Biographie

Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Philosoph, Naturwissenschaftler
* 10. April 1651 in Kießlingswalde/Görlitz
† 11. Oktober 1708 in Dresden

Tschirnhaus ist einer der bedeutenden Repräsentanten der frühen Aufklärung in Deutschland – zusammen mit dem fünf Jahre älteren Gottfried Wilhelm Leibniz und dem vier Jahre jüngeren, seit 1681 in Leipzig und seit 1694 in Halle lehrenden Christian Thomasius. Er war der erste Deutsche, der in die Pariser Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde (1682 auf Vorschlag von Colbert).

Sein philosophisches Hauptwerk ist die „Medicina mentis sive artis inveniendi praecepta generalia“, d.i. eine Medizin des Geistes oder allgemeine Vorschriften für die Kunst der Entdeckung von Wahrheiten. Dieses Werk enthält eine Logik und eine Erkenntnistheorie, die sowohl der Erfahrung als auch der rein intellektuellen Erkenntnis des Menschen ihr Recht zu geben versucht. Das Buch ist 1687 in Amsterdam erschienen, nachdem dort bereits ein Jahr zuvor seine „Medicina corporis seu cogitationes admodum probabiles de conservandi sanitate“, d.i. eine Medizin des Körpers mit höchst wahrscheinlichen Betrachtungen über die Erhaltung der Gesundheit, herausgekommen war. Von diesem Werk erschien 1687 eine niederländische Übersetzung. Sein philosophisches Denken knüpft an Descartes, Spinoza und Leibniz an. Mit Spinoza, den er verteidigte, und mit Leibniz stand er in persönlichem Kontakt. Für die Entwicklung der Philosophie von Christian Wolff, des 1679 in Breslau geborenen Vaters der Gründlichkeit und der Aufklärung in Deutschland, war seine medicina mentis nicht ohne Bedeutung.

Auch zur Pädagogik im Aufklärungszeitalter leistete er wirksame Beiträge. 1700 erschien sein Werk „Gründliche Anleitung zu nützlichen Wissenschaften, absonderlich zu der Mathesi und Physica, wie sie anitzo von den Gelehrtesten abgehandelt werden“. Dieses Werk wurde mehrfach, auch nach seinem Tode, neu aufgelegt. In Halle übte diese Schrift wegen der starken Berücksichtigung der Realien (besonders der Mathematik und Physik), aber auch wegen neuer Methoden zum Erlernen fremder Sprachen Einfluß auf den Lehrplan der Anstalt von August Hermann Francke aus. So hat zunächst die Pädagogik der Pietisten und später des Philanthropinismus in den Gedanken von Tschirnhaus manche Stütze finden können.

Als Naturwissenschaftler war Tschirnhaus bis in die Technik hinein erfolgreich. Seine Experimente, denen die Aufmerksamkeit und Förderung durch den Kurfürsten von Sachsen zuteil wurde, führten u.a. zur Erfindung des europäischen Porzellans, das in Meissen seine erste und bis heute berühmteste Produktionsstätte fand.

Diese weit gefächerte Wirksamkeit von Tschirnhaus wird erst auf dem Hintergrund seines Lebensweges verständlich. Aus altem deutschen Adel stammend, erhielt er seine erste Ausbildung durch Hauslehrer und konnte mit 15 Jahren bereits in die Prima des unter Leitung des angesehenen David Vechner stehenden Görlitzer Gymnasiums eintreten. 1688 bezog er die berühmte Leidener Universität, wo er den Cartesianismus in Philosophie und Mathematik und den calvinistischen Protestantismus kennen lernte. 1672 unterbrach er seine besonders der Medizin und den Naturwissenschaften gewidmeten Studien, um den von ihm hoch geschätzten niederländischen Republikanismus gegen Ludwig XIV. von Frankreich zu verteidigen. Anderthalb Jahre diente er als Freiwilliger im Regiment des Obersten von Niewland und hielt die Belagerung von Wesel aus. Danach kam er mit Spinoza, Oldenburg, Papin, Boyle und in Paris mit Huygens in Kontakt, der ihn damals schon in den Kreis der Pariser Akademie einführte. In Paris lernte er auch Leibniz kennen, den er nach Beendigung einer Kavalierstour durch Italien, die ihn bis nach Malta führte, 1679 in Hannover besuchte, bevor er in seine oberlausitzische Heimat zurückkehrte. Angebote, als Kanzler an die Universität Halle oder als hoher Beamter nach Hessen-Darmstadt oder Hessen-Kassel zu gehen, lehnte er ab. Er wollte sich vor allem seinen naturwissenschaftlichen Experimenten widmen.

Lit.: Lebens- und Todes-Geschichte des weltberühmten Herrn EhrenfriedWalther von Tschirnhaus etc. (anonym), Görlitz bei Jacob Rohrlachen 1709. H. Weißenborn: Lebensbeschreibung des E.W. v. Tschirnhaus, Eisenach 1866. H. Kunze im "Neuen Lausitzischen Magazin", Bd. 43.

Werke: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, Medicina mentis … Erstmalig vollständig ins Deutsche übersetzt und kommentiert von Johannes Haussleiter.  Leipzig 1963.

Bild: Otto Walcha: Meißner Porzellan, Dresden 1975.

Eberhard Günter Schulz