie Mohaupt, die er vier Jahre zuvor in Wien kennen gelernt hatte. Stifter begründete dies unter anderem mit einer Eifersucht, die aufgekommen sei, als er erfuhr, daß Fanny beabsichtigte zu heiraten, was sie 1836 auch tat. Fanny starb 1839 bei der Geburt ihres Kindes.

Nach der Heirat schlug sich der Autor weiter mit Gelegenheitsarbeiten als Hauslehrer durch. Auch wenn der durchaus talentierte Maler mitunter ein Gemälde verkaufte, reichte das nicht zum Leben. Allerdings kam nun seine literarische Karriere in Gang. 1840 erschienen die Erzählungen „Der Condor“ und „Das Haidedorf“ in der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“. Ebenso veröffentlichte er im gleichen Jahr in dem Almanach „Iris“ auf das Jahr 1841 – herausgegeben von Gustav Heckenast, der Stifters Verleger werden sollte – die Erzählung „Feldblumen“. Dabei ist nicht sicher zu ermitteln, in welcher Weise Stifter zuerst literarisch in Erscheinung trat. Sein Freund, der Realschulprofessor Johannes Aprent, gibt in diesem Zusammenhang eine Anekdote wider: Die neugierige Tochter der Baronin Mink zog ihrem Hauslehrer heimlich eine Papierrolle aus der Tasche, auf welcher Stifter den „Condor“ niedergeschrieben hatte, und begann darin zu lesen. Plötzlich rief sie laut aus: „Mama, der Stifter ist ein heimlicher Dichter; hier fliegt ein Mädchen in die Luft!“ Die ersten Erzählungen stehen noch ganz in der Tradition der Romantik. Thematisch ließ sich Stifter von Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, aber auch von seinem großen Vorbild Jean Paul inspirieren. Wie es nun aber auch immer dazu gekommen ist, daß Stifter in Literaturkreisen bekannt wurde – er war nun endgültig davon überzeugt Autor werden zu sollen. In den Jahren 1841 bis 1844 entstanden und erschienen die Erzählungen „Der Hochwald“, „Die Narrenburg“, „Abdias“, „Das alte Siegel“, „Brigitta“, „Der Hagestolz“, „Der Waldstieg“, sowie die erste Fassung des Romans „Die Mappe meines Urgroßvaters“. Dennoch war der Autor auch weiterhin gezwungen, als Hauslehrer tätig zu sein, da die Eheleute Stifter ein kostspieliges Leben führten. Die Erzählungen aus dieser Phase behandeln sämtlich die Themen Schuld, Schicksal und Sühne. Zeichnen sie sich noch vordergründig durch romantische Motive aus, setzen sich unter der Oberfläche doch mit gesellschaftlichen Problemen auseinander. Besonders sind hierbei die Novellen „Abdias“ und „Brigitta“ hervorzuheben. Die erste zeigt dem Leser das Leben des Juden Abdias und seiner Tochter, welches immer wieder von Schicksalsschlägen bestimmt wird. Durch die Gier nach mehr und mehr Reichtum blind für das Schicksal seiner Tochter Ditha geworden, muß Abdias am Ende hilflos mit ansehen, wie seine Tochter durch einen Blitzschlag getötet wird. Die andere Erzählung beschreibt aus der Sicht eines Erzählers das Schicksal zweier Eheleute, die sich – durch Verschulden des Mannes Stephan – getrennt haben. Erst als Stephan erfährt, daß er einen Sohn hat und dieser dann verunglückt, findet das Ehepaar wieder zusammen.

Obwohl Stifters Hauslehrertätigkeiten primär dem Gelderwerb dienten, waren diese auch immer Teil von höherem Interesse. Die Erziehung von Kindern lag ihm sehr am Herzen, mehrfach bemühte er sich um eine Anstellung als staatlicher Lehrer, was ihm jedoch versagt blieb. 1844 erschienen die ersten beiden Bände der „Studien“im Verlag von Heckenast. Darin befanden sich viele der bisher erschienenen Erzählungen, die jedoch sämtlich Umarbeitungen erfahren hatten. 1847 erschienen die Bände drei und vier. Im selben Jahr nahmen die kinderlosen Eheleute die sechsjährige Nichte von Amalie, Juliane Mohaupt, als Adoptionskind auf. Stifter hatte nun die Möglichkeit, ein eigenes Kind nach seinen Vorstellungen zu erziehen.

Die Jahre 1848/49 gehören zu den wichtigsten im Leben des Autors. Wie in allen anderen Gebieten des Deutschen Bundes brachen aus in Österreich Kämpfe im Zuge der Märzrevolution aus. Stifter wurde in seinem Wohnbezirk zum Delegierten für das Frankfurter Paulskirchen-Parlament gewählt. War der Dichter zu Beginn noch begeisterter Anhänger der Revolution, so wandte er sich von dieser ab, als sie immer gewalttätigere Züge annahm. Als Redakteur für die „Linzer Zeitung“ und den „Wiener Boten“ veröffentlichte er in dieser Zeit zahlreiche Aufsätze. In diesen legte er seine Vorstellungen von Freiheit, Sittlichkeit, dem Staatgebilde und den Aufgaben von Bildung, Schule und Kirche dar. Stifter zeichnet hierbei das Bild einer Gesellschaft, die nach festgelegten Regeln zu höchster Sittlichkeit streben solle. Die Menschen müssen ihre Leidenschaften beherrschen, um nicht in tierische Verhaltensweisen zurückzufallen und gegeneinander zu kämpfen. Schule und Kirche dienen dazu, die Kinder (und die Erwachsenen) sittlich zu formen und alles Notwendige für das Leben zu vermitteln. Ein Jahr später erschienen der fünfte und sechste Band der „Studien“. Da der Autor immer noch von Geldsorgen geplagt wurde, verkaufte er notgedrungen alle Rechte an diesem Werk an Heckenast.

Die finanziellen Nöte waren für die Familie erst vorbei, als Stifter 1850 zum k.u.k. Schulrat für Oberösterreich ernannt wird. In dieser Tätigkeit zeigte er außerordentliches Engagement. Er bereiste die Schulen der ganzen Region und fertigte detaillierte Berichte über diese an. Außerdem erreichte er die Gründung einer Realschule in Linz. Dennoch offenbart sich hier das Dilemma in Stifters Leben: Seine Vorstellungen von Kindeserziehung waren ausgesprochen theoretischer Natur und konnten in der Praxis nur schwerlich bestehen. Mit seiner Ziehtochter hatte er unentwegt Schwierigkeiten. 1851 riß sie für zwei Wochen von zuhause aus.

1853 erschien Stifters großer Erzählband „Bunte Steine“. Darin befinden sich die Erzählungen „Granit“, „Kalkstein“, „Turmalin“, „Bergkristall“, „Katzensilber“ und „Bergmilch“, die fast alle zuvor schon unter anderen Titeln in verschiedenen Zeitschriften erschienen waren. Teil dieses Buchs ist auch eine Vorrede, die große Berühmtheit erlangen sollte. In dieser beschreibt Stifter die Gedanken, die später als „Sanftes Gesetz“ eine Art Poetologie des Autors bilden wird. Er wendet hier sich gegen seine Kritiker, besondern gegen den Autor Friedrich Hebbel (1813-1863), der ihm vorwarf in seinen Erzählungen sich nur um Kleinigkeiten zu kümmern und die großen Bewegungen der Menschheit zu mißachten. Hebbel nannte Stifters Erzählungen schlichtweg langweilig. Doch für Stifter waren es gerade die kleinen Dinge und das Beschauliche im Leben des Menschen, in denen sich das Große zeigte. Ein ruhiges Leben mit Beherrschung der Leidenschaften war für Stifter ein großes. Starke Gemütsbewegungen, ausbrechender Zorn erachtete er hingegen als klein. Das „Sanfte Gesetz“ ist das Sittengesetz, das den Menschen durch das Leben führt. Es liegt für den Menschen unsichtbar in der Liebe und wird deutlich, wenn Menschen schlecht miteinander umgehen. Dieses Gesetz durchzieht die Erzählungen Stifters als Leitmotiv. Er beschreibt in seinen Texten, welche Auswirkungen die Menschen erleiden müssen, wenn sie gegen das Sittengesetz verstoßen und zeichnet andererseits Sittengemälde von rechtschaffenen Menschen, die Vorbild für andere sein sollen.

1854 gab er gemeinsam mit Johannes Aprent das „Lesebuch zur Förderung humaner Bildung“ heraus, welches an Realschulen zu Unterrichtszwecken eingesetzt werden sollte. Das zuständige Ministerium lehnte das Buch jedoch ab: Die darin enthaltenen Texte seien für die Schüler zu anspruchsvoll. Wie auch in seinen Aufsätzen aus den Jahren 1848/49 klaffen hier erneut Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Von nun an begann der langsame Abstieg des Autors. Im Jahr der Herausgabe des „Lesebuchs erkrankte Stifter an einem Nervenleiden, welches sich in den folgenden Jahren noch verstärken sollte. Dazu stellten sich ein Jahr später erneut Geldsorgen und darüber hinaus noch eine Leberkrankheit ein. Gleichwohl vollendete Stifter im 1857 seinen großen Bildungsroman „Nachsommer“. In der Tradition des Biedermeier beschreibt der Roman das Leben von Heinrich Drendorf. Wichtige Themen sind dabei die sittliche Reifung, klassische Bildung, die allgemeine Entwicklung des Protagonisten. Politik wird hingegen überhaupt nicht thematisiert. Gerade in diesem Roman zeigt sich die Schwierigkeit des Stifterschen Stiles. Werden in seinen Erzählungen Menschen und Landschaften schon umfassend dargestellt, erscheint dies im „Nachsommer fast ausufernd. Stifter als Meister der genauen und detaillierten Beschreibung fand mit diesem Werk nicht überall Anklang. Sein ewiger Kritiker Hebbel versprach dem Leser, der das Werk freiwillig lese, „die Krone von Polen“.

Familiär war das Leben des Autors in dieser Zeit von Schicksalsschlägen gezeichnet. 1858 starb seine Mutter hochbetagt. Ein Jahr später verschwand seine Ziehtochter Juliane aus dem elterlichen Haus. Nach vier Wochen wurde ihre Leiche in der Donau entdeckt. Im selben Jahr erkrankte Stifter an einem Augenleiden. Dazu kamen in den folgenden Jahren weitgehende nervöse und organische Leiden: Stifter wurde zusehends depressiv. 1864 erscheint seine Erzählung „Der Waldbrunnen, mit welcher er seiner toten Ziehtochter ein literarisches Denkmals setzte. Im gleichen Jahr erschien ebenso der Text „Die Nachkommenschaften“. Aus gesundheitlichen Gründen wurde Stifter von Dienst beurlaubt und schließlich 1865 mit der Verleihung eines Hofratstitels in den Ruhestand versetzt. Auch wenn nun die Krankheiten sein Leben wesentlich bestimmen sollten – auch seine Frau erkrankte – erscheinen 1866 die Erzählungen „Der Kuß von Senzte“ und „Der fromme Spruch“. Ebenso erfolgte in den Jahren 1865 bis 1867 die Herausgabe des „Witiko“, des zweiten großen Romans Stifters, welcher von den Anfängen des Hauses Witiko berichtet, dessen Untergang im „Hochwald“ bereits thematisiert worden war.

Die Arbeit an einer neuen Fassung der „Mappe meines Urgroßvaters“ konnte er nicht mehr vollenden. Nach einem letzten Besuch in seinem Geburtstort Oberplan wurde Stifter im Dezember 1867 bettlägerig. Wie der Autor letztendlich starb, ist bis heute nicht vollends geklärt. In der Nacht zum 26. Januar 1868 verletzte sich Stifter, vermutlich geistig verwirrt, mit einem Rasiermesser schwer am Hals, so daß er, ohne das Bewußtsein nochmals zu erlangen, zwei Tage später starb. Auf dem St.-Barbara-Friedhof, Linz, fand Adalbert Stifter seine letzte Ruhestätte.

Werke:Adalbert Stifter, Sämtliche Erzählungen, Der Nachsommer, Witiko, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag.

Lit: Cornelia Blasberg, Erschriebene Tradition. Adalbert Stifter oder das Erzählen im Zeichen verlorener Geschichten. Rombach Wissenschaft: Reihe Litterae, Band 48, Freiburg i.Br. 1998. – Christoph Buggert, Figur und Erzähler. Studie zum Wandel der Wirklichkeitsauffassung im Werk Adalbert Stifters. Wissenschaftliche Materialien und Beiträge zur Geschichte und Landeskunde der Böhmischen Länder. Hrsg. vom Collegium Carolinum und der Historischen Kommission der Sudetenländer, Heft 12, München/Prag 1970; Moritz Enzinger, Gesammelte Aufsätze zu Adalbert Stifter, Wien 1967. – Kurt Gerhard Fischer, Die Pädagogik des Menschenmöglichen. Adalbert Stifter. Schriftenreihe des Adalbert Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich, hrsg. v. Aldemar Schiffkorn, Folge 17, Linz/Donau 1962; Alois Raimund Hein, Adalbert Stifter. Sein Leben und seine Werke. Wortgetreuer Abdruck der 1. Aufl. aus dem Jahre 1904, 2 Bde., Wien 1952. Anhang von Otto Jungmair. – Wilhelm Kosch, Adalbert Stifter als Mensch, Künstler, Dichter und Erzieher, Regensburg 1952. – Mathias Mayer, Adalbert Stifter. Erzählen als Erkennen, Stuttgart 2001, RUB 17627. – Ursula Naumann, Adalbert Stifter, Stuttgart 1979. – Urban Roedl, Adalbert Stifter. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 13. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2002. Rowohlts Monographien 50086; Theodor Rutt: Adalbert Stifter. Der Erzieher, Wuppertal/Ratingen/Kastellaun 1970.

Christoph Meurer