Biographie

Treichel, Alexander

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Volkskundler, Rittergutsbesitzer
* 28. August 1837 in Alt Paleschken/Westpreußen
† 4. August 1901 in Hoch Paleschken/Westpreußne

Alexander Treichel war einer der bedeutendsten Volkskundler der Provinz Westpreußen. Seine Forschungen waren außerordentlich breit angelegt, seine Veröffentlichungen in Aufsatzform umfassten Hunderte von Einzeldarstellungen, seine Samm­lungen zu diesem Thema besaßen einen unglaublichen Umfang. Er darf als ein Wegbereiter der ethnologischen Feldforschung angesehen werden. Sein Gut Hoch Paleschken, das ihm aus wirtschaftlicher Sicht diese wissenschaftliche Tätigkeit ermöglichte, lag in der Kaschubei, etwa 50 km südwestlich von Danzig in einer wald- und seenreichen Umgebung, deren Entstehung von der letzten Eiszeit geprägt war.

Alexander Treichel wurde am 28. August 1837, dem „Goethetag“ wie er selber schrieb, auf dem Rittergut seines Onkels Johann Hannemann, Alt Paleschken, nur 2 km nordöstlich von seinem späteren Wohnsitz entfernt, geboren. Seinen Vater, Alexander Karl Heinrich Treichel (1811-1839), hat er kaum gekannt, denn er verlor ihn schon mit zwei Jahren. Seine Mutter, Friederike Eleonore geb. Hannemann (1809-1894), die aus einer Gutsbesitzerfamilie im Kreis Neustadt stammte, brachte das Gut Hoch Paleschken, das damalige Wolfsbruch, mit in die Ehe. Seine Erziehung übernahm zunächst der Hauslehrer Mehring, der später sein Stiefvater wurde. Ab Quarta bis zum Abitur 1859 besuchte er das Fürstlich Hedwig’sche Gymnasium in Neustettin, das ihm sein Leben lang viel bedeutet hat, weil er hier mit Gleichgesinnten den Verein der Gedankenspäne gründete, eine Vereinigung für Primaner mit literarisch-philoso­phi­schem Anspruch, der ihn selber überlebt hat.

Sein Studium nahm er 1860 an der Universität Berlin auf und belegte zunächst die Fächer Jura und Cameralia, wie man damals sagte (etwa Volkswirtschaftslehre, die Staats-, Finanz- und Rechnungswesen umfasste), zusätzlich hat er aber auch sehr intensiv Volkskunde, Geschichte, Vorgeschichte und Naturwissenschaften, insbesondere Botanik, betrieben, Studiengebiete, die ihn dann sein Leben lang nicht mehr losgelassen haben. Treichel hatte, wie er selber berichtet, alles für seine Promotion in Berlin im Fach Jura sorgfältig vorbereitet, doch hat er nie ein Examen versucht, allerdings auch nie ein staatliches Amt inne gehabt.

Treichel führte nun in Berlin ein Leben als Privatgelehrter. Er wandte sich mit großem Einsatz und sicheren Kenntnissen seinen verschiedenen Interessengebieten zu, forschte und publizierte zunächst vor allem auf dem Gebiet der Botanik, alsbald aber auch auf den Gebieten Vorgeschichte, Anthropologie, Ethnologie und Zoologie bezogen auf Berlin und seine Umgebung. Er engagierte sich in den entsprechenden Vereinen in Berlin und war sieben Jahre lang, von 1870 bis 1876, im Vorstand des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg tätig. Sein besonderes Interesse galt der Briefmarkenkunde, der Philatelie, die damals noch am Anfang des Weges zu ernsthafter wissenschaftlicher Beschäftigung war. Er gilt als der „Vater der Wasserzeichenforschung“, befasste sich auch mit der Zähnung der Marken, besaß eine umfangreiche Sammlung und stand mit Sammlern und Forschern in aller Welt in Verbindung. Die anerkannte französische Philatelisten-Vereinigung, die Société francaise de Timbrologie, verlieh ihm die Urkunde „De récom­pense“ (Zur Belohnung). Ganz allgemein galt er als sehr seriöser und angesehener Forscher, dessen Tätigkeit weitere Ehrungen erfuhr. So wurde 1874 eine neu gefundene Pflanze am Kap der Guten Hoffnung (eine Glockenblume) nach ihm Treichelia Longebracteata benannt und später eine Flechtenart aus Westpreußen Calicium Treichelianum. In Berlin heiratete er 1867 Johanna Wilhelmina Toepfer (1834-1914), die er schon zu seiner Gymnasialzeit in Neustettin kennen gelernt hatte, hier wurden auch seine beiden Kinder geboren: Franz (1869-1946) und Anna (1874-1971); sie wohnten in der Neuenburger Straße 10 im Stadtteil Kreuzberg.

Dieses Gelehrtendasein fand ein vorerst plötzliches Ende als seine Mutter ihm im Jahre 1876 die Bewirtschaftung des Familiengutes Hoch Paleschken in der Kaschubei übertrug, um selber in das Altenteil und später in die Kreisstadt Neustadt/Westpr. zu wechseln. Lange zögerte er, die Hauptstadt mit ihren vielfältigen geistigen Bindungen und Beziehungen zu verlassen und fand dennoch in Westpreußen seine Lebensaufgabe, die ihn fortan fesselte. Er war kein ausgebildeter Landwirt und vertraute die Wirtschaftsführung des Rittergutes von etwa 750 ha, einem der größeren im Kreis Berent, einem Inspektor und anderen Fachkräften an. Schwer hat es ihn und das Gut getroffen, als 1888 ein Feuer Ställe und Scheunen, Saatkorn und Vieh, darunter wertvolle Pferde und 1.000 Schafe vollständig vernichtete. Insgesamt aber entwickelte sich der Betrieb gut und bildete die wirtschaftliche Grundlage für das Leben der Familie.

Treichel konnte sich wieder seinen wissenschaftlichen Neigungen zuwenden, nunmehr aber bezogen auf die preußische Provinz Westpreußen und vor allem auf die kulturelle Vielfalt von Deutschen, Kaschuben und Polen. In noch größerem Rahmen als in Berlin ging er seinen Forschungen nach, er sammelte alle Informationen und kulturellen Gegenstände, deren er nur habhaft werden konnte. Dabei verließ er sich nicht allein auf die bereits vorliegende Literatur, sondern befragte eine Vielzahl von Personen jeden Alters und jeden Standes. Er fuhr auf der Eisenbahn gerne in der vierten Klasse, einzig und allein, um auch hier mit „einfachen Leuten aus dem Volk“ ins Gespräch zu kommen und sie nach Informationen aus seinen weit verzweigten Interessengebieten zu befragen, dazu gehörten Vorgeschichte und Geschichte, Sprachwissenschaft einschließlich der kaschubischen Dialekte, Sagen und Märchen, Lieder und Schwänke, Bauernweisheiten und Reime, Zoologie und Botanik. Da er vornehmlich für letztere immer wieder und ausführlich Erkundigungen einholte, wurde er schon gelegentlich als Apotheker angesehen, als Original fast stets.

Er wurde Mitglied in mehreren west- und ostpreußischen wissenschaftlichen Vereinigungen, darunter die Naturforschende Gesellschaft in Danzig und in dem mit dieser verbundenen Westpreußischen botanisch-zoologischen Verein, an dessen Jahrestagungen in verschiedenen westpreußischen Orten er fast ständig teilnahm. Er veröffentlichte eine sehr große Zahl von Aufsätzen in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften. Erst vor einigen Jahren wurde in Polen ein Verzeichnis seiner Beiträge zusammengestellt, dessen Umfang so recht deutlich macht, wie unglaublich zahlreich seine Interessengebiete und seine Publikationen waren.

Kurz vor 1900 entstand eine frühe und einmalig wertvolle Photodokumentation des Guts- und Landlebens auf Hoch Paleschken und Umgebung. Als Photograph wird sein Schwiegersohn, Bernhard Hagen, angesehen, der als Mediziner in den Tropen gelebt hatte und mit der Photographie vertraut war. Die Familie und Treichel selbst sind auf diesen Aufnahmen in unterschiedlichen Posen zu sehen, er kann also nicht selber der Photograph gewesen sein. Als Erinnerungen an Hochpa­lesch­ken sind sie von der Familie dem Herder-Institut in Marburg übergeben und 1997 in Auswahl gemeinsam mit dem Brüder-Grimm-Museum in Kassel der Öffentlichkeit präsentiert worden; anschließend wurden sie als Wanderausstellung in verschiedenen Orten gezeigt, zwei davon auch in Polen.

Nach einem langwierigen Kehlkopfleiden starb Treichel am 4. August 1901. Auf dem Friedhof in Neu Paleschken, drei km nordwestlich von Hoch Paleschken (er war als Gutsherr Patron der dortigen Kirche), wurde er neben dem Grab seines Vaters beigesetzt. Sein Gut wurde später von seinen Erben an die Preu­ßische Ansiedlungskommission verkauft und schließlich parzelliert. Bei der Parzellierung verloren die großen Gutsgebäude (Gutshaus, Stallungen und Scheunen) ihre ursprüngliche Bestimmung, blieben aber im Kern erhalten, so dass man heute noch die Hofstruktur um das Gutshaus wiedererkennen kann. Ein Teil seiner sehr umfangreichen Sammlungen aus seinem Forschungsgebiet, der Volkskunde, erhielt das Westpreußische Provinzialmuseum in Danzig. Seine Forschungsergebnisse die­nen noch heute als Grundlage von Veröffentlichungen vor allem polnischer Forscher. Aus allen seinen schriftlichen Äußerungen aber spricht seine Liebe zu seiner Heimat und zu seinem ausgedehnten Forschungsgebiet.

Werke: Volkslieder und Volksreime aus Westpreußen, Danzig 1895.

Literatur: Anna Hagen-Treichel, Alexander Treichel. Ein Lebensbild des Begründers des Vereins der Gedankenspäne von des Verewigten Tochter: Frau Hofrat Anna Hagen-Treichel in Frankfurt a. Main. Neustettin, o. J. (etwa 1907). – Anna Hagen-Treichel, Die Treue im Kleinen. Der Westpreuße Nr. 9, 1951, S. 14. – Norbert Maczulis, Die Kaschubischen Heimatsagen des Alexander Treichel. Karthaus 1996. – Polen, Deutsche und Kaschuben: Alltag, Brauchtum und Volkskultur auf dem Gut Hochpaleschken in Westpreußen um 1900. Hrsg. und bearb. von Bernhard Lauer und Hanna Nogossek. Eine Ausstellung des Brüder-Grimm-Museums Kassel und des Herder-Instituts Marburg. Kassel 1997. – Gisela Borchers, Westpreußischer Volkskundler aus dem Kreis Berent. Zum 100. Todestag von Alexander Treichel, in: Berenter Kreisbote, Nr. 2, 2001. – Hans-Jürgen Kämpfert, Alexander Treichel. In: Westpreußen-Jahrbuch Band 63, Münster 2013.

Bild: Aus Familienbesitz.

Hans-Jürgen Kämpfert