Biographie

Trotzendorf(f), Valentin

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Pädagoge
* 14. Februar 1490 in Troitschendorf/Görlitz
† 25. April 1556 in Liegnitz

Valentin Trotzendorf gilt als Vater des protestantischen Schulwesens in Schlesien. Zusammen mit Sturm in Straßburg, Wolff in Augsburg und Neander in Ilfeld/Harz gehörte er zu den vier großen Rektoren des 16. Jahrhunderts. Im Geist von Reformation und Humanismus arbeiteten sie alle am Aufbau eines Höheren Schulwesens, das die Absolventen bis zur Universitätsreife führen und auf diese Weise den Nachwuchs an Pfarrern, Lehrern, Juristen und Ärzten sichern sollte.

Am 14. Februar 1490 in Troitschendorf bei Görlitz (rechts der Neiße) als Valentin Friedland geboren, nannte er sich erst später nach seinem Heimatort Trotzendorf. Die familiären Verhältnisse waren bäuerlich einfach. Der Vater lehnte die schulische Ausbildung des Sohnes ab. Nur durch den beharrlichen Einsatz der Mutter war es möglich, daß Valentin 1506 zunächst für ein Jahr, von 1509 bis 1514 schließlich kontinuierlich die Stadtschule in Görlitz besuchen durfte. Während eines kurzen Studiums in Leipzig wurde er für den Humanismus – diese gelehrte europäische Geistesrichtung, die die Rückbesinnung auf die Klassik der Griechisch-Römischen Antike auf ihre Fahnen geschrieben hatte – gewonnen. Nach seiner Rückkehr übernahm er in Görlitz eine Lehrerstelle, wandte sich aber schon 1517/18 wahrscheinlich nach Schweidnitz, um die dortige Schule im humanistischen Geist zu reformieren. 1518 zum Priester geweiht, war Trotzendorf von 1519 bis 1524 als Geistlicher am Breslauer Dom angestellt, konnte aber daneben ab 1519 in Wittenberg studieren. Hier hat er auch Hebräisch gelernt.

Die Begegnung mit Luther und Melanchthon war für Trotzendorfs weiteres Leben entscheidend. Er schloß sich der Reformation an. Melanchthon, dem man später den Ehrentitel „Lehrer Deutschlands“ (Praeceptor Germaniae) beigelegt hat, wurde sein Vorbild. Mit der Übernahme des Rektorates der Stadtschule in Goldberg, erstmals 1525 bis 1527, begann für Trotzendorf eine schwierige Aufbauzeit, überschattet nicht nur von den Problemen der Schule, die sich in desolatem Zustand befand, sondern fast mehr noch von den Auseinandersetzungen um Caspar von Schwenckfeld (1489-1561). Trotzendorf erwies sich dabei als standhafter Lutheraner, indem er gegen Schwenckfeld die Linie seiner Wittenberger Lehrer vertrat. Auch nach seiner Berufung auf eine Dozentur an die von Herzog Friedrich II. (1480-1547) gegründete Universität Liegnitz im Jahr 1527 ging der Streit weiter. Hier war es der – vom Herzog unterstützte – gelehrte Schwenckfeld-Anhänger Valentin Krautwald (um 1470-1545), mit dem sich Trotzendorf auseinanderzusetzen hatte.

Als klar war, daß die Etablierung der Universität in Liegnitz scheitern würde, vor allem, weil Kaiser Ferdinand I. ihre Privilegierung ablehnte, ging Trotzendorf 1529 nach Wittenberg, bis ihn 1531 der Rat der Stadt Goldberg zurückrief und erneut mit der Leitung der inzwischen ganz darniederliegenden Schule betraute.

Jetzt begann Trotzendorfs große Zeit als humanistisch-reformatorischer Schulreformer. Es gelang ihm, die Goldberger Schule und ihr Internat in 15 Jahren so weit nach oben zu bringen, daß sie auch von Schülern aus Polen, Ungarn und Österreich besucht wurde. Zu diesem Erfolg hat auch die Erweiterung des Fächerkanons beigetragen, indem in Goldberg auch Arithmetik, Astronomie und Naturphilosophie unterrichtet wurden; Fächer, die bis dahin in den Artistenfakultäten angesiedelt waren. Eine 1546 von Trotzendorf verfaßte und vom Herzog bestätigte Schulordnung galt als vorbildlich und wurde von zahlreichen Schulen des 16. Jahrhunderts übernommen.

Diese Goldberger Schulordnung bestimmte, daß „die Grammatica als die Mutter und Regiererin der anderen Künste“ „für allen Dingen mit sonder hohem Fleiß täglich getrieben“ und durch Beispiele (Lectiones) aus den antiken Schriftstellern und Dichtern erläutert werden soll. Aber auch der (kleine) Katechismus Martin Luthers ist „täglich mit sonder großem Fleiß“ zu behandeln. Die jüngeren Schulklassen sollen ihn „laut, langsam, deutlich und unterschiedlich recitieren lernen“. Um die Ausdruckfähigkeit im Lateinischen zu fördern, wurden wöchentlich einmal Exerzitien und täglich am Abend öffentliche Disputationen und Deklamationen angesetzt. Auch im Umgang mit den Lehrern und unter den Schülern selbst durfte nur lateinisch gesprochen werden.

Besondere Berühmtheit erlangte Trotzendorf aber dadurch, daß er die Schule nach Art eines Schulstaates nach dem Vorbild der altrömischen Republik komplett durchorganisierte. Dahinter stand einerseits die Notwendigkeit, mit einem Minimum an Lehrern den immer größer werdenden Schulbetrieb und, fast noch wichtiger, die Disziplin aufrecht zu erhalten. Zum anderen aber die Überzeugung, daß die Schüler schon früh darin geübt werden sollten, für andere, für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Darum setzte er nicht nur die älteren Schüler beim Unterricht der jüngeren ein (Schülerlehramt), sondern übertrug auch die Durchführung des Internatsbetriebes den „Ökonomen“ als Stubenältesten, den „Discophoren“ und „Ephoren“ als Tischvorstehern und den „Quästoren“ als übergeordnete Instanz zur Kontrolle der Ämter. Für die öffentliche Behandlung von Disziplinarfällen richtete er ein Schulgericht mit „Konsuln“, „Senatoren“ und „Zensoren“ ein. Er selbst nahm an den Gerichtsverhandlungen als „Dictator perpetuus“ (ständiger Dirigent) teil und achtete darauf, daß die Verhandlungen in Anklage, Verteidigung, Urteil und Urteilsbegründung in korrektem Ciceronianischem Latein geführt wurden.

Daß Trotzendorf daneben auch als Prediger in der Kirchengemeinde Goldberg und Autor zahlreicher pädagogischer und theologischer Schriften hervorgetreten ist, soll wenigstens erwähnt werden.

Zu dem außerordentlichen Einsatz, den Trotzendorf für seine Schule in Goldberg erbracht hat, gehörte auch, daß er auf das ihm zustehende herzogliche Gehalt verzichtet und sich mit dem Schulgeld begnügt hat. Möglich war das wohl nur, weil er nicht geheiratet hatte und völlig in seiner Aufgabe als Rektor aufging. Hinzu kam, daß die Schule zunehmend zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenwuchs. Im Jahr 1553 mußte Trotzendorf mit dem kleinen Rest an Schülern, der noch vorhanden war, vor der Pest nach Löwenberg fliehen. Ein Jahr später zerstörte ein Feuer die Schule und den gesamten Besitz Trotzendorfs. Von Liegnitz aus versuchte er, die Schule in Goldberg wieder in Gang zu bringen. Darüber ist er, 66 Jahre alt, am 26. April 1556 in Liegnitz gestorben.

Wie stark die Schule in Goldberg von Valentin Trotzendorf geprägt war, zeigte ihre nachfolgende Geschichte. Gustav Bauch hat sie kenntnisreich dokumentiert. Im Grunde hat diese Schule nie wieder die Höhe erreicht, die sie unter Trotzendorf hatte. Dieser Rektor hat Maßstäbe gesetzt. Sein erfolgreichster Schüler, Laurentius Ludovicus (1536-1594), war später Rektor des Gymnasiums Augustum in Görlitz. Er urteilte über seinen Lehrer Valentin Trotzendorf 1563, also sieben Jahre nach dessen Tod: „Nicht dunkle Lehrmeinungen der Philosophen, um etwa dadurch Bewunderung seines Geistes zu erregen, hielt er für sich in der Schule vortragenswert, nicht Ungewöhnliches brachte er auf die Bahn, nicht auf neue, nicht auf eigene, nicht auf sophistische Erfindungen ging er aus, sondern nur darein wollte er die zarten Geister eingeweiht wissen, was er wegen des notwendigen Gebrauchs in der Kirche und wegen des vielfältigen Nutzens im gemeinen Leben, von seinen Lehrern in Wittenberg öffentlich vorgetragen, übernommen hatte. Treffend war sein Urteil bei der Auswahl der Lehren. Am meisten aber war das immer in der Schule bewegte Wort zu schätzen: Regeln wenig und kurz, Beispiele klar und nützlich, Übung lange und häufig. Oft hatte er auch das im Munde: Nicht nur mit demselben Inhalt, sondern auch mit denselben Worten und Silben muss man lehren; dies ist für das glückliche Fortschreiten in den Studien und für die Erhaltung der Ruhe in den Kirchen von der höchsten Bedeutung“ (Bauch S. 124).

Werke:Auflistung bei Elke Axmacher, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Bd.XII (1997), Sp. 618 ff.

Lit.:Gustav Bauch, Valentin Trotzendorf und die Goldberger Schule, Berlin 1921 (Monumenta Germaniae Pädagogica 57). – Franz Weigel, Valentin Trotzendorf und seine Zeitgenossen. In: Wissen und Wirken. Pädagogische Schriftenreihe des Cassianeums, Donauwörth o.J. (1948). – Johannes Grünewald, Zum 400jährigen Todestag Valentin Trotzendorfs, in: JSKG 35/1956. – Friedrich Hahn, Die evangelische Unterweisung in den Schulen des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1957. – Karl Weidel, Valentin Trotzendorf, in: Schlesische Lebensbilder Bd. IV, 2. Aufl. 1985. – Arno Lubos, Valentin Trotzendorf. Ein Bild aus der schlesischen Kulturgeschichte, Ulm 1962, 3. Aufl. 1993. – Artikel V. Trotzendorf, in: RGG, 4. Aufl., Bd. 8 (2005), S. 638.

Bild:Schlesische Lebensbilder, Bd. IV, Abb. 7.

 Christian-Erdmann Schott