Biographie

Taubitz, Monika

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftstellerin
* 2. September 1937 in Breslau/ Schlesien

Der 23. Februar 1946 ist der traumatische Tag für die erst neunjährige Monika Taubitz. Um sechs Uhr in der Früh zerstört die polnische Miliz den sonntäglichen Frieden, reißt die Menschen durch Schläge an die Türen der Häuser aus dem Schlaf und brüllt den Befehl „Noch zehn Minuten!“ Man rafft zusammen, was in der Kürze der Zeit zu greifen ist, während Hanja, die polnische Mitbewohnerin, eifersüchtig darauf achtet, dass die von ihr bereits „konfiszierten“ Sachen nicht mitgenommen werden. Immerhin beweist sie noch ein gewisses Mitgefühl, als sie einen Milizsoldaten in polnischer Sprache zurückhält, als dieser die kleine Monika erschießen will.

Ein Dreivierteljahr nach Kriegsende werden die Deutschen von den Polen aus Schlesien vertrieben, ausgewiesen, ihrer Heimat und Habe beraubt, „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“, wie es im Potsdamer Abkommen, Artikel XIII, geregelt ist, aber nirgendwo eingehalten wird. Monika Taubitz schildert diese von ihr selbst erlebte Aktion, diesen „Gang ins Ungewisse“, in ihrem Roman Durch Lücken im Zaun (1977, polnisch 2007). Sie schildert ihn nüchtern und emotionslos, ohne Hass und Feindschaft, mit dem klaren Blick für die Unmenschlichkeit und die allgemeine Unempfindlichkeit angesichts der organisierten Verletzung der Menschenrechte. Sie berichtet aus der Perspektive des Kindes, das gleichwohl die Schrecken des Augenblicks wahrnimmt, das höhnische Grinsen von Hanjas Mann, die Tränen, Krankheit und das Leid der Ausgewiesenen. Nur Hanjas Mutter hat Tränen in den Augen vor Schmerz und Scham.

Monika Taubitz hat ihre Kindheit in den niederschlesischen Orten Markt Bohrau bei Strehlen, im zerbombten Breslau und in Eisersdorf im Landkreis Glatz verbracht. Diese Welt wird sie nie vergessen, in diese Heimat wird sie bis heute immer wieder zurückkehren. Nach der Vertreibung 1946 lebte sie mit ihrer Mutter, der Vater war 1941 gestorben, zunächst in Nordenham, seit 1951 im Allgäu. Sie studierte im württembergischen Weingarten und war seit 1965 Lehrerin in Meersburg am Bodensee. Dort lebt sie noch heute und ist seit 2018 Ehrenbürgerin der Stadt.

Im Laufe ihres Lebens hat Monika Taubitz zahlreiche Romane und Erzählungen, Gedichte und Hörspiele geschrieben. Den Weg zurück in die Heimat ebneten ihr nicht nur ihre vielen Besuche seit den 1970er Jahren, sondern vor allem auch die Übersetzungen einiger ihrer Werke ins Polnische wie eine Auswahl von Gedichten Ein Land gab mir sein Wort als zweisprachige Ausgabe (Wroclaw/ Dresden 2006 und 2007) und der Gedichtband Vor unsichtbaren Ufern (Wroclaw/ Dresden 2009). Auch der Roman Durch Lücken im Zaun, der 30 Jahre nach seiner deutschen Auflage 2007 auf Polnisch erschien, hat Monika Taubitz eine polnische Leserschaft erschlossen und Freunde gewonnen.

1996 übernahm Monika Taubitz die Leitung des Wangener Kreis – Gesellschaft für Literatur und Kunst Der Osten, dessen Ehrenvorsitzende sie seit 2011 ist. Für ihre schriftstellerische und ehrenamtliche Arbeit sind ihr zahlreiche Ehrungen zuteil geworden. Bereits 1978 erhielt sie den Eichendorff-Litera­turpreis des Wangener Kreises und 2012 den Andreas-Gry­phius-Preis der Künstlergilde Esslingen. Für Ihren Gedichtband Flußleben wurde Monika Taubitz 2013 mit dem Nikolaus-Lenau-Preis, dem Lyrik-Preis der Künstlergilde Esslingen, ausgezeichnet.

Das ehrenamtliche Wirken der Dichterin für ihre schlesische Heimat im Sinne der Verständigung mit Polen würdigte das Land Baden-Württemberg mit der Verleihung der Heimatmedaille Baden-Württemberg. Für ihren Beitrag zur Völkerverständigung wurde sie 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Seit dem 22. Februar 2018 ist sie erste Ehrenbürgerin der Stadt Meersburg.

Das bisher letzte Werk von Monika Taubitz ist die Biographie der Helene von Bothmer (1908-1996), die nach bewegten Lebensstationen das Fürstenhäusle in Meersburg vor der Verwahrlosung rettete und sich das Leben und Werk der berühmten Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) zur Lebensaufgabe machte. Monika Taubitz unterstützte Helene von Bothmer während der Meersburger Jahrzehnte bei der Museumsarbeit und begleitete sie freundschaftlich auch in ihrem privaten Leben. Die ihr überlassenen Informationen, Erinnerungsstücke, Fotos, Briefe und Zeitungsausschnitte ergänzen die authentische, einfühlsam geschriebene Lebensgeschichte einer ungewöhnlichen Frau.

Nach den Romanen Abstellgleis (2007) und Leonhards Haus (2009) liest sich das Winteralbum (2011), eine Art Traumbuch, wie eine Summe ihrer jahrzehntelangen Gedanken und Erinnerungen um die schlesische Heimat. Monika Taubitz beschreibt eine Reise in ihre eigene Vergangenheit. Sie besucht Freunde in Breslau, die sie durch die Stadt führen oder auch irgendwo absetzen, wo sie dann ihren Gedanken nachgehen kann. Diese Gedanken widmet sie der Geschichte ihrer Familie, ihren Groß- und Urgroßeltern, ihren Onkeln und Tanten, oft aus der Perspektive ihrer Kindheit, die sie spätestens vom Tode ihres Vaters 1941 an auch mit eigenen Erinnerungs-Mosaiksteinen füllen kann.

Die Zeitgeschichte des Nationalsozialismus, des Rassenhasses, der Judenverfolgung wird einbezogen. Die eigene, streng katholische Familie war gegen das Regime eingestellt und hatte Nachteile zu erleiden. Auch der Tod des Vaters ist dem Verlust der Rektorenstelle in seinem Ort zuzuordnen. Die Familie zieht nach Breslau, es folgen Spaziergänge allein oder mit der Mutter durch diese Oder-Metropole. Später folgen Fliegerangriffe und Luftschutzkeller-Erfahrungen aus der Perspektive des Klein­kindes. Der Soldatentod im Verwandten- und Freundeskreis ist allgegenwärtig, die Regimekritik ebenfalls, wenn auch nur unter Gleichgesinnten.

Das Winteralbum vermittelt den Eindruck, dass Monika Tau­bitz, zusammen mit polnischen Freunden, in ihrer Heimat leben und diese mit den Polen auch in wechselseitiger Bereicherung erinnernd und gegenwärtig wieder gewinnen kann, im geistigen und kulturellen Sinne des Wortes. Das gelingt nicht vielen. Und den meisten fehlen auch die Voraussetzungen, die ihr zum glücklichen Gelingen ihrer Reisen in die Heimat verhelfen.

Da ist zum einen die Tatsache, dass Vieles einfach noch da ist, wiedergefunden werden kann, auch wenn es, wie in Breslau, historisch getreu wiederaufgebaut wurde, also nicht im Original erhalten blieb. Aber auf dem Lande, um Glatz und Neiße herum, wo Taubitz in ihrer Kindheit gewesen ist, wenn auch während des Krieges und im ersten Nachkriegsjahr, gibt es immer noch vieles zu entdecken. Und da sie seit 1972 teilnimmt an der neuen Entwicklung ihrer Heimat, kann sie kritisch mitverfolgen, was sich da tut, in den letzten Jahren zusammen mit ihren Freunden.

Der zweite Punkt: die Freunde. Offenbar hat Monika Taubitz diese über ihre Romane und Dichtungen, die auf Polnisch erschienen sind, gewonnen. Trotz der Sprachbarriere ist das ein großer Gewinn. Es gibt deutschsprachige Freunde, die übersetzen können, vor allem aber gibt es Zuneigung und Vertrauen, ein echtes Sichverstehen, Einfühlungsvermögen in den anderen.

Dazu kommt noch ein entscheidendes Drittes: der gemeinsame katholische Glaube. Dieser Teil Polens, das frühere südliche Schlesien, war immer katholisch, schon zu deutscher Zeit. Monika Taubitz taucht also bei ihren Reisen in ihre seit Kindesbeinen gewohnte religiöse Umwelt ein, wenn sie die unzerstörten oder wieder restaurierten Kirchen und Klöster betritt, dort Priester, Nonnen und Mönche trifft, wie vor 75 Jahren, noch dazu unbedroht von dem damaligen Nationalsozialismus, der den Kirchen die Glocken stahl, um daraus Munition zu gießen.

Das historische Erbe ist da, auch die dreihundertjährige Familiengeschichte. Freunde sind da, deutsche, aber vor allem polnische, die Anteil nehmen und den gesamten Zusammenhang, von der deutschen Geschichte bis in die polnische Gegenwart mit Empathie miterleben und austauschen. Und der gemeinsame Glaube ist da, das Gebet, der Gesang, die Heilige Messe, die Prozessionen, eben alles, was weltweit zum Römischen Katholizismus dazugehört. So gelingt es Monika Taubitz, sich in ihrer alten Heimat wieder einzuwohnen, obwohl sie nun schon über 50 Jahre, länger als sie je in der alten Heimat gelebt hat, in Meersburg am Bodensee verwurzelt ist, wo sie seit kurzer Zeit sogar Ehrenbürgerin ist.

Es ist eine Gnade, die vielen Heimatvertriebenen nicht vergönnt ist, die Monika Taubitz in ihrem Winteralbum beschreibt. Seit dem ersten unfreiwilligen Grenzübertritt vor vielen, vielen Jahren sei sie eine Reisende geblieben, schreibt sie am Ende ihres Buches. „Und manchmal gehe ich dann in ein anderes Land.“

Werke (Auswahl): Schlesien – Tagebuch einer Reise, Heidenheim 1973/1977. – Dies., Winteralbum, Dresden 2011. – Asche und Rubin. Helene von Bothmer 1908-1996. Eine Biographie, Dresden 2016.

Bild: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.

Klaus Weigelt