Biographie

Thienemann, Johannes

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Ornithologe
* 12. November 1863 in Gagloffsömmern, Kr. Sömmerda/Thüringen
† 12. April 1938 in Rossitten, Kurische Nehrung/Ostpr.

Johannes Thienemann wurde am 12. November 1863 als Sohn eines Pastors in Thüringen geboren. Schon sein Vater war ein anerkannter Ornithologe, und sein Großvater, der mit dem Verfasser des Tierlebens Alfred E. Brehm eng befreundet war, galt als ein berühmter Vogelforscher. Im Haus des Großvaters lernte der Enkel den Umgang mit Vögeln kennen.

Nach dem Besuch der Gymnasien in Sangerhausen und Zeitz studierte er aus alter Familientradition in Leipzig und Halle Theologie. Nach bestandenem Examen und der Verwaltung einer Pfarrstelle wandte er sich jedoch mehr und mehr den Naturwissenschaften zu, um sich dann ganz dem großen Forschungsgebiet der Ornithologie zu widmen.

Im Juli 1896 kam Thienemann während eines Ferienaufenthalts in Ostpreußen zum ersten Mal auf die Kurische Nehrung und in das Fischerdorf Rossitten. Er erkannte sofort die hier gebotene einmalige Beobachtungsmöglichkeit der Vogelwelt, die in unvorstellbarem Artenreichtum in kleinen und großen Schwärmen Rast auf ihren Zügen zum Süden und umgekehrt machte. Dieser Landstreifen zwischen Meer und Haff und die Hunderttausende von Vögeln, die diese damals fast noch unberührte Welt der Dünen passierten, ließen Thienemann nicht mehr los.

Schließlich konnten Verhandlungen zur Errichtung einer dauernden ornithologischen Beobachtungsstation auf der Kurischen Nehrung zum erfolgreichen Abschluß gebracht werden. Die offizielle Gründung der Station, die die Bezeichnung „Vogelwarte Rossitten“ erhielt, fand dann am 1. Januar 1901 statt. Die Deutsche Ornithologische Gesellschaft stand mit ihrem Namen und ihrer Autorität hinter der neuen Einrichtung und war deren Inhaberin, während die erforderlichen Mittel vom Kultus- und Landwirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt wurden. „Ein dürftiger Sammlungsraum, ein Schrank mit ein paar ausgestopften Vögeln und ein Herz voll glühender Begeisterung für die Sache – das waren die Dinge, mit denen ich ans Werk zu gehen versuchte“, schrieb Thienemann später über die Gründungszeit der Vogelwarte, die unter seiner Leitung Weltruhm erlangte. Johannes Thienemann promovierte 1906 zum Dr. phil. und wurde 1910 zum Professor an der Universität Königsberg ernannt. Unterstützung fand er bei naturverbundenen Kreisen, wobei ihm seine waidmännische Neigung zustatten kam. Besondere Förderung erhielt er von dem samländischen Rittergutsbesitzer Ernst Ulmer aus Quanditten, der wesentlich zum Bau der Feldstation der Vogelwarte (1908, neu 1922) beitrug, nach ihm wurde sie Ulmenhorst benannt.

Im Zentrum aller wissenschaftlichen Arbeiten stand die Erforschung der Wanderstraßen der Zugvögel. Als Mittel dazu wandte er, dem dänischen Ornithologen Mortensen folgend, die Kennzeichnung der Vögel mit Aluminiumringen an, eine Methode, die heute in aller Welt als zuverlässig anerkannt ist. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind unschätzbar für die gesamte wissenschaftliche Vogelforschung. Gelang doch hierdurch die Aufklärung der verschiedenen Zugstraßen mit den Raststätten und den endgültigen Winterquartieren der Zugvögel. So wurde etwa durch Rückmeldungen von beringten Störchen der Beweis erbracht, daß diese charakteristischen ostpreußischen Brutvögel alljährlich beinahe 10000 km weit in ihre südafrikanischen Winterquartiere fliegen, von wo aus sie im Frühjahr in die Heimat zurückkehren.

In enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aller Länder und nicht zuletzt auch dank tatkräftiger Unterstützung durch Presse und Öffentlichkeit, entwickelte sich Rossitten zu einer der bedeutendsten Forschungsstätten der Ornithologie. 1923 konnte die Vogelwarte Rossitten mit der Übernahme durch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenshaften auf eine gute wirtschaftliche Grundlage gestellt werden. Auch die Ausübung der Falknerei wurde in den Arbeitsplan der Vogelwarte übernommen. Bei der Gründung des Falkenhofs Ortelsburg hat Thienemann Pate gestanden. Er war als Wissenschaftler und Forscher ebenso wie als waidgerechter Jäger hoch angesehen und als der „Vogelprofessor“ von Rossitten über die Grenzen Deutschlands hinweg eine sehr populäre Persönlichkeit; eine Vielzahl von Ehrungen belegt dies. Als Johannes Thienemann 1929 die Altersgrenze erreichte und sich zur Ruhe setzte, blieb er in Rossitten wohnen, das ihm zur zweiten Heimat geworden war. Durch seine beiden Bücher über Rossiten und den Vogelzug sowie den Film „Die Wüste am Meer“ gab nicht nur den ornithologisch Interessierten reiche Informationnen, sondern er begeisterte ein breites Publikum auch für die Schönheit der Kurischen Nehrung.

Am 12. April 1938 ereilte ihn in seinem Garten ein sanfter Tod. Auf dem kleinen Waldfriedhof von Rossitten fand er seine letzte Ruhestätte.

Werke: Rossitten – Drei Jahrzehnte auf der Kurischen Nehrung. Neudamm 1927; Vom Vogelzuge in Rossitten. Neudamm 1931.

Lit.: Altpreuß. Biogr. II (1967), S. 729. – F. Tischler: J. Th., in: Schriften der Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg (Pr.), Bd. 71 (1940), S. 429-433.