Biographie

Sudermann, Hermann

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schriftsteller, Dramatiker
* 30. September 1857 in Matzicken, Kr. Heydekrug
† 21. November 1928 in Berlin

Zu Lebzeiten war er einer der bedeutendsten Dramatiker des deutschen Theaters, gleichrangig neben Gerhart Hauptmann. Die Uraufführung eines Sudermann-Stückes war ein Ereignis in Berlin, an dem teilzunehmen Pflicht der gehobenen Gesellschaft war und das von den Zeitungen auf der ersten Seite besprochen wurde. Aber der Ruhm hatte Schattenseiten, rief Neider und Kritiker auf den Plan, allen voran den Theaterkritiker Alfred Kerr, auch er ein bedeutender Sohn seiner Zeit und eine Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, die durch die Verfolgung durch dieNationalsozialisten und eigentlich besonders durch die liebevolle Schilderung seiner Tochter Judith Kerr einen festen Platz in der deutschen Geistesgeschichte bekommen hat.

Sudermann sollte jedenfalls ein Leben lang zwischen Sorgen und Aufstieg, Ruhm und Anfeindung, Reichtum und Depression stehen und – vielleicht typisch für einen Menschen des Ostens – zwischen diesen Polen sein Dasein bewältigen müssen.

Als er am 30. September 1857 in Matzicken bei Heydekrug geboren wurde, betrieb sein Vater Johannes als Mälzer und Bierbrauer eine kleine Brauerei. Er selbst beschreibt seine Kindheitswelt und seine Jugend sehr präzise und eindringlich in dem autobiografischen Werk Das Bilderbuch meiner Jugend, das er 1922 verfasste. Es ist ein Zeitzeugnis von dokumentarischem und dichterischem Wert, das die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts lebendig macht.

Ruhm und Reichtum lagen noch weit entfernt. Auf dem Gut in Matzicken, wo die Brauerei des Vaters stand, war der Vater Pächter gewesen. Er habe dann, schreibt Sudermann in seinen Lebenserinnerungen,„durch rastlose Arbeit, durch Sorgen und Sparen so viel hinter sich gebracht“, dass er ein eigenes Grundstück erwerben und darauf eine Brauerei und ein Häuschen erbauen konnte. Aber Geld- und Existenzsorgen prägten das Leben der Familie und die Jugend des Sohnes.Frau Sorge heißt denn auch der erste Roman Hermann Sudermanns, der 1887 erschien und deutlich autobiografische Züge trägt.„Jawohl, Frau Sorge – die war fortan bei uns zu Hause. Meine Geleitverse sind nicht aus der Luft gegriffen“, schreibt Sudermann rückblickend, und die Mutter des Romanhelden Paul Meyhöfer sagt bald nach seiner Geburt: „Die Sorge hat an seiner Wiege gestanden … daher hat er das alte Gesicht“.

Der Vater stammte aus einer mennonitischen Bauernfamilie in der Elbinger Niederung, Nachfahren holländischer Glaubensflüchtlinge. Die Mutter Dorothea war die Tochter des Hochseekapitäns Johann Raabe. Als das Paar sich kennenlernte, war die spätere Großmutter Sudermanns, die nachher mit in seinem Elternhause lebte, längst verwitwet und mittellos.

Der Vater litt unter der angespannten Wirtschaftslage und unter dem sozialen Gefüge der ostpreußischen Provinz, unter den „Schichten“, in die man hineingeboren wurde und die man nicht verlassen konnte. Das demütigende Gefühl, nicht zu den „Honoratioren“ zu gehören, übertrug sich auf den Sohn.

Beides wirkte sich als Hindernis für seinen Bildungsgang aus. Nach dem Besuch von privaten Grundschulen in Heydekrug stand die Frage einer weiterführenden Schule an, und es war stets die tatkräftige und praktische Mutter, die „wahre Wunder“ möglich machte. So konnte Hermann die Realschule in Elbing bis zur Obersekunda besuchen, weil er bei einer Tante für vier Taler im Monat wohnen konnte. Er war ein interessierter und fleißiger Schüler, holte Wissenslücken schnell auf und erkundete in seiner Freizeit die Natur. Das Botanisieren wurde seine Leidenschaft.

In diesen Elbinger Jahren erwachte auch die Liebe zum Theater in ihm. Bereits dem Kind war das Theater ein Ziel unbestimmter Sehnsucht gewesen, doch nun kam es zu einem„Wahnsinn fürs Theater“, und erste Schreibversuche eines Bühnenstückes setzten ein.

Doch nach der Versetzung in die Obersekunda konnte und wollte Hermann nicht mehr bei der Tante wohnen. Das bedeutete: Ende der Schulzeit, denn die Kosten für eine Knabenpension konnten die Eltern nicht aufbringen. So trat er eine Lehre bei dem Apotheker Settegast in Heydekrug an, der später in einer der Litauischen Geschichten (Die Magd) wieder auftauchen sollte. Die Apothekerlehre aber war eine Notlösung gewesen; es drängte den jungen Mann zum Weiterlernen, und ein Unglück aus seiner Elbinger Schulzeit, eine Knieverletzung, zwang ihn, die Lehre abzubrechen, da er nicht so lange stehen konnte – einerseits ein Glück, andererseits die Sorge: Was nun?

Wieder ermöglichte die Mutter das Unmögliche. Er durfte das Realgymnasium in Tilsit besuchen. Dem dortigen Direktor setzte er einDenkmal. „Koch hieß er, und dieser Name steht golden eingepreßt in dem Buche meines Lebens“. Am 8. März 1875 erhielt Hermann Sudermann das Zeugnis der Reife. Der größere Triumph war jedoch, dass er die Abschlussrede vor einem bewegten und begeisterten Publikum hielt. Seine Mutter war anwesend,und in ihren Augen sah er einen „Blick heimlichen Mutterstolzes, der mir in Seligkeit durch den Körper rieselte. Fünfzehn Jahre – bis zur Aufführung meiner ‚Ehre‘ – habe ich warten müssen, bis ich ihn mir zum zweiten Mal verdiente.“

Aber wie sollte es weitergehen? Ein akademisches Studium war unerschwinglich, der Vater riet zu einer mittleren Beamtenlaufbahn, aber die Mutter tat reiche russische Verwandte auf, und so konnte Sudermann im April 1875 in Königsberg an der Albertina sein Studium aufnehmen. Er studierte Philosophie, Neuere Sprachen und Geschichte und trat der BurschenschaftLittuania bei, einer schlagenden Verbindung, die er jedoch wieder verließ. Aber er widmete dieser Erfahrung eine ausführliche Schilderung in seinem Bilderbuch meiner Jugend und griff 1903 die politische Entwicklung der Burschenschaften in der Komödie Der Sturmgeselle Sokrates auf.

Obwohl ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen war, obwohl Bildung und Aufstieg gesichert schienen, suchten Krisen den Studenten heim. Das Studium befriedigte ihn nicht, die literarischen Pläne traten immer stärker in den Vordergrund. Er wechselte nach Berlin, lebte dort in bescheidensten Verhältnissen zur Untermiete bei einem Schneider und kehrte im Sommer 1877 ins Elternhaus zurück, voller Zweifel an seinem Studium und einem erfolgreichen Abschluss. 1878 ging er erneut nach Berlin, war als Hauslehrer tätig und bekam Unterstützung durch den Schriftsteller Hans Hopfen. Doch es zeigte sich, dass ein Staatsexamen und vielleicht sogar die Lehrtätigkeit nicht sein Weg sein konnten.

1881 begann Sudermanns journalistische Tätigkeit. Er wurde durch den Danziger Reichstagsabgeordneten Heinrich Rickert als Redakteur der neugegründeten WochenschriftDeutsches Reichsblatt angestellt und außerdem freier Mitarbeiter bei der Liberalen Korrespondenz, beim Reichsfreundund bei der Königsberger Allgemeinen. Reisen nach Italien finanzierten ihm Freunde, 1886 erscheint seine erste NovellensammlungIm Zwielicht, 1887 sein erster RomanFrau Sorge, aber die große Wende brachte das Jahr 1889.

Am 29. November 1889 wurde am Berliner Lessingtheater Hermann Sudermanns sozialkritisches Stück Die Ehre uraufgeführt, ein beispielloser Erfolg, der den Autoren über Nacht zu einem berühmten Dichter und zu einem reichen Manne machte. Über hundertmal spielte das Lessingtheater die erste Inszenierung vor ausverkauftem Haus, in 65.000 Exemplaren wurde das Stück gedruckt, die deutschen Theater spielten es als Erfolg der Saison, es wurde in seiner ersten Spielzeit an 151 und in der zweiten Spielzeit an 61 Theatern inszeniert. Sudermann galt als der führende Dramatiker des deutschen Naturalismus.

Der preußische Ehrbegriff, der bei Fontane zum Duell (in der Effi Briest) oder zum Selbstmord (in Schach von Wuthenow) führt, wird bei Sudermann kritisch hinterfragt. Es kommt zu praktischen und humanen Lösungen, und die „alte Ordnung“ mit ihren sozialen Schranken und starren Familienstrukturen verliert an Macht. Auch in den Dramen Heimat (1891) undDie Raschhoffs (1912) geht es um unterschiedliche Moralvorstellungen und daraus erwachsende Konflikte, und besonders inDie Raschhoffs, das auf einem Gut im nördlichen Ostpreußen spielt, finden die Beteiligten zu einem Konsens innerhalb ihres jeweiligen Standes.

Dreißig Dramen hinterließ Sudermann bei seinem Tode 1928.Sodoms Ende (1891) schildert eine Künstlerexistenz in der mondänen Gesellschaft Berlins, Heimat (1893) wurde ein besonders großer Erfolg, Johannisfeuer (1916), das ebenfalls auf einem ostpreußischen Gut Ende der achtziger Jahre spielt, sollte zu einem wertvollen Zeugnis ostpreußischen Brauchtums und Dialektes werden, die Komödie Der Sturmgeselle Sokrates (1903)spricht sehr sensibel das Verhältnis von Juden und Christen in Preußen an, und zu nennen wären noch Notruf (1922), Wie die Träumenden (1922), Die Denkmalsweihe (1923). Damit sind jedoch noch nicht alle dramatischen Werke Sudermanns auflgelistet. Erwähnenswert sind u.a. Die Schmetterlingsschlacht(1895), die drei Einakter Morituri (1896), Das Glück im Winkel (1896), die Tragödie Johannes (1898), Die drei Reiherfedern (1899),das Drama Es lebe das Leben (1902), das VolksstückStein unter Steinen (1905), Das Blumenboot (1905), Strandkinder (1909),Der Bettler von Syrakus (1911), Der Hüter der Schwelle (1921) undDer Hasenfellhändler (1925).

Sudermann ist bis heute der am meisten aufgeführte deutsche Dramatiker. Sogar nach 1950 hat es noch 49 Inszenierungen an deutschsprachigen Theatern gegeben. Sarah Bernhardt und Eleonore Duse spielten die Magda in Heimat in Paris, in London, Chicago, Tokio und Rio de Janeiro wurde Sudermann gespielt. Auch der Film meldete sich bereits 1910. Heimat wurde viermal verfilmt, die bekannteste Fassung ist die mit Heinrich George und Zarah Leander; Die Ehre wurde fünfmal undJohannisfeuer wurde dreimal verfilmt.

Dramatische Elemente enthält auch das Prosawerk Sudermanns, wie die Verfilmung der Reise nach Tilsit zeigt. Der Erfolg als Dramatiker machte auch den Erzähler interessant. 1889 erschien der Roman Der Katzensteg, der einen Verrat und seine Folgen zur Zeit der Napoleonischen Kriege behandelt. Wie Paul Meyhöfer gehört auch der junge Baron von Schranden zu den Außenseitern, trägt schwer an dem Verrat seines Vaters und ist von Natur aus melancholisch.Der Katzensteg wurde in den dreißiger Jahren ein großer Filmerfolg.

Die Erzählungen Sudermanns werden in den Milieuschilderungen mit den Novellen von Zola und Balzac verglichen. Sie führen in Badeorte und auf ostpreußische Güter, in spießige Kleinstädte und in die Berliner Gesellschaft. Leidenschaft und Entsagung, Verzicht und Lebensgenuss sind die wichtigsten Themen. Im Zwielicht (1887) undDie indische Lilie (1911) lauten die Titelgeschichten der beiden Erzählbände.Jolanthes Hochzeit (1892) dokumentiert den Sudermannschen Humor, der noch zu erforschen ist, eine Liebesgeschichte mit Irrungen und Wirrungen, erzählt aus der Perspektive des Barons Hanckel-Ilgenstein, eines ostpreußischen Landwirtes und Junggesellen, was nur zu einem erheiternden Ende führen kann.

Sudermanns Meisterwerk aber sind die Litauischen Geschichten (1916), eine Schilderung der ostpreußischen Litauer, die protestantische Christen sind, aber ihre alten Götter gnädig stimmen müssen, die wohlhabende Bauern und Fischer sind, Litauisch und Deutsch sprechen und sich doch von der deutschen Oberschicht abgrenzen. Leidenschaft und Schuld prägen die ErzählungenDie Reise nach Tilsit und Miks Bumbullis,Jons und Erdme ist die authentische Schilderung von Moorsiedlern, die Besitzer werden und „nach oben“ wollen, undDie Magd erzählt eine litauische Gretchengeschichte von einer jungen Frau, die der Macht des Gutsbesitzers und dem Willen der Männer ihres Standes ausgesetzt ist. Mit Ausnahme derMagd wurden alle Erzählungen verfilmt und auch als Fernsehfassungen gesendet.

Der Roman Der tolle Professor (1926) ist eine Auseinandersetzung mit der Bismarck-Zeit und dem akademischen Milieu, der KünstlerromanDie Frau des Steffen Tromholt (1927) stellt die eigene Eheproblematik des Dichters dar, und der Roman Purzelchen (1928) setzt sich mit der Umbruchssituation der Weimarer Jahre auseinander und wurde ein großer Verkaufserfolg.

Hermann Sudermanns öffentliches und privates Leben sollte niemals von der „Frau Sorge“ befreit werden. 1891 heiratete er die Schriftstellerin Clara Lauckner, eine Witwe mit drei Kindern. 1892 wurde die gemeinsame Tochter Hede geboren, 1893 verunglückte Claras Sohn Witte tödlich. Briefe an Frau Clara stellen das Schloss Blankensee, das Sudermann erwerben konnte, als Paradies vor Augen, der Roman Die Frau des Steffen Tromholt aber offenbart Selbstvorwürfe, die geliebte Frau zu sehr dem Werk geopfert zu haben. Ihr Tod am 17. Oktober 1924 stürzt Sudermann in schwerste, mit Suizidgedanken verbundene Depressionen.

1916 zwang ein körperlicher und nervlicher Zusammenbruch den Dichter bereits, sich aus jedem politischen Geschehen zurückzu ziehen. Er gehörte seit 1893 der Deutschen Schriftsteller Genossenschaft an, war Vorsitzender des Vereins Berliner Presse und seit 1900 Wortführer der außerparlamentarischen Opposition gegen die „lex Heinze“, die die Freiheit der Kunst einzuengen drohte. Er war 1900 Mitbegründer des Goethe-Bundes für die freie Entwicklung der Kunst, Organisator zahlreicher Protestversammlungen und 1914 Gründer desKulturbundes deutscher Gelehrter und Künstler. Die Anfeindungen seiner Kritiker unter Federführung von Alfred Kerr beantwortete er 1902 mit der StreitschriftVerrohung in der Theaterkritik.

Dem stand die Popularität Sudermanns gegenüber. 1912 wurde ihm der Preußische Kronenorden 3. Klasse durch Kaiser Wilhelm II. verliehen. Am 21. November 1928 starb Hermann Sudermann in Berlin. Stets hatte er sich um junge, bedürftige Künstler gesorgt, nun vermachte er den größten Teil seines Vermögens, darunter Park und Schloss Blankensee, einer zu gründenden Stiftung zugunsten bedürftiger Künstler.

Das Werk Sudermanns ist heute nur noch antiquarisch zu bekommen. Umso größer wird seine internationale Bedeutung in der germanistischen Forschung, da besonders bei den litauischen und russischen Germanisten der Kant-Universität in Königsberg-Kaliningrad.

Lit.: Harry Jung, Hermann Sudermann, Verlag von C. Marowsky, Minden/Westf. 1902. – Ludwig Goldstein, Wer war Sudermann? Gedächtnisrede, gehalten im Neuen Schauspielhaus zu Königsberg 1928. Nachdruck 1982. – Hermann Sudermann, Ein Dichter an der Grenzscheide zweier Welten (1857-1928). Der Wegweiser (1958) 33. – Helmut Motekat, Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen Schuld-Verlag, München 1977, S. 331-338. – Walter T. Rix (Hrsg.), Hermann Sudermann – Werk und Wirkung. Königshausen und Neumann (Verlag), Würzburg 1980. – Walter T. Rix, Hermann Sudermann, in: Deutsche Dichter, Bd. 6, Realismus, Naturalismus und Jugendstil, S. 299-308. – Gerhard Eckert, Ostpreußens Literatur entdecken und erleben, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft. Husum 1994, S. 82-89.

Bild: Kulturstiftung.