Der herausragende Biologe, Zoologe und Philosoph, dessen wissenschaftliche Verdienste von den Zeitgenossen und auch von der Nachwelt nur teilweise bzw. spät erkannt wurden, entstammt dem Stammhaus (Pickel) des wohl ältesten freiherrlichen Geschlechts in den baltischen Landen – im Mittelalter Livland genannt -, das seine Genealogie bis zum Jahre 1227 zurückverfolgen kann. In diesem Jahr wurde nämlich der Ritter Johann von Bardewis aus bremisch-oldenburgischen Landen in der westestnischen Landschaft Wiek mit Gütern belehnt. 30 Jahre später wurde er Lehnsherr der festen Burg „Ikeskola“ (Uexküll) an der Düna, südöstlich von Riga, deren Namen von nun an er und seine Nachkommen trugen. Damit soll angedeutet werden, wie eng Jakob Johann von Uexküll mit seiner baltischen Heimat schon durch Familientradition verbunden war.
Unweit des Uexküllschen Stammsitzes Pickel geboren, erhielt Jakob Johann zunächst Hausunterricht. Von 1875 bis 1877 besuchte er das Gymnasium in Coburg und anschließend bis 1883 die traditionsreiche Domschule in Reval (Tallinn), wo er die Hochschulreife erwarb. Seine universitäre Ausbildung erhielt der junge Uexküll von 1884 bis 1889 in Dorpat (Tartu), noch am Ende der „deutschen“ Periode dieser Universität. Er begann dort mit dem Studium der Geschichte und der Mineralogie und konzentrierte sich von 1885 an auf das Fach Zoologie, in dem er 1889 die Kandidatenprüfung (sie entsprach in etwa dem deutschen Doktorexamen) ablegte. Von 1885 bis 1886 nahm Uexküll an der wissenschaftlichen Expedition von Maximilian Gustav Christian Carl Braun (1850 – 1930) zur Beobachtung von Meerestieren in Dalmatien und auf Korfu teil. Als Mitglied der studentischen Korporation „Estonia“ lernte er schon früh, seinen Wissensdurst – gepaart mit einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe – mit einer humorvollen, philosophisch geprägten Geselligkeit zu verbinden.
1888 übersiedelte Jakob von Uexküll nach Heidelberg, um dort seine Studien fortzusetzen. Bis 1918 wirkte er hier und führte sein Forschungen am Physiologischen Institut (bei Professor Kühne) durch. Wiederholt hielt er sich im Winter an der deutschen Zoologischen Station in Neapel (bei Professor Schönlein) zur Beobachtung von Meerestieren auf. Viele Forschungsreisen – unter anderem nach Deutsch-Ostafrika 1899 bis 1900 – und natürlich der Besuch von wissenschaftlichen Veranstaltungen – so 1898 der des internationalen Physiologenkongresses in Cambridge – sowie Vorträge gehörten zum wissenschaftlichen Programm des Privatgelehrten.
In dieser Zeit wuchs Uexküll zum „Kosmopoliten“ und „Grandseigneur“ heran, so wie er in seinem Freundes- und Bekannten bezeichnet worden ist. Dies schloß nicht aus, daß er seiner estländischen Heimat als Besitzer der Güter Heimar (Heimre; 1893 – 1897), Werder (Virtsu), Pademorm (Paadremaa) und Metzeboe (Möti 1906 – 1919) sowie später des Restgutes in Form der Insel (Puhtulaid; 1928 – 1940) – eines Naturparadieses – verbunden blieb. 1903 heiratete Uexküll in Schwerinsburg (Pommern) Gudrun Gräfin von Schwerin; aus der Ehe gingen eine Tochter und zwei Söhne hervor.
Von 1918 bis 1923 war die Familie in Londorf bei Gießen und 1923 bis 1925 in Schwerinsburg wohnhaft. 1925 zog Uexküll nach Hamburg um, wo er bis 1940 als Honorarprofessor an der Universität wirkte. Hier gründete er 1926 das Institut für Umweltforschung, dessen Leitung er bis 1940 ebenso wahrnahm wie die des Aquariums im Zoologischen Garten. Seinen kurzen Lebensabend verbrachte er auf der Insel Capri am Golf von Neapel, wo er sechs Wochen vor seinem 80. Geburtstag verstarb.
Erwähnt seien hier einige der wichtigsten wissenschaftlichen Werke Uexkülls. 1902 erschien der Kampf um die Tierseele, in dem er die Philosophie Kants für die Biologie wiederentdeckte. (Zusammen mit anderen hielt er damals in Heidelberg Vorlesungen über die Kritik der reinen Vernunft.) Die folgenden zwei Arbeiten erlebten zwei bzw. drei Auflagen: Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909, 1928) und die zusammen mit G. Kriszat verfaßten Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen (1934, 1956 = Rowohlts Deutsche Enzyklopädie 13, 1970). Die Lebenslehre (1930) und Der unsterbliche Geist in der Natur (1938) waren nicht so erfolgreich. Die publizistische Spitzenleistung Uexkülls waren seine memoirenhaften Nie geschaute Welten. Ein Erinnerungsbuch – sogar in vier Auflagen (1936, 1939, 1949, 1957 – List-Taschenbücher 97) erschienen.
Indem er die Tiere nicht als Objekte, sondern als eigenständige Subjekte ihrer jeweiligen Lebensumwelten betrachtete, entwickelte Uexküll neue Forschungsmethoden. Heute gilt er als der Begründer der Umweltlehre und als Mitbegründer der vergleichenden Physiologie. Obwohl er kein ausgesprochener „Schulgelehrter“ war, erhielt er doch einige Ehrungen. 1907 wurde ihm der Dr. med. h.c. von der Universität Heidelberg, 1934 der Dr. phil. h. c. der Universität Kiel und 1936 der Dr. rer. nat. h.c. der Universität Utrecht liehen. Er war Mitglied der Akademie der Naturforscher in Halle und korrespondierendes Mitglied der Ärzte-Vereinigung in Wien. 1929 wurde er Ehrenmitglied der Estländischen Literärischen Gesellschaft in Reval und der Vereinigung der Naturforscher Riga. Auch wurde er zweimal für den Nobelpreis vorgeschlagen. In seiner estnischen Heimat war er nicht nur zur Zeit des Freistaates und bis 1940, sondern auch während der Sowjetherrschaft anerkannt.
Weitere Werke: Leitfaden in das Studium der experimentellen Biologie der Wassertiere: (1905). – Theoretische Biologie (1920, 1928). – Bedeutungslehre (1934, 1956, 1970). – Der Sinn des Lebens (1947).
Lit: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 19. Wiesbaden 1974, S. 342. – Eesti nöukogude entsüklopeedia (Sowjetestn. Enzyklopädie), Bd. 8, Tallinn 1976, S. 189. – Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960, hrsg. v. W. Lenz, Köln, Wien 1970, S. 817. – Zum 100. Geburtstag Jakob von Uexkülls, in: Nachrichtenblatt, hrsg. v. Verband der Angehörigen der baltischen Ritterschaften, 6 (1964), H. 3, S. 59. – Album Estonorum, Tallinn 1939, S. 305 f. – Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften, Teil Estland, Bd. l, Görlitz o. J., S. 486 – 491. – Jutta Schmidt: Jakob von Uexküll und Houston Stewart Chamberlain. Ein Briefwechsel in Auszügen, in: Medizinhistorisches Journal 10 (1975), S. 121 -129. – M. Frhr. von Taube: Die von Uxkull. Genealogische Geschichte der Gesamtfamilie von Uxkull 1229 – 1954, Meine 1955. – Gudrun von Uexküll: Jakob von Uexküll, seine Welt und seine Umwelt, Hamburg 1964.
Bild: Gudrun von Uexküll, a.a.O., Umschlagblatt