Biographie

Thoma, Helmut

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Maler, Kunstpädagoge
* 17. August 1909 in Lugnian/Oberschlesien
† 10. September 1993 in Berlin-Moabit

Helmut Thoma kam am 17. August 1909 als zweiter von vier Söhnen eines Briefträgers in Lugnian, Kr. Oppeln, zur Welt. In Neisse, wo er die Kindheits- und Jugendjahre verbrachte, besuchte er die Katholische Volksschule für Knaben und das Realgymnasium, an dem er 1930 das Abitur erwarb. Auf die Berufswahl des bildnerisch begabten Oberprimaners übte der Kunsterzieher Werner Grundmann starken Einfluss aus, indem er ihn für das Studium der Kunst zu begeistern vermochte; er beriet ihn auch bei der Auswahl der Bewerbungsunterlagen.

Im Sommersemester 1930 begann Thoma an der Breslauer Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe sein Studium mit dem Berufsziel des Kunsterziehers. Als wissenschaftliches Zusatzfach studierte er an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau Mathematik. Ende des Wintersemesters 1931/32 musste sich der Schüler Oskar Molls wegen der Schließung der Akademie aufgrund der Brüningschen Notverordnung für einen neuen Studienort entscheiden. Am zweckmäßigsten erschien ihm Berlin, wo er sich an der Staatlichen Kunstschule Schöneberg immatrikulierte, die das Preußische Zentralinstitut für Kunsterziehung und der Sitz des Künstlerischen Prüfungsamtes für ganz Preußen war und außerdem ein Werklehrerseminar besaß. Die insgesamt neunsemestrigen Studien beendete er 1934 mit der Werklehrerprüfung und als Schüler der Maler-Professoren Georg Tappert, Curt Lahs und Konrad von Kardorff mit dem Examen für das künstlerische Lehramt an höheren Schulen. Außerdem legte er am Provinzialschulkollegium in Breslau die Prüfung in Mathematik ab. Danach unterrichtete er an mehreren Berliner Gymnasien das Fach Kunsterziehung.

Am 1. April 1940 wurde er zum Kriegsdienst einberufen und kehrte 1948 nach dreijähriger sowjetischer Gefangenschaft nach Berlin zurück. Vor die Alternative gestellt, entweder als Gymnasiallehrer oder als freischaffender Künstler tätig zu sein, eröffnete sich für ihn eine dritte Möglichkeit. Sein Lehrer Georg Tappert, der inzwischen zum stellvertretenden Direktor der Berliner Hochschule für Bildende Künste avanciert war und gerade eine Lehrkraft für Malen und Zeichnen in der Abteilung Kunstpädagogik suchte, stellte Thoma zum 1. April 1948 als Dozent ein.

Auf Unterrichtserfahrung gestützt war Thoma davon überzeugt, dass die Fächer Bildende Kunst und Werken an den Schulen einen wichtigen Erziehungs- und Bildungsauftrag haben. „Sie entwickeln den jungen Menschen in ganzheitlichen Abläufen, an denen alle Kräfte des Schülers beteiligt sind: das Tun mit der Hand, das Denken, das Sehen, das Vorstellungsvermögen, das Erinnerungstermögen, die Phantasie, das Gefühl, die Empfindung usw. Sie vermitteln durch die Sichtbarkeit und Tastbarkeit des Arbeitsergebnisses ein besonders nachhaltiges Erlebnis der eigenen Leistung.“ (Selbstbiographische Niederschriften, S. 62).

Das Engagement für die künstlerischen Lehrfächer an den Schulen schränkte die Zeit für die Lehrtätigkeit an der Hochschule und für die eigene künstlerische Arbeit erheblich ein. Es ist erstaunlich, welche Funktionen Thoma, der 1951 zum Professor ernannt wurde, ausübte. Er war Mitglied des Akademischen Senats (1953-1965), Leiter der Abteilung Kunstpädagogik (1958-1965), Vorsitzender des Staatlichen künstlerischen Prüfungsamtes (1958-1970) und federführendes Mitglied der Konferenz der Leiter der Abteilungen Kunstpädagogik an den Kunsthochschulen der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (1959-1965); außerdem war er eine Zeit lang Beisitzer im Vorstand des Kunsterzieherverbandes und Mitglied des Lehrerbildungsausschusses Berlin.

Nach seiner Emeritierung (1974) fand Thoma zwar Zeit, aber nicht immer Muße, sein beträchtlich angewachsenes künstlerisches Œuvre, z.B. Bilder, Zeichnungen, Aquarelle, Collagen und Druckgraphik, zu katalogisieren und seine künstlerische Entwicklung zu überdenken, die sich in fünf klar voneinander abzugrenzenden Phasen vollzog.

Bei den Bildern der ersten Arbeitsphase (1930-1940) geht Thoma immer von der sichtbaren Welt, der Natur, aus. Eigene Empfindungen reichern die Naturdarstellung an und verstärken sie. Neben Landschaften, Stilleben und Interieurs entstehen zahlreiche Porträts, darunter mehrere Selbstbildnisse, z.B. das Selbstbildnis mit der Tonpfeife (1936) und das Selbstbildnis mit verdorrtem Baum (l938), sowie die Bildnisse seiner früh verstorbenen ersten Frau, der Malerin Marion Weiss. Der wiederholte Besuch der Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1939 in Berlin zu sehen war, lässt bei ihm Zweifel an seinem bisherigen Malstil aufkommen. Seine Überzeugung, „dass das Sehbild als Sujet für den Maler ausreiche“, muss er aufgeben.

In der zweiten Schaffensphase (1948-1957) gilt sein Interesse in erster Linie der in- und ausländischen zeitgenössischen Kunst, die kennen zu lernen ihm während der Kriegsjahre verwehrt blieb. Er setzt sich vor allem mit den Werken von Max Ernst und Paul Klee sowie mit denen von Georges Braque und Pablo Picasso auseinander. Seine Malerei beginnt sich allmählich vom Sehbild zu entfernen. Die fragmentarisch erlebte Umwelt spiegelt sich in der Darstellung der Bildgegenstände wider, die zerlegt und ineinander verschränkt sind. Erste vorsichtige Versuche, die auf eine vertiefte Beschäftigung mit dem Kubismus hindeuten, kommen zustande. Außerdem entsteht eine Serie weitgehend kleinformatiger Bilder, in denen Phantasiefiguren in einem Geflecht von Symbolzeichen verwoben sind.

Ein sich auflockernder Malstil ist kennzeichnend für die dritte Arbeitsphase (1957-1964), in der Bilder emotional und aus einem plötzlichen Impuls heraus entstehen, deren Ausgangspunkt ein Farbfleck ist. Bei den sich verselbstständigenden Pinselzügen droht der Bezug zur Natur verloren zu gehen. Die Landschaften erinnern an japanische Kalligraphien. Die Inspiration dazu kam ihm bei einem Aufenthalt auf der Insel Cres/ Jugoslawien. Gegen Ende dieser Phase werden Landschaftsaquarelle und Frauenbilder geschaffen. Thoma, der sich damals die Frage nach der Konstante in seiner Malerei seit 1930 stellt, beantwortet sie mit dem Hinweis auf die Motivwahl, nämlich die „sich wiederholende Neigung zur menschlichen Figur, zur Landschaft und zum Stillleben“.

Den Bildern der vierten Phase (1964-1984) liegen Collagen zugrunde, hergestellt aus zerschnittenen Schwarz-Weiss-Fotos der Illustrierten. Die Gemälde sind also gemalte Collagen. Die zerlegte menschliche Figur, deren Gliedmaßen ineinander verschränkt sind und sich skulpturartig auftürmen, ist zu einer neuen Figuration zusammengefügt, die in späteren Arbeiten vor einem Landschaftshintergrund erscheint. Der ab 1966 fehlende Kopf, ab 1984 hinter Fingergliedern verborgen, zeigt 1979 im Stillleben mit dem kranken Maler wieder sein Gesicht. Bis zum Ende der 70er Jahre sind Früchte, Gemüse, Blumen und Tiere die dominierenden Bildmotive. Die danach folgenden Arbeiten zeigen Menschentypen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Es entstehen also „Seelenlandschaften“.

In der fünften Phase (1984-1993) gewinnt die Darstellung des Kopfes wieder an Bedeutung. „Diese Bilder sind jedoch keine Porträts, sie versuchen vielmehr, die Vielfalt des einzelnen Menschen zu zeigen, ohne einen bestimmten zu meinen.“ (Thoma) Zunächst wird die Serie der Zeitgenossen-Bilder fortgesetzt, ab 1987 entstehen die kleinformatigen Lumpenbilder, so genannt nach den Kleider- und Stoffresten als Bildträger. Im Spätwerk versucht Thoma verschiedene Stilrichtungen (Kubismus, Expressionismus, Tachismus) zu vereinen in der Hoffnung, „dass die Quantität der Dissonanzen zwischen den gehäuften künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu einer neuen Qualität der Einheit führen würde.“

Arbeiten aus Thomas Werk, das Gemälde in Öl, Acryl und Aquatec sowie Aquarelle und Kohlezeichnungen umfasst, waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In-, aber auch im Ausland, so z.B. in Biarritz, New York, Oslo, Paris, Santiago de Chile und Wien, zu sehen.

Neben Arbeitsaufenthalten an mehreren Orten des In- und Auslands galt seit 1955 als sein bevorzugter Arbeitsplatz die Insel Cres und seit 1978 Andrés auf Teneriffa, wo Thoma 1987 schwer erkrankte. Obwohl er in den folgenden Jahren mit seiner physischen Kraft haushalten musste, schuf er dennoch eine beachtliche Anzahl von Bildern und Zeichnungen. Der am 10. September 1993 in Berlin-Moabit verstorbene Kunstpädagoge und Maler Prof. Helmut Thoma übereignete sein gesamtes künstlerisches Werk seiner ehemaligen Wirkungsstätte, jetzt: Universität der Künste, mit der Auflage, eine Stiftung zur Förderung der Studierenden des Faches Bildende Kunst zu gründen. Aus den Zinserträgen der seinen Namen tragenden Stiftung wird seit 1996 jährlich der Helmut-Thoma-Preis vergeben. 

Lit.: Vollmer B.4. – Hubertus Lossow, Helmut Thoma und Gerhard Fietz. Zwei schlesische Maler in Berlin, in: Schlesien 8 (1963), H. 3. – Ausstellungskatalog: Retrospektivausstellung Helmut Thoma. Arbeiten aus den Jahren 1934 bis 1968. Kunsthalle Wilhelmshaven, Wilhelmshaven 1969. – Helmut Thoma, Werkverzeichnis der Collagen 1953-1970, Berlin 1972. – Ausstellungskatalog: Helmut Thoma. Bilder und Zeichnungen aus den Jahren 1964-1979, Haus am Lützowplatz, Berlin, Berlin o.J. – Helmut Thoma, Mein Leben – Eine Collage. Selbstbiographische Niederschriften, Berlin 1991. – Helmut Thoma, in: Axel-Alexander Ziese (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der Kunstschaffenden in der bildenden und gestaltenden Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Bad Schmiedeberg 2005.

Bild: Konrad Thoma, Einbeck, Aufnahme 1988.