Biographie

Stingl, Josef

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Sozialpolitiker
* 19. März 1919 in Mariakulm/ Egerland
† 19. April 2004 in Leutesdorf am Rhein

Der Egerländer Josef Stingl wurde als Sohn des Bäckermeisters Josef Stingl und dessen Ehefrau Amalie, geb. Hüttler geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Eger, an dem er 1938 das Abitur bestand. Wie die überwiegende Mehrzahl seiner Generation nahm er am Zweiten WeItkrieg vom Jahre 1939 bis zum bitteren Ende 1945 teil. Einberufen wurde er zur Luftwaffe. Als Angehöriger des fliegenden Personals war er als Flugzeugführer und Beobachter im Einsatz, zuletzt als Oberleutnant. Für den Egerländer Stingl bedeutete das Kriegsende britische Kriegsgefangenschaft und die Vertreibung aus der Heimat. Es verschlug den seit 1943 mit Dorothea Behmke Verheirateten nunmehr Sechsundzwanzigjährigen nach Berlin, wo er sich mit diversen Beschäftigungen, so als Bauarbeiter und Angestellter einer WohnungsbaugeseIlschaft sowie als wissenschaftlicher Hilfsassistent durchschlug.

Die Vielfalt der von Josef Stingl ausgeübten Tätigkeiten kann als typisch für die Kriegsgeneration betrachtet werden angesichts der chaotischen Situation auf so gut wie allen Gebieten im Nachkriegsdeutschland, in dem es weniger ums Leben als ums Überleben ging, von der Perspektivlosigkeit einmal ganz abgesehen. Trotz der widrigen Gegebenheiten für sich und seine junge Familie besuchte Stingl seit 1949 die in Berlin ansässige Deutsche Hochschule für Politik, die er 1949 mit dem Diplom abschloss. 1952 wurde er Angestellter bei der IHK Berlin, wo er im Referat für Sozialpolitik beschäftigt war bis 1968. Der CDU hatte er sich bereits kurz nach Kriegsende angeschlossen. In der Partei avancierte er 1951 zum Stellvertretenden Kreisvorsitzenden in Reinickendorf, 1956 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden in Berlin und 1964 bis 1968 zum Landesvorsitzenden der CDU Oder-Neisse. Dem Bundesvorstand der CDU gehörte er von 1964 bis 1973 an. Als CDU-MdB vertrat er Berlin von 1953 bis 1968.

Als Bundestagsabgeordneter war er Vorsitzender des Arbeitskreises für Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Fraktion – 1963-1965 – und von 1965 bis 1973 Vorsitzender des CDU-Fachaus­schusses für Sozialpolitik. Sein Bundestagsmandat legte Josef Stingl nieder, als er am 2. Mai 1968 zum Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung berufen wurde. Bis zum 30. März 1984 stand er der Behörde vor. Legendär wurden während dieser Zeit die allmonatlich zelebrierten neuen Arbeitslosenzahlen durch ihn. Neben seiner Funktion als Präsident der Nürnberger Behörde wirkte er an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer, deren Aufgabe die „Aus- und Weiterbildung von Führungskräften der Staatsverwaltung“ ist, als Lehrbeauftragter. 1979 verlieh ihm die Hochschule die Ehrendoktorwürde. Von 1983 bis 1990 war er Honorarprofessor der Universität Bamberg. Seinem Naturell entsprechend, war er in zahlreichen Gremien engagiert. So war er Ehrenversitzender der Ackermanngemeinde, Vizepräsident des 80. Deutschen Katholikentags 1964 in Stuttgart, Angehöriger der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Vorsitzender der Kommission Wirtschaft und Gesellschaft des Zentralkommitees der Deutschen Bischofskonferenz sowie der gemeinsamen Konferenz des ZDK und der Bischofskonferenz, Mitglied der Deutschen Sektion des Päpstlichen Hilfswerks Kirche in Not/Ostpriesterhilfe, Mitglied des Internationalen Bundes für Sozialarbeit, Korporierter im CV. Als Soldat wurde er 1942 mit dem Ehrenpokal für besondere Leistungen im Luftkrieg und 1943 mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet. Nach 1945 erfuhr Josef Stingl die Auszeichnung mit dem Bayerischen Verdienstorden (1971), dem Großoffizierskreuz des Verdienstordens der italienischen Republik (1972), dem Heinrich-Brauns-Preis des Bistums Essen (1984), dem Hermann-Lindrath-Preis, dem Großkreuz des päpstlichen Gregoriusordens (1984), dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband (1984), dem Europäischen Karls-Preis der Sudetendeutschen Landsmannschaft (1984), dem Paul Klinger Preis der Deutschen Angestellten­Gewerkschaft. Josef Stingl, der in zweiter Ehe mit Elvira Longear-Stingl, geb. Stark, verheiratet war, verstand sich als Sozialpolitiker und „Anwalt der Arbeitslosen“. Zeitlebens setzte sich der Heimatvertriebene für den Dialog und die Aussöhnung der Sudetendeutschen mit den Tschechen ein.

Lit.: Rudolf Vierhaus/Ludolf Herbst (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, Bd. 2, München 2002. – Wer ist Wer? Das deutsche Who’s Who, XXXVIII. Ausg. (1999/2000), 1393. – Wikipedia der freien Enzyklopädie.

Bild: Ackermann-Gemeinde.

Konrad Fuchs