Biographie

Totzke, Archimandrit Irenäus

Herkunft: Danzig
Beruf: Theologe und Musikwissenschaftler
* 8. August 1932 in Danzig
† 14. Mai 2013 in Abtei Niederaltaich

Archimandrit Irenäus Totzke galt als führender Fachmann für Fragen der ostkirchlichen Theologie, ihre Spiritualität und ihre Liturgie sowie für die Entwicklung ihrer Musik. Seine früh erkennbare Begabung für Musik und sein Interesse für Geschichte führten dazu, dass er sich mehr und mehr für kulturhistorische Zusammenhänge seiner Heimatstadt Danzig mit den anderen Regionen Europas interessierte und sich in Wort und Schrift zu diesen Problemkreisen äußerte.

Irenäus Totzke wurde am 8. August 1932 in Danzig-Langfuhr, Coselweg 6, geboren, zu einer Zeit also, als Danzig durch den wenig glücklichen Versailler Vertrag zu einem eigenen Staat, der Freien Stadt Danzig, geworden war; somit besaß er zunächst die Danziger Staatsbürgerschaft. Nach dem Besuch der Volksschule in der Bahnhofsstraße in Langfuhr und ab 1943 dem Kronprinz-Wilhelm-Gymnasium sowie gleichzeitig dem Städtischen (ehemals Heidingsfeld’schen) Konservatorium am Hansaplatz in der Danziger Innenstadt verschlug ihn die Flucht über See 1945 mit Tausenden anderer in ein Lager nach Dänemark. Das oft beschriebene und meist sehr schwierige Lagerleben wurde für ihn dadurch ein wenig erleichtert, dass sich Danziger und österreichische Staatsbürger zunächst etwas freier bewegen und Danziger Lehrer einen eher nur provisorischen Unterricht anbieten konnten.

Im Jahre 1947 erhielt die Familie Totzke eine sogenannte Zuzugsgenehmigung nach Deutschland, nach Heidenheim in Württemberg, wo er 1952 in zunächst völlig fremder Umgebung und isoliert von allem bisher Gewohntem am Gymnasium das Abitur ablegen konnte. Er selbst äußerte sich einst, dass er von seinem Vater, einem Rechnungsdirektor der Danziger Feuersocietät, das Spekulativ-Wissenschaftliche geerbt habe, von seiner Mutter, einer Konzertsängerin, das Künstlerische. Der Besuch eines griechisch-katholischen Gottesdienstes in ukrainischer Form noch in Danzig-Langfuhr in seiner Kinderzeit bewog ihn schließlich, in das Collegium Russicum nach Rom zu ziehen und an der dortigen Orientalischen Hochschule (Pontificio Instituto Orientale) zu studieren. Der Wunsch nach Priestertum und nach der Wiedervereinigung der Kirchen in einer Zeit, als der Begriff Ökumene noch kaum benutzt wurde, führte ihn anschließend nach Würzburg und München, wo er außer katholischer und orthodoxer Theologie auch Musikwissenschaft studierte, insbesondere orthodoxe Kirchenmusik, zumal einige seiner akademischen Lehrer in München orthodoxer Konfession waren.

Im Jahre 1957 trat er in die Byzantinische Diakonie der bayerischen Benediktiner-Abtei Niederaltaich bei Passau ein, wo er am 2. November 1958 seine monastische Profess ablegte. In Rom wurde er am 1. Oktober 1960 zum Priester nach byzantinischem Ritus geweiht. Auf eine Anregung von Papst Pius XI. hin leben seit 1934 die Benediktiner-Mönche in Niederaltaich nach dem römischen und nach dem byzantinischen Ritus, nehmen gemeinsam Aufgaben der Ökumene wahr und pflegen auch die originär osteuropäischen und orientalischen Traditionen des Christentums. Hier wurde 1964 ein Ökumenisches Institut für evangelische und orthodoxe Studien eingerichtet, in dem Irenäus Totzke seit 1981 Leiter der Abteilung „Ostkirchen“ wurde. In diesem Institut war er tätig als Theologe und Musikwissenschaftler in der Forschung und in der Lehre; zahlreiche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und selbständige Einzeldarstellungen in Buchform künden davon, aber überaus begabt und engagiert war er ebenfalls in der Praxis als Leiter des Chores der byzantinischen Kirche und als Komponist vor allem für orthodoxe Kirchenmusik, an der Orgel, dem Klavier oder dem Cembalo. Aber nicht nur hinter Klostermauern, sondern weltgewandt wirkte er als Gastdozent in Linz, Minsk, Smolensk, Bukarest, Sofia und Odessa oder an den Musikhochschulen in Hannover und Tübingen. Einige osteuropäische Sprachen beherrschte er so gut, dass er sich auch mit Übersetzungen befasste, übertrug vor allem Texte des orthodoxen Gesangs aus slawischen Sprachen, um orthodoxen Gottesdienst in deutscher Sprache zu ermöglichen. Wer immer sich mit Fragen der orthodoxen Landeskirchen beschäftigte, an seinem Fachwissen und an seiner Autorität kam er nicht vorbei! Als Anerkennung wegen seiner Verdienste um die katholisch-orthodoxe Verständigung wurde er 1976 vom rumänisch-orthodoxen Patriarchen zum Archimandriten erhoben.

Auch seine kulturhistorischen Studien hinsichtlich seiner Heimatstadt Danzig hatten weitreichende Außenwirkungen: Anregend und fesselnd erlebten zahlreiche Vertriebene ihn als Vortragenden, vor allem im süddeutschen Raum und beim Verein Kulturwerk Danzig e.V. im Schloss Annaberg bei Bad Godesberg, für den er in Düsseldorf nicht nur rhetorisch geschliffene Vorträge hielt, sondern auch einige der traditionellen Musikalischen Abendgesellschaften gestaltete: Unvergessen sind seine Darstellungen Danziger Musiker oder der Zoppoter Waldoper, unterlegt mit Musikbeispielen aus den reichen Schätzen seiner privaten Sammlung, wohl der weltweit größten mit Danziger Musik auf Tonträgern (Schallplatten, Kassetten und CD’s), und seine Vertonungen von Texten der Danziger Schriftsteller Robert Reinick, Martin Damß und Hans-Georg Siegler, wie z.B. dessen Wandert ein Strom …, oder von Agnes Miegel aus Königsberg i.Pr. In früheren Jahren trat er ebenfalls als Gesangssolist auf mit der Begleitung seiner Mutter am Flügel, wie z.B. im Museum Haus Hansestadt Danzig in Lübeck. Auch seine Danzig-Bibliothek genoss großes Ansehen. Das Kloster Niederaltaich hat erklärt, dass zumindest seine Sammlung Danziger Musik im Kloster erhalten bleiben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll.

Auf gesellschaftlichem Gebiet konnte er sich mühelos integrieren, wirkte im Gespräch am Rande von Tagungen belehrend und amüsant. Seine musikalisch fein geschultes Gehör und sein ausgeprägtes Sprachgefühl gestatteten es ihm oft, einer ihm fremden Person gegenüber anhand deren Aussprache nach wenigen Sätzen sagen zu können, wo sie geboren ist oder wo sie lebt, selbst wenn es sich um eine Landschaft Ost- oder Südosteuropas handelte. Stets waren seine Äußerungen getragen von Toleranz, Objektivität und Sachlichkeit, Attribute, die in heutiger Zeit leider immer seltener zu werden scheinen.

Sein Herz schlug für seine ostdeutsche Heimat, wie seine zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträge belegen. Im Jahre 2004 wurde er für sein herausragendes Wirken bei der Bewahrung und Vermittlung Danziger Kulturgutes in Düsseldorf im Beisein von Oberbürgermeister Erwin mit dem Kulturpreis der Vertretung der Freien Stadt Danzig ausgezeichnet. Am 14. Mai 2013 verstarb Archimandrit Irenäus Totzke überraschend an Herzversagen in der altehrwürdigen Benediktiner-Abtei Niederaltaich an der Donau in der Nähe von Deggendorf, die Trauermesse mit anschließender Beisetzung fand dort am 21. Mai statt.

Werke: Dir singen wir, 1992. – Missa Mystica: Spiritualität und Kunst in Russland, 2003 (gemeinsam mit anderen Autoren). – Auferstehung und Geistausgießung, 2012. – Leben aus gemeinsamer Wurzel, 2013. – Ostkirchliche Spiritualität, 2013. – Musik der Ostkirche, 2014. – Christoph Bernhard (1627/28-1692) – ein Schützschüler aus Danzig, in: Westpreußen-Jahrbuch, Band 58, Münster 2008, S. 35-48. Zahlreiche Musik-CD’s, wie z.B. Byzantinische Osterliturgie in deutscher Sprache.

Bild: Autor.

Hans-Jürgen Kämpfert