Biographie

Teutsch, Friedrich

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Theologe
* 16. September 1852 in Schäßburg/Siebenbürgen
† 11. Februar 1933 in Hermannstadt/Siebenbürgen

Er trieb maßgeblich Schulreformen voran und war der „Gründervater“ der evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen. Aufgrund seiner Forschungen und Nachwirkung gilt Georg Daniel Teutsch als der für die Identitätsstiftung einflussreichste Historiker der Siebenbürger Sachsen im 19. Jahrhundert und darüber hinaus. Maßgeblich hat er als oberster Repräsentant (Superintendent) der von ihm geformten Volkskirche deren Interessen – vor allem als ethnische Minderheit – gegen den chauvinistischen magyarischen Nationalismus besonders in der Zeit nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) hartnäckig vertreten und vielfältige diesbezügliche Unterstützung aus dem Deutschen Kaiserreich zu mobilisieren verstanden. Sein 1898 eingeweihtes Denkmal steht auf dem Huet-Platz in Hermannstadt zwischen Brukenthal-Gymnasium und evangelischer Stadtpfarrkirche.

Teutsch wurde ältester Sohn des Seifensieders Martin Benjamin Teutsch und seiner Frau Maria Katharina aus der Baiergasse in Schäßburg geboren worden. Der vorzügliche Schüler wurde auf der Bergschule gefördert und konnte 1837 das Studium an deutschen Universitäten (Wien, Berlin) aufnehmen. Da der Vater allerdings überraschend starb, musste der Student nach vier Semestern aus finanziellen Gründen das Hochschulstudium unterbrechen. Er begab sich zurück nach Siebenbürgen und begann als Hauslehrer bei der ungarischen Adelsfamilie Magyay in Karlsburg sein Brot zu verdienen. Die dortige, schon damals bedeutende Schätze beherbergende Batthyany-Bibliothek wurde zur Studierstube seines autodidaktisch fortgesetzten Studiums. Mit der Dissertation 1843 schloss er sein Studium erfolgreich ab.

Teutsch begann seit dieser Zeit, alle erreichbaren Urkunden, archäologischen Funde und historiographischen Darstellungen kombiniert mit dem damals modernsten methodischen Rüstzeug zu erforschen und für die Darstellung der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte auszuwerten. Er wurde einer der besten Kenner der Quellen, nicht zuletzt, weil er bei seiner Generalkirchenvisitation in allen Kirchengemeinden der Landeskirche (bis auf eine wegen Typhus gesperrte) gewesen war und systematisch deren Schätze wahrgenommen und dokumentiert hat. Daraus konnte er souverän schöpfen und mit eigenen Quellenausgaben sowie thematischen, oft rechtsgeschichtlichen Forschungsarbeiten die jahrhunderteübergreifenden Entwicklungen vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart nachzeichnen. Geschichtliche Kenntnisse waren für ihn zwar die maßgebliche Grundlage einer neuhumanistisch verstandenen Bildung. Allerdings stellte deren (politische, rechtliche oder ökonomische) Gegenwartsrelevanz, also die im aktuellen Tagesgeschehen und in politischen Kon­troversen nützliche historische Information, als Argumentationsbasis für die politische Auseinandersetzung eine Hauptantriebsfeder seiner Untersuchungen dar. Insbesondere die vom Verein für siebenbürgische Landeskunde ausgezeichnete Preisarbeit Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk (publiziert 1852-1858) hatte ein klares Ziel: Die Darstellung sollte das „Volk“ anschaulich informieren, seelisch aufrütteln und – anhand der immer wieder erprobten Widerstandsfähigkeit der Vorfahren – gegenüber äußeren Angriffen zur geistigen Erneuerung und Verteidigungsbereitschaft in der Gegenwart aufrufen.

Dabei wurde die nun politisch (1848-1860 und dann 1867 endgültig) aufgehobene ständische Rechts“nation“ der Sachsen auf Königsboden mit dem sächsischen „Volk“, also der Gesamtheit der deutschen Minderheit identifiziert. Die dergestalt – auch historiographisch – neu konstituierte „sächsische Nation“, die Siebenbürger Sachsen, fanden sich als bedrohte ethnische Minderheit im nationalistisch-aggressiven Umfeld der ungarischen Staatsnation wieder. Außerdem empfanden die Siebenbürger Sachsen die Überzahl der Rumänen als Gefahrenpotenzial. Die einzige, die Gesamtheit der sächsischen Minderheit umfassende Körperschaft wurde die 1861 verfassungsrechtlich neu begründete Evangelische Landeskirche in Siebenbürgen (später: in den siebenbürgischen Landesteilen Ungarns). Die Landeskirche verstand sich als „Volkskirche“ und deutete sich – nicht zuletzt aufgrund der maßgebenden Initiativen und Denkweise von Georg Daniel Teutsch und seines Umfelds – als nationale Kirche: als Hort der deutsch-säch­sischen Kultur. Sächsisch und evangelisch wurden überwiegend nicht als auch voneinander zu unterscheidende Bereiche, sondern als zusammenfließende Einheit verstanden.

Der 1840/42 begründete Verein für siebenbürgische Landeskunde fand bereits früh (1843/44) in Teutsch einen unermüdlichen Mitarbeiter und Taktgeber. Er wurde schließlich dessen Vorsitzender bis zu seinem Tod. Teutsch gewann den Preis für die ausgelobte Darstellung der Sachsengeschichte, mit deren Abfassung er 1846 begann. Schließlich nach zwölf Jahren beendete er den ersten Band, der den Zeitraum von der Einwanderung und Kolonisation bis zum Jahre 1699 umfasst. Joseph Bedeus von Scharberg formulierte als Reaktion auf die Einsicht in das Manuskript durchaus Kritik: „Ferner greifen Sie unseren Widersachern hin und wieder gar zu schroff in die Augen. … Nun meine ich, eine, von dem Verein für siebenbürgische Landeskunde mit dem Preis gekrönte Arbeit dürfte keine sächsische Partheischrift sein; sondern selbe müsste, wenn auch nicht ganz farblos, doch möglichst über alle Partheien erhoben erscheinen.“ Teutsch schrieb außerdem eine Vielzahl von kleineren Beiträgen, worunter nicht nur seine Forschungsstudien, sondern auch die Würdigung der in der landeskundlichen Forschung aktiven Zeitgenossen in „Gedenkblättern“ ungewöhnlich aussagekräftige und empfindsame Charakterbilder enthalten.

Zunächst begann im positivistischen und konfessionalistischen Zeitgeist die Publikation von Urkundenbänden: 1857 das Urkundenbuch zur Geschichte Siebenbürgens, dann das Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Landeskirche I (1862) und II (1883). Schließlich konnte in seiner Ägide als Vereinsvorsitzender der erste Band des Urkundenbuchs zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen 1892 erscheinen. Sein ältester Sohn, Friedrich, sein unmittelbarer Nachfolger als Vereinsvorsitzender und übernächster Bischof, edierte die Schulordnungen 1888 und 1892. Hier wurden die Quellenausgaben für eine Darstellung der Nationalgeschichte vorgelegt, die dann Friedrich Teutsch vollendete, sowie fruchtbar in dessen zweibändige Geschichte der evangelischen Kirche in Siebenbürgen 1191-1917 ausgewertet sind. Georg Daniel Teutsch hat umfangreich korrespondiert; eine kleine Auswahl der ihm zugegangenen Briefe hat Monica Vlaicu publiziert. Mit führenden Historikern Deutschlands hat er sich ausgetauscht, nicht nur über Geschichte, sondern auch zu Tagesfragen. Wattenbach und Treitschke verfolgten seine Arbeit mit Sympathie. Wattenbach schrieb ihm 1868: „Es sind schwierige Zeiten über Sie gekommen, aber doch hoffentlich nicht so aussichtslose, wie die Äußerungen einzelner von Ihren Landsleuten lauteten, welche schon an dem Fortbestehen der sächsischen Nation verzweifeln wollten.“ Und Treitschke, der bemerkte, „die Dinge im Osten sind den Meisten völlig fremd“, ermunterte Teutsch 1874, für die politischenAuseinandersetzungen an die nationale Solidarität der Deutschen im Kaiserreich zu appellieren: „Der Kampf der Sachsen um Volksthum und historisches Recht nimmt allmählich so ernste Formen an und es stehen dabei so köstliche Güter auf dem Spiele, dass wir Deutschen im Reiche unmöglich schweigen können.“

Bereits 1843 wurde G. D. Teutsch an die Bergschule in Schäßburg als Gymnasial-Professor gerufen; bald wurde er – der besonders Religion, Latein, Griechisch und Geschichte lebendig und faszinierend sowie neuen Methoden aufgeschlossen unterrichtete – zum loyalen und innovativen Konrektor (1845), schließlich 1850 zum Rektor der mit einem Lehrerseminar verbundenen Anstalt gewählt. Schon damals wurden seine Qualitäten hervorgehoben: „Ihm gebührt die Ehre einer jener Musterlehrer dieser Anstalt zu sein, welche den seit alten Zeiten in ihr waltenden guten Geist wissenschaftlicher Gründlichkeit, besonders aber gewissenhaft fleißigen sittlich-religiösen und uneigennützigen Strebens erhalten haben. … Unermüdet tätig, eine tüchtige vaterländische Gesinnung zu pflegen und zu erziehen, ist er gegenwärtig unstreitig der wertvollste Lehrer, ja der Hauptträger dieser Anstalt.“ Parallel zu den gleichartigen Reformanstrengungen der anderen sächsischen Gymnasien zeichnete sich das Schäßburger unter Rektor Teutsch und dem im Kollegium herausragenden, geistreichen Friedrich Müller (nachmaliger Bischof) als besonders fortschrittlich aus. Der politisch liberal eingestellte, theologisch dem rationalistisch geprägten Superintendenten Georg Paul Binder nahestehende und diesem häufig zuarbeitende Teutsch wurde durch seine rasche Auffassungsgabe, sein organisatorisches und praktisches Talent und die effektive, unbändige Schaffenskraft – trotz seines die Schäßburger Honoratioren irritierenden Freimuts – zur unverzichtbaren kirchlichen und politischen Führungspersönlichkeit.

Die Familie wohnte in der Baiergasse; mit seiner zweiten Frau Wilhelmine (seit 1848), der jüngeren Schwester seiner 1846 nach einem Ehejahr verstorbenen ersten Frau Charlotte (geb. Berwerth), hatte er zehn lebend geborene Kinder, die in Schäßburg, Agnetheln und Hermannstadt zur Welt kamen. Überall war der Vater der geistige Mittelpunkt der Familie, die von dem zeitweise auch häufig abwesenden Vater streng, zugleich herzlich und interessiert sowie von der Mutter in jeder Hinsicht vorbildlich und konsequent erzogen wurden.

Politisch war Teutsch dem Fortschritt zugetan, d.h. liberal eingestellt. Seine deutsch-nationale Haltung ruhte in einem kulturprotestantischen Sendungsbewusstsein, welches das in individueller Allgemeinbildung gründende bürgerliche Bildungsideal mit „Nationalerziehung“ verband. Folgerichtig richtete sich seine politische Orientierung an Wien, der Treue zu Habsburg aus, was bereits während der 1848er Revolution in seinem Einsatz bei der Schäßburger Bürgerwehr gegen die magyarischen Truppen zum Ausdruck kam. In der Folgezeit plädierte er für einen Wiener Zentralstaat. Aber der Neoabsolutismus scheiterte, und schon zuvor hatte sich Teutsch den innerkirchlichen Reformern angeschlossen, um die althergebrachte und rechtlich garantierte Autonomie der Kirche und eine handlungsfähige Kirchenleitung zu ermöglichen. Angetrieben und unterstützt von dem in Wien an den Informationsquellen sitzenden Jakob Rannicher konnte nach zähem innerkirchlichem Ringen 1861 die neue Kirchenverfassung geschaffen werden. Eine im allgemein-politischen Kontext eher untypische liberal-demokratische Verfassung konnte innerkirchlich eingeführt werden, die den Aufschwung der rechtlich neu begründeten Landeskirche und eine bewusst angestrebte, breite Partizipation der Laien ermöglichte. Teutsch war der nachdrückliche Motor des Geschehens gewesen. Den alten synodalen Klerikalismus hatten er und seine Gesinnungsgenossen konsequent beseitigt.

Erst als Superintendent Georg Paul Binder 1867 verstorben war, wurde der Bischofssitz verfassungsgemäß von Birthälm nach Hermannstadt – nach 295 Jahren – zurückverlegt. Teutsch, der seit 1863 das Pfarramt in Agnetheln bekleidet hatte, von dort aus aber mehr als Politiker auf Landes- und Gesamtstaatsebene tätig gewesen war, um – vergeblich – den österreichisch geführten Zentralstaat gegen die magyarischen Ziele zu stützen, wurde 1867 zum Superintendenten der Landeskirche gewählt. In dieser Funktion befand er sich von Anfang an in einer Verteidigungshaltung. Nunmehr konnte nicht mehr die erledigte Standesvertretung, die Sächsische Nationsuniversität, politisch agieren. Ersatzweise führte die Landeskirche nun die Auseinandersetzungen mit den Budapester Regierungen. Zentrale Themen waren die landeskirchliche Autonomie, die drohende Magyarisierung in unterschiedlichen Schulgesetzen, Ausbildung des Personals, der Sprachkampf, daneben aber auch die Pressepublikationen. Um die kulturelle Identität neu zu verankern, zu beflügeln und zu mobilisieren, regte Teutsch innerkirchliche Aufbauarbeit an, die die ethnische Geschlossenheit und das Aufblühen der Gemeinschaft bezweckten. Hier waren besonders Fragen der Ausbildung und der Qualifikation des Lehrerpersonals sowie der Nachwuchs für das Pfarramt, die Zentralisierung der seminaristischen Lehrerbildung, die Stützung der Kleingemeinden durch den Gustav Adolf-Verein, die Gründung des allgemeinen Frauenvereins und alles zusammenfassend die Generalkirchenvisitation der gesamten Landeskirche von zentraler Bedeutung. Teutsch ließ sich vor dem Besuch in den Kirchengemeinden und -bezirken über die lokalen Verhältnisse informieren. Seine umfassende Bibelkenntnis gestattete ihm, jeweils ein die Situation treffendes Bibelzitat für die Verkündigung auszuwählen, aber zugleich auch in der direkten Ansprache eine auf die sittliche und moralische Hebung der Gemeinde ausgerichtete, lebendige und ansprechende Predigt zu halten. Alles hatte einen festlichen Rahmen: durch die von Ort zu Ort die Gesamtheit der sächsischen Bevölkerung mobilisierenden Besuchsvorbereitungen, die jeweils ab der Hattertgrenze durch ein Reiter-Banderium eingeholten Gäste, die im Sechsspänner vorfuhren, und die kulturellen Darbietungen örtlicher Ensembles, aber auch die ermutigende Ansprache des Bischofs. Die Berichte der Generalkirchenvisitation geben ein genaues, auch die Unzulänglichkeiten wiedergebendes Bild aller Gemeinden (wenn zum Beispiel Teutsch bemerkte: „In dieser Gemeinde herrscht auch ein Geist – der Spiritus“).

Als Georg Daniel Teutsch am 7. Juli 1893 starb, hatte er mit unbändiger und nie ermüdender Schaffenskraft – er war außer in Agnetheln eigentlich nie krank gewesen – eine beeindruckende Lebensleistung vorzuweisen. Die bei einigen Zeitgenossen durchaus wahrgenommenen Defizite der deutschnationalen kulturprotestantischen Symbiose, die Teutsch durch Historisierung, politischen Kampf und Reorganisation der Landeskirche erreicht hatte, wurden überblendet von der äußerlich erreichten Vitalität und Geschlossenheit der Siebenbürger Sachsen. Diese sprachen von der „Kirche“ – dachten dabei an ihre evangelische Landeskirche – und meinten aber das (deutsch-)siebenbürgisch-sächsische „Volk“. Adolf Schullerus konnte 1898 dieser Mentalität in seiner Darstellung Unsere Volkskirche ein literarisches Denkmal setzen parallel zu dem bronzenen auf dem Huet-Platz.

Bild: Wikpedia gemeinfrei

Ulrich A. Wien