Thomas Strutius entstammte einer weitverzweigten Musikerfamilie, die in Ostpreußen ansässig war, in Thorn, in der Mark und auch in Pommern wirkte, wie der Geburtsort Stargard in Hinterpommern von Thomas Strutius belegt. Strutius ist die Latinisierung des Namens Strutz, wohl auch Strauß. Diese zeigt, dass die Familie dem gelehrten Musikerstand angehörte. Bei spärlicher Überlieferung ist das genaue Geburtsdatum von Thomas Strutius nicht bekannt. Wahrscheinlich war er der Sohn jenes gleichnamigen Organisten, der 1603 in Stargard seine Stelle angetreten hatte. Anzunehmen ist, dass Thomas Strutius vom Vater erste musikalische Ausbildung erhielt. 1642 wurde er Kantor und Organist an der Gymnasialkirche St. Trinitatis in Danzig. Das Danziger Bürgerrecht konnte er dann 1647 erwerben. Als Nachfolger des Sweelinck-Schülers Paul Siefert, welcher die Stelle über 40 Jahre innehatte, und von Ewald Hinz wurde Thomas Strutius 1668 die bedeutende Organistenstelle an St. Marien zu Danzig übertragen.
Strutius, ein „außerordentlich gewandter Kontrapunktiker“ (Eitner), gehört zu den wichtigen Repräsentanten der besonders in der Mitte des 17. Jahrhunderts in hoher Blüte stehenden Danziger Musikkultur. Zu nennen wären Christoph Werner, Kantor an St. Katharinen bis 1650 und Crato Büthner, seit 1654 Kantor und Musikdirektor an St. Katharinen, die Kapellmeister an der Marienkirche Kaspar Förster der Ältere und Jüngere sowie Balthasar Erben, seit 1658 Kapellmeister an der Marienkirche, sodann der 1686 an die Marienkirche berufene Johann Valentin Meder. Da Danzig durch die staatlich-politische Bindung an die polnische Krone vom 30-jährigen Krieg weitgehend verschont blieb, konnte sich das Musikleben der Stadt im 17. Jahrhundert in vollem Reichtum mit weiter Ausstrahlung entfalten.
Mit einem für die damalige Zeit üblichen Gelegenheitswerk, einer 1655 im Druck erschienenen Hochzeitsmusik Musikalisches Freudengedicht ist Strutius nachzuweisen. Sie besteht aus drei Teilen: einer instrumentalen Einleitung in kanonischer Form, der Vertonung des für den Anlass gedichteten Hochzeitslieds Nichts lobt man mehr als Frühlingszeit und zwei Brauttänzen, letztere zum Übergang in das allgemeine Tanzvergnügen. Das Schaffen von Thomas Strutius galt zunächst, entsprechend seiner Stellung an St. Trinitatis, der gymnasialen Schulandacht. Es waren Stücke der kleineren Form, geistliche Lieder, meist in Mehrstimmigkeit, sowie solche in der Art des kleineren geistlichen Konzerts, teils mit instrumentaler Begleitung. Auf Texte des Gymnasialdirektors Professor Johannes Maukisch erschien 1656 die Sammlung Lobsingende Hertzens-Andacht über die Evangelia mit 76 vier- bis fünfstimmigen Liedern für den sonn- und festtäglichen Gottesdienst. Zu nennen sei darüber hinaus die Geistliche Sing- und Betstunde, welche 1657 ebenfalls bei Rhetti in Danzig gedruckt wurde, eine Sammlung von 34 solistischen Generalbaßliedern nach Bibeltexten. Titel wie Morgen-Gesang/ Aus schönen Sprüchen Göttlichen Wortes zusammengesetzet/ darinnen ein Student vor alle Wolthäter bittet/ und sich Gott gantz ergiebet oder Abend-Gesang/ Darinnen ein Student sich mit seinem Gott zur Ruhe niederleget/ und alles seinen Händen befiehlet mit seinem bewegten Mittelteil, zeigen, dass sie als Andachtslieder für Schule und Haus bestimmt waren. Aber es ist in der Sammlung auch z.B. das fröhliche Hochzeitslied, bezeichnet als Aria, enthalten, das zu dem von Heinrich Albert kultivierten Typus des monodischen Lieds Ähnlichkeiten aufweist. Ebenfalls 1657 erschienen seine musikalischen Dialoge Vierfache Musicalische Dienstwilligkeit und später Einfältige Abbildung des himmlischen Freuden-Leben und Höllen-Angst. In den Sieben Worten des Erlösers am Kreuz lässt sich im Wechsel zwischen Arie und Choral schon gewisse dramatische Ambition erkennen, die in dem Christlich wolmeynende Weynachts Gedanken in einem Musikalischen Gespräch von 1664 zwar noch aus volkstümlicher Tradition und von schlichtem Ausdruck sind, aber doch schon oratorische Züge erkennen lassen, ebenso seine 1664 veröffentlichte Passionsmusik Abriß der Musicalischen Passionsandacht nach dem Matthäus-Evangelium. Im Gespräch vom reichen Mann und armen Lazarus hatte Strutius dann bereits die Richtung zur frühdeutschen Oper eingeschlagen. Diese Entwicklung ergab sich wohl mit zunehmendem Ansehen und dann aus seiner bedeutenden Stellung an der Marienkirche, wo die großbesetzten Festkonzerte stattfanden, wie sie an St. Trinitatis nicht möglich waren.
Leider ist ein großer Teil seiner Werke verloren gegangen. Von der Matthäus-Passion, welche den Höhepunkt seines Schaffens darstellte, hat sich auch nur das Textbuch erhalten. Aus diesem ist jedoch zu erkennen, dass das Werk als eines der frühesten Zeugnisse der oratorischen Passion zu bewerten ist. Die dramatische Gestaltung der Matthäus-Passion im Wechsel von Soliloquenten (Einzelpersonen), Rezitativ, Turba (Volksszenen), Aria und Choral (Martin Geck MGG). Das Werk stellt einen Markstein in der Entwicklung dieser Gattung dar, die bis in die Gegenwart ihre kompositorische Ausdeutung erfährt und mit den Passionen J. S. Bachs ihren ewigen Gipfelpunkt erreichte.
Beachtung fand Thomas Strutius in den letzten Jahren bei musikwissenschaftlichen Konferenzen in Polen und in Deutschland, welche der Musikgeschichte Danzigs gewidmet waren, ebenso ergeben sich durch einige Notendrucke (Bärenreiter, Carus) immer wieder Aufführungen.
Lit.: Div. Musiklexika. – Robert Eitner ADB, Bd. 36 1893, S. 671. – Hermann Rauschning Geschichte der Musik u. Musikpflege in Danzig, in: Quellen u. Darstellungen zur Geschichte Westpreußens Bd. 15, hrsg. Westpr. Geschichtsverein, Danzig 1931, S. 254-270. – Hans Joachim Moser, Die Musik der deutschen Stämme, Wien/Stuttgart 1957, S. 228f., 276. – Franz Kessler, Danziger Kirchenmusik (enthält zwei Werke), Neuhausen b. Stgt. 1973. – Ders., Musikgeschichte Westpreußens in Werner Schwarz, Franz Kessler, Helmut Scheunchen, Musikgeschichte Pommerns, Westpreußens, Ostpreußens u. d. baltischen Lande, Dülmen 1989 S. 74-76. – Ders., Die Musikentwicklung in Danzig vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutsche Musik in: Ost- u. Südosteuropa, Kommission für das Studium der deutschen Geschichte u. Kultur im Osten an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn, H. 28, Köln usw. 1997, S. 115.
Bild: St. Johannes und St. Marien in Danzig, nach Merian 1643.
Helmut Scheunchen