Biographie

Tausig, Carl

Herkunft: Zentralpolen (Weichsel-Warthe), Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Pianist
* 4. November 1841 in Warschau
† 17. Juli 1871 in Leipzig

Carl Tausig wurde am 4. November 1841 in Warschau geboren. Sein Vater Aloys Tausig, ein aus Böhmen stammender Pianist und Komponist, Schüler Thalbergs, erteilte ihm den ersten Klavierunterricht. Schon bald offenbarte sich Tausigs überragendes pianistisches Talent, so daß sich der Vater entschloß, den Vierzehnjährigen in die Obhut Franz Liszts zu geben. „Ich habe heute morgen einen Schüler von 13 1/2 Jahren, namens Tausig, erhalten. Das ist ein tausiger Kerl, der, wie ich bestimmt glaube, von hier in zwei bis drei Jahren einen außerordentlichen Weg machen wird. Er spielt bereits jedes Werk in einer erstaunlichen Art und Weise und komponiert ganz pikante Sachen“, schreibt Liszt am 21. Juli 1855 an Agnes Street-Klindworth. Tausig war von 1855 bis 1859 mit einigen Unterbrechungen Liszts Schüler auf der Altenburg in Weimar, wo er, wie auch andere Schüler Liszts, unentgeltlich wohnen durfte. In rein pianistischer Hinsicht wurde er sein bedeutendster Schüler. Als er wegen seiner oft nicht ganz harmlosen Jungenstreiche vorübergehend bei der Fürstin Wittgenstein in Ungnade fiel (aus Geldnot verkaufte er einmal für fünf Taler das Manuskript von Liszts noch ungedruckter Faust-Symphonie ohne Wissen seines Lehrers, der es tagelang verzweifelt suchte), schickte ihn Liszt zu Richard Wagner nach Zürich: „Da sende ich Dir einen Wunder-Kerl, liebster Richard. Nimm ihn freundlich auf. – Tausig soll Deinen Erard[flügel] gehörig berarbeiten und Dir allerlei Zeug zusammenspielen.“ Wagner reagierte zugleich erfreut und entsetzt, schloß aber den Kleinen bald ins Herz: „So ist denn plötzlich meine kinderlose Ehe mit einer reichen Katastrophe gesegnet worden, und ich genieße in rapiden Zügen die Quintessenz der Vatersorgen und Nöte. […] Musikalisch ist er jedenfalls enorm befähigt, und sein rasendes Klavierspiel macht mich schaudern“, antwortet er Liszt. Bei einer anderen Gelegenheit berichtete Wagner: „Über diesen T[ausig] habe ich Euch recht ungeniert geschrieben […]; zwei Züge verwischen von von aber alles und fesseln mich an ihn, so daß ich ihm sogar viel vertrauen könnte; dies seine grenzenlose Liebe zu Dir, sein gänzliches Verstummen seiner Unart, sobald von Dir die Rede ist, seine tiefste Ehrfurcht von Dir.“

Seit 1859 unternahm Tausig ausgedehnte Konzertreisen und erwarb sich einen sagenhaften Ruf als Pianist. Mehr als alle Rezensionen sagt die Meinung seiner beiden größten Rivalen aus. Anton Rubinstein nannte ihn den „Unfehlbaren"“, Hans von Bülow „unübertrefflich, großartig". Tausig verfügte vor allem über eine phänomenale, makellose Technik. Die größten Schwierigkeiten überwand er mühelos und ohne die geringsten Anzeichen körperlicher Anstrengung. Sein Lieblingskomponist war Chopin; dessen As-Dur-Polonaise, die Barcarolle, die f-Moll-Ballade und das e-Moll-Klavierkonzert waren seine Glanzstücke. Sein Idol aber blieb zeitlebens Franz Liszt, von dem er sagte: „Mit Liszt kann sich kein sterblich Geborener messen, der lebt auf einsamer Höhe!“ – und: „Ach, mit Liszt verglichen, sind wir andern Künstler doch nur Lumpe ..“. Liszt seinerseits sah in Tausig den einzigen Erben seines Klavierspiels und bekannte freimütig, „niemals“ sei ihm „solches Talent unter die Hände gekommen.“ 1862 ging Tausig nach Wien, wo er hauptsächlich Konzerte dirigierte, die ausschließlich Werke Richard Wagners enthielten. Dort begeisterte sich auch Johannes Brahms für ihn: „Du wirst von Tausig einen horrenden Begriff haben. Das ist aber ein merkwürdiger kleiner Kerl [Tausig war auffallend klein und zierlich gebaut] und ein ganz besonderer Klavierspieler …“, schreibt er 1864 an Clara Schumann. Von 1865 bis 1870 leitete Tausig in Berlin eine „Schule des höheren Klavierspiels“, zwischendurch ging er auf Konzertreisen. Er war laut Liszt „ein gebildeter Mensch“, der sich nicht nur für Musik interessierte. Er hatte auch Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften studiert. Am 2. Juli 1871 reiste er mit Liszt nach Leipzig, tags darauf erkrankte er an Typhus, und am 17. Juli verstummte das Klavierspiel von Tausigs Händen, „des mains de bronze et de diamants“, wie Liszt sie genannt hatte, für immer. Sein früher Tod erschütterte die damalige Musikwelt.

Tausigs Ruf als Pianist darf man mit dem abgegriffenen, hier aber unbedingt zutreffenden Begriff „legendär“ bezeichnen. Seine Kompositionen (darunter ein Klavierkonzert, Etüden, Poèmes symphoniques) sind in Vergessenheit geraten. Er gab eine Art Klavierschule heraus (Wie übt man Klavier? Berlin, New York 1879), edierte Muzio Clementis Gradus ad Parnassum, einen Klavierauszug von Wagners Meistersingern und veröffentlichte vor allem viele Transkriptionen, von denen einige wie diejenigen von BachsToccata und Fuge d-Moll, Webers Aufforderung zum Tanz oder von Walzern Johann Strauß‘ (die auch Rachmaninow aufs Programm setzte) noch heute gelegentlich gespielt werden.

Bild: Photographie, um 1856 (unveröffentlicht). Weimar, Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur.