Biographie

Struve, Friedrich Georg Wilhelm

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: Astronom, Mathematiker
* 15. April 1793 in Altona
† 23. November 1864 in Pulkowo bei St. Petersburg

Es gibt viele Gründe, des vor zweihundert Jahren im holsteinischen Altona als Sohn des Professors und Direktors des dortigen Christianeums geborenen Friedrich Georg Wilhelm von Struve zu gedenken. Gerade in unseren Tagen, in denen die östlichen Ufer der Ostsee mit ihren Anrainern, den baltischen Ländern, dem St. Petersburger Gebiet und dem ganzen angrenzenden Rußland nach einem halben Jahrhundert wieder in den mitteleuropäischen Kulturkreis zurückkehren, wird auch die Erinnerung an das Wirken vieler deutscher Gelehrter, Künstler und Politiker in diesem Raum wieder lebendig.

Wohl tauchten die Namen der Astronomenfamilie Struve, des Naturforschers Karl Ernst von Baer, Forschungsreisender wie Adam Johann von Krusenstjern und anderer in russischer Schreibweise in der sowjetrussischen Literatur auf, aber nur, um im Namen des Sowjetimperiums dessen Ruhm zu verbreiten. Jetzt ist es endlich wieder möglich, die Bedeutung dieser Wissenschaftler als Vermittler und Brückenbauer zwischen der internationalen Wissenschaft und dem europäischen Osten zu erkennen. Der junge Struve ließ schon früh (wie schon allein die äußeren Daten seines Bildungsganges zeigen) eine außerordentliche Neigung zu wissenschaftlicher Betätigung und eine entsprechende große Begabung erkennen. Dabei griffen Ereignisse der politisch bewegten Jahre um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in seine persönliche Entwicklung ein und gaben ihr die für sein weiteres Leben entscheidende Richtung. Als Fünfzehnjähriger mußte er auf der Flucht vor napoleonischen Werbern sein Elternhaus verlassen und fand Aufnahme im baltischen Dorpat bei einem älteren Bruder, der dort als Gymnasiallehrer und Privatdozent an der neubegründeten Universität wirkte.

Schon sehr bald wurde er Erzieher auf dem Gute Sagnitz des Grafen von Berg, das nicht weit von Dorpat entfernt lag. Er konnte gleichzeitig Philologie studieren, wandte sich aber bald ganz seinen Hauptfächern, der Mathematik und der Astronomie zu. In diesen Fächern (er hatte auch Physik studiert) schloß er 1813 sein Studium mit der Erlangung des Magister- und Doktorgrades ab. Am 2. Dezember 1813 wurde er dann, 201/2 Jahre alt, zum „Professor extraordinarius" der Mathematik und Astronomie und zugleich zum Observator der Unversitätssternwarte ernannt, deren Direktor er 1817 wurde.

Durch Struves wissenschaftliche Kompetenz, nicht zuletzt aber auch durch sein hervorragendes Organisationstalent wurde die Dorpater Sternwarte in den Jahren seiner Wirksamkeit zu der bestausgerüsteten ihrer Art und erwarb sich auch als Ausbildungsstättedes astronomischen Nachwuchses internationalen Ruf. Dazu trug die durch Struve veranlaßte Anschaffung des damals größten bekannten Fernrohrs, des neunzölligen Fraunhoferschen Refraktors, bei. Struves wichtigste wissenschaftliche Vorhaben wurden während seiner Dorpater Amtszeit durchgeführt oder doch konzipiert und begonnen, um dann in seinem späteren erweiterten Wirkungskreise im Rahmen der Gesamtplanungen für das russische Kaiserreich vollendet zu werden. Denn im Zuge dieser Weiterentwicklung seiner wissenschaftlichen Laufbahn nahm seine Dorpater Amtszeit im Jahre 1839 ein Ende. Zu den wichtigsten Werken dieser Zeit, die das Aufsehen der wissenschaftlichen Welt geweckt hatten, gehörten die Messungen an Doppelsternen, die erste Bestimmung der Entferzbg eines Sternes (der Vega) von der Sonne, die geodätische Messung der Erde. Struves berühmte Schrift Etudes d’Astronomie stellaire (im Jahre 1953 wegen ihrer großen Bedeutung in damaligen Sowjetunion in russischer Übersetzung erschienen) wurde im Jahre 1847 in St. Petersburg gedruckt. Für das Baltikum wurde die 1816 bis 1818 durchgeführte trigonometrische Vermessung Livlands wichtig. 1821 bis 1827 leitete Struve die Gradvermessung in den Ostseeprovinzen.

Seit 1833 war Struve zu den Beratungen über die im Auftrage Kaiser Nikolaus‘ I. geplante Gründung einer zentralen Hauptsternwarte in der Nähe von Petersburg hinzugezogen worden. Er galt schon als Experte auf seinem Spezialgebiet, der Astronomie, und als unentbehrlich bei diesem Vorhaben. Nach umfangreichen Vorarbeiten und genauer Prüfung der entsprechenden Baupläne wurde Struve am 15. April 1834 zur besonderen Audienz beim Kaiser berufen. Nach seinem Bericht erfolgte der Befehl zum Bau der neuen Sternwarte und die Ernennung Wilhelm Struves zu ihrem Direktor. So war der Übergang Struves von Dorpat nach Pulkowo, dem Standort der Hauptsternwarte, fließend. Die Zusammenarbeit beider Sternwarten blieb weiterhin eng, auch in personeller Hinsicht, zumal einer der Söhne Struves dessen Nachfolger im Dorpat wurde, nachdem der Vater 1839 nach St. Petersburg übergesiedelt war. Dort war er als Leiter der von ihm begründeten Sternwarte bis 1862 tätig, bis er nach schwerer Krankheit zwei Jahre vor seinem Tode seine Arbeit beenden mußte.

Neben Struves spezieller wissenschaftlicher Arbeit als Leiter der Sternwarte erfreuten sich auch mehrere Zyklen seiner öffentlichen Vorlesungen über populäre Astronomie besonderer Beliebtheit.