Biographie

Tietz, Hermann

Herkunft: Posener Land
Beruf: Kaufmann
* 29. April 1837 in Birnbaum
† 3. Mai 1907 in Berlin

Der deutsch-jüdische Kaufmann Hermann Tietz dürfte kaum jemandem ein Begriff sein, wohl aber seine Namensgebung für die Warenhaus-Firma Hermann Tietz, die deutschlandweit unter dem Namen Hertie bekannt war.

Die weitläufige jüdische Familie Tietz stammte aus der Stadt Birnbaum (Międzychód) im Posener Land. Die jüdische Gemeinde in der adeligen Stadt bestand seit Anfang 18. Jahrhunderts, seither gab es hier auch eine Synagoge und eine Simultanschule mit einem jüdischen Lehrer. Als Hermann Tietz am 29.4.1837 geboren wurde, war Dob Beer ben Schraga Philips­thal hier als Rabbiner tätig und die Gemeinde zählte etwa 790 Mitglieder. Die seit vor 1378 bestehende Stadt zählte damals 2.637 Einwohner.

Die jüdische Gemeinde Birnbaum ist heute vor allem für ihre jüdischen Kaufleute bekannt. Hier lebten die Kaufhausgründerfamilien Tietz, Joske, Ury und Knopf – in der Nachbarschaft die Familien Schocken und Wronker. Birnbaum scheint eine Art Mekka der Kaufhaus-Dynastien zu sein.

Es ist die Vermutung geäußert worden, dass der Nestor all dieser Kaufhausgründer Hermann Tietz war. Er besuchte die Schule in Birnbaum und wurde zum Kaufmann ausgebildet. Seinen Wohlstand soll er in Amerika verdient haben, woher er auch die Geschäftsidee der großen Warenhäuser mitbrachte, die en gros einkaufen und somit sehr gute Konditionen und Preise erringen konnten.

Um 1870 kehrte Hermann Tietz aus den Vereinigten Staaten zurück und scheint die Kaufhausidee mitgebracht zu haben, vermutete Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, in einem Interview mit „Der Welt“.

Am 1.3.1882 eröffnete Oscar Tietz (1858-1923) mit dem Kapital seines Onkels Hermann Tietz in Gera eines der ersten deutschen Warenhäuser, das „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz“. Merkmale dieses Geschäfts waren festgelegte Preise, keine Stundung oder Anschreiben und ein vielfältiges, branchenübergreifendes Angebot. Obwohl Hermann Tietz bereits im gleichen Jahr als Teilhaber aus dem Unternehmen ausschied, trug die Firma fortan seinen Namen. Aber er unterstützte den Neffen auch weiterhin beim Ausbau seines Unternehmens und bei der Einführung neuer Verkaufspraktiken und -techniken.

Die „Warenhaus Hermann Tietz“ AG errichtete schon bald Filialen in Weimar (1886), Bamberg, München (1889) und Hamburg (1896), so dass im Jahr 1900 der wachsenden Bedeutung zollend der Unternehmenssitz nach Berlin verlegt wurde. Die aus Stralsund stammende jüdische Familie Wertheim besaß hier das größte Kaufhaus Europas. Ganz in ihrer Nähe erbaute die Firma „Hermann Tietz“ 1904 ein Konkurrenzgeschäft. Weitere Filialen in ganz Deutschland folgten.

Oscars Bruder Leonhard Tietz (1849-1914) gründete ebenfalls eine Kaufhauskette. Sein erstes Geschäft eröffnete er am 14.8.1879 in Stralsund, 1891 die Geschäftszentrale in Köln. Nach der „Arisierung“ seines Unternehmens erhielt die „Leonhard Tietz AG“ den Namen „Westdeutsche Kaufhof AG“ (= später einfach „Kaufhof“). Die Brüder Tietz teilten sich den deutschen Markt. Oscar konzentrierte seine Geschäfte auf den Süden und Osten des Deutschen Reiches, während die von Leonhard im Westen (18 Filialen) und in Belgien (6 Filialen) agierte.

Auch das Unternehmen „Hermann Tietz“ wurde nach 1933 „arisiert“. Die Dresdner Bank, als Vertreter der Regierung, setzte Georg Karg (1888-1972, aus Friedeberg in der Neumark) als Geschäftsführer des Kaufhauskonzerns ein. 1939/1940 kaufte er dann „Hertie“, wie das Unternehmen seither nur noch hieß, auf.

Hintergrund der „Arisierungen“ war nicht nur die wirtschaftliche Entmachtung der Juden durch die nationalsozialistische Regierung, sie galt ihnen auch als Gefahr für den deutschen Mittelstand.

Der Name Hertie hat das nationalsozialistische Wüten überlebt, auch wenn durch die Teilung Deutschlands mehr als die Hälfte der Geschäfte verloren ging und Georg Karg blieb Eigentümer der Firma. Sein Sohn Hans-Georg Karg (1921-2003) beerbte ihn.

Das Vorzeigehaus wurde nun das KaDeWe in West-Berlin, und in den 50er Jahren wurden neue Filialen gegründet. 1952 konnte man sogar die einstige Konkurrenz, die „Wertheim AG“ übernehmen. Seinen wirtschaftlichen Höhepunkt erreichte Her-tie in den 70er Jahren, dann gingen die Umsätze massiv zurück und der rasante Niedergang begann. Hertie begann mit einer Kooperation mit der „Karstadt AG“, ehe sie 1994 von ihr übernommen wurde. Auch weitere Fusionen konnten den Niedergang der Branche nicht verhindern. Der Name Hertie bestand bis September 2007, aber nur noch in den Filiale in Berlin-Neukölln und München. Nach einem kurzen Intermezzo seit 2007 als „Hertie GmbH“ folgte im August 2009 das endgültige Ende in der Insolvenz. Die Erinnerung an einen Posener Kaufmann namens Hermann Tietz war da schon lange verblasst.

Die Initialzündung zur Gründung von Kaufhäusern in Deutschland von Birnbaum aus, angeregt durch Hermann Tietz wird sein Verdienst bleiben. Nicht nur seine beiden Neffen Oskar und Leonhard Tietz haben Kaufhäuser errichtet, sondern auch andere Birnbaumer Familien: Michaelis-Max Joske gründete 1904 eines in Leipzig, die Gebrüder Moritz (1872-1939) und Julius Ury 1896 eines in Leipzig. 1881 entstand die erste Filiale des „Warenhauses Geschwister Knopf“, Max (1857-1934) und Johanna Knopf (*1847) in Leipzig. Ihr Schwager, Rudolph Schmoller, Ehemann von Eva Knopf, eröffnete im Jahr 1900 ein Kaufhaus in Mannheim und der Bruder Sally Knopf 1881 eines in Freiburg im Breisgau. Hermann Wronker (1867-1942), Neffe der Gebrüder Leonhard und Oscar Tietz, begann seine Tätigkeit 1891 mit seinem Bruder Simon in Frankfurt am Main. Salman Schocken (1877-1959) aus Margonin im benachbarten Kreis Kolmar i. P. (Chodzież), einst Leiter des Kaufhauses Ury in Leipzig, gründete seit 1904 eigene Häuser, ebenso seine Brüder Simon Ury (1874-1929) und Julius Ury (1872-1934, in Bremerhaven).

Seit einigen Jahren erinnert auch die heute polnische Stadt an ihre großen Söhne. Im Stadtpark erinnert ein Gedenkstein an die Kaufhausgründer von einst.

Hermann Tietz starb am 3.5.1907 in Berlin und erhielt von der Stadt Berlin ein Ehrengrab auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee im Feld O2.

Abb.: Firmenlogo.

Martin Sprungala