Biographie

Strachwitz, Moritz Karl Wilhelm Anton Graf von

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Lyriker, Dichter
* 13. März 1822 in Peterwitz/Frankenstein
† 11. Dezember 1847 in Wien

Der nur 25 Jahre alt gewordene Lyriker Moritz Graf von Strachwitz, ein Landsmann und Zeitgenosse Eichendorffs, ist (im Unterschied zum Lubowitzer Standesgenossen) heute selbst den an Lyrik Interessierten nur noch mit wenigen Texten bekannt. Den höchsten Bekanntheitsgrad dürfte auch in KennerkreisenDas Herz von Douglas erreichen. Liest man diese Romanze aus den 1847 zusammengestelltenNeuen Gedichten vergleichend mit Theodor Fontanes (zehn Jahre später gedruckter) Ballade Archibald Douglas, kann man den dichterischen Rang des Grafen Strachwitz auch heute noch als beachtlich bezeichnen. Im Kontext der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber sind Leben, Werk und insbesondere die Freundschaften des frühverstorbenen Dichters aufschlußreich für die geistige Situation der Zeit zwischen der Julirevolution 1830 und der Märzrevolution 1848.

Das oberschlesisch-katholische Freiherrngeschlecht der Strachwitz wurde erst 1798 von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen in den Grafenstand erhoben, blieb jedoch nach Österreich hin ausgerichtet. Hans Graf von Strachwitz, der Vater des Dichters, diente als Offizier in der österreichischen Reiterei. Nach seinem Abschied aus dem Militärdienst war er lange als Landrat des Kreises Frankenstein und als Landschaftsdirektor des Fürstentums Münsterberg tätig. Seine feine Bildung stand den poetischen Neigungen des Sohnes nie im Wege. Gleiches gilt von der schönen Mutter, Luise von Schimonski. Umso härter traf ihn im Alter von dreizehn Jahren ihr früher Tod. Abschiede mannigfacher Art prägten überhaupt das kurze Leben von Moritz Graf von Strachwitz. Noch zu Lebzeiten seiner Mutter mußte er (ähnlich wie Eichendorff und sein Bruder Wilhelm von Lubowitz) vom geliebten Kindheitsschloß Peterwitz (altritterlich ausgestattet und malerisch am östlichen Abhang des Eulengebirges gelegen) Abschied nehmen und 1834 mit seinem jüngeren Bruder Ludwig das Gymnasium im katholischen Glatz beziehen. Ostern 1838 ordnete der Vater (unzufrieden mit der Ausbildung in Glatz) den Übertritt seiner Söhne ins Gymnasium im protestantischen Schweidnitz an. Sogleich regte die Erinnerung an Johann Christian Günther, der hier die evangelische Gnadenschule besucht hatte, den jungen Strachwitz zur Beschäftigung mit dessen Lyrik an. Vor allem aber führte die jugendliche Erfahrung des ausgeprägten Katholizismus in Glatz und die des nicht weniger markanten Protestantismus in Schweidnitz zu einer auffallend toleranten Haltung im Leben und Werk des jungen (sonst keineswegs ausgeglichenen) Aristokraten.

1841 ging Strachwitz auf Wunsch des Vaters (nicht aus eigenem Antrieb) zum Studium der Rechtswissenschaft nach Breslau. Im Herbst 1842 wechselte er, wiederum gemäß väterlicher Planung, für drei Semester nach Berlin. Er selbst wäre gern nach Heidelberg gegangen (den Studienort der Brüder Eichendorff, Arnims und Brentanos). Im vormärzlichen Berlin kamen die bislang zurückgedrängten Vorlieben und Eigenheiten des jungen Grafen voll zum Ausbruch: seine ungezügelte Lebenslust, das Bedürfnis nach Schönheit und die Abneigung gegen jegliches Schablonendenken. Schon seinem Schweidnitzer Schulkameraden Karl Weinhold hatte er als erstes Geschenk EichendorffsKrieg den Philistern überreicht. Antiphiliströs präsentiert sich auch eines der besten (zugleich unbekanntesten) Gedichte, das 10. Sonett seines ersten LyrikbandesLieder eines Erwachenden (1842):

Ihr, die ihr schwatzt von Winkeln, Polygonen
Und regelrechten Parallelogrammen,
Die ihr berechnet des Gedankens Flammen
Nach mathematischen Dimensionen;

Die ihr festnagelt alle Himmelszonen,
Und abdrescht in Broschüren und Programmen:
So zirkelt fort und baut und brecht zusammen,
Nur mögt ihr mich mit eurem Quark verschonen.

Ich kann mich einmal nicht daran gewöhnen,
Ich will mich einmal nicht damit befassen:
Was will die Zahl in meinen wilden Tönen?

Stets werd‘ ich eure eck’gen Formen hassen,
Und regellos im Labyrinth des Schönen
Mich ohne Faden freudig gehen lassen.

In Berlin schloß sich der Jurastudent Graf Strachwitz dem Dichterkreis ”Tunnel über der Spree” an, zu dessen Mitgliedern auch Theodor Fontane zählte, einer der prominenten Lobredner des Grafen Strachwitz. Dieser verkehrte freilich auch in den ganz anderen Kreisen reicher Lebemänner, was bald finanzielle Schwierigkeiten nach sich zog. Zudem wuchs seine Examensangst, weswegen er im Frühjahr 1844 ins oberschlesische Grottkau ging, um sich von einem versierten Juristen einpauken zu lassen. Nach bestandener Auskultatorprüfung am 12. Oktober 1844 in Breslau strebte er allerdings eine juristische Laufbahn nicht ernsthaft an. Er ließ sich zwar mit der Absicht in Schweidnitz nieder, als Jurist zu arbeiten; doch hielt er sich häufig in seinem Dichterstübchen im Peterwitzer Schloß auf. 1845 erfüllte er sich mit einer Skandinavienreise den Kindheitstraum, das Land der nordischen Sagen, die er sich schon früh angeeignet hatte, persönlich zu erleben. Die Begeisterung, mit der ihn mannigfache Reiseeindrücke erfüllten, klingt in seinen Nordlands-Liedern nach. Die 1847 unternommene (gleichfalls lang ersehnte) Italienreise wurde ihm vom Vater ermöglicht, um ihn dadurch für den Eintritt in den Staatsdienst gefügig zu machen. Noch vor Rom erkrankte der Dichter und kehrte über Venedig nach Wien zurück, wo er an Unterleibstyphus starb.

Die Themen der zwei Strachwitz’schen Gedichtbände reichen von der Begeisterung für die einstige Größe des Vaterlandes, deren Wiederkehr ersehnt wird, über die zeitübliche Schwärmerei für die Freiheit bis zum Haß gegen die dumpfe Masse und philiströsen Krämergeist. In seinen Balladen huldigt Strachwitz einem idealisierten Heldentum im nordischen Sagenkleid. Analog zum Ansbacher Grafen Platen greift auch Strachwitz wiederholt die zeittypischen Italienthemen auf. Seine Dichtung ist in Kenntnis der Gedichte von Heine und Platen, Anastasius Grün, Herwegh und Lenau entstanden. Emanuel Geibel besuchte ihn im Herbst 1844 in Peterwitz. Hinzuweisen ist schließlich auf die breite, überwiegend positive Rezeption der Strachwitz‘ schen Lyrik im 19. und frühen 20. Jahrhundert: vom jungen Fontane über Felix Dahn, Detlev von Liliencron bis zu Börries von Münchhausen.

Werke: Gedichte von Moritz Graf Strachwitz. Gesamtausgabe. Hg. von Karl Weinhold. Breslau: Eduard Trewendt81891. – Moritz Graf Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen. Mit einem Lebensbilde des Dichters und Anmerkungen hg. von Hanns Martin Elster. Berlin: Grote’sche Verlagsbuchhandlung 1912.

Lit.: A.K.T. Tielo: Die Dichtung des Grafen Moritz von Strachwitz. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte. Berlin: Duncker 1902. – Hanns Gottschalk: Strachwitz und die Entwicklung der heldischen Ballade. Diss. Breslau 1939.

Bild: aus Moritz Graf Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen. Berlin 1912. undatiert.

Walter Dimter