Biographie

Ulmann, Hellmuth von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist, Schriftsteller, Kapellmeister und Journalist
* 23. Juni 1913 in Reval-Kosch
† 5. September 1987 in Heide/ Holstein

Hellmuth von Ulmann, Sohn des Land­arztes Georg von Ullmann und der Anna geb. Stahlberg, war früh verwaist, bereits 1920 verstarb die Mutter und als 16-Jähriger verlor er den Vater. Nach der Schul­zeit in Dorpat und dem Abitur an der Domschule in Reval, folgte das Studium am Staatlichen Konservatorium Tallinn u.a. bei dem estni­schen Komponisten Artur Kapp. 1935 machte er sein Tonkünstlerdiplom in den Fächern Orgel und Komposition. Wäh­rend die­ser Zeit war er auch als Organist in Reval tätig. 1935 heiratete er Benita von Maydell. Die Ehe wurde 1939 geschieden. Er ging nach Ber­lin, wo er bei dem deutschbaltischen Komponisten Ger­hard v. Keußler studierte und Diri­gier­­unterricht bei Cle­mens Krauss er­hielt. In den Jahren 1937 bis 1941 war er Ka­pellmeister an den Theatern in Neisse, Konstanz und Schwe­rin, bis er eingezogen wurde. Ul­mann ga­stierte in dieser Zeit auch bei den Stuttgarter Philharmonikern (damals Landesorchester). Er hei­ra­tete die Sängerin Elisabeth Höscheler, die in Konstanz und Schwerin engagiert war. Aus dieser Ehe stammen seine drei Kinder. 1943 bis 1945 war er Soldat in Russland.

1946 wurde er Dirigent des Braun­schwei­ger Kammer­or­chesters. Durch die Auf­lö­sung des Orchesters 1949 in Folge der Währungsreform sah er sich zu ei­nem Be­rufswechsel gezwungen. Ulmann arbeitete als Journalist und war seit 1957 als Re­dakteur am NDR Hamburg tätig. Dies bedeutete einen Abschied von der Musik, so dass er nach 1950 nur noch weniges komponiert hat. Nach einem Volontariat war er freiberuflich als Publizist tätig, bei den Braunschweiger Nachrichten, der Goslarschen Zeitung, Die Welt und bei Musikzeitschriften. 1957 wurde er freier Mitarbeiter beim NDR und bei Radio Bremen, dann 1972 bis zur Pensionierung 1980 festangestellter Redakteur beim NDR wo er auch als Filmschaffender tätig war. 1971 heiratete er Mia Arnhardt. Die Ehe wurde 1983 geschieden. 1983 erlitt er auf einer Vortragsreise einen Schlaganfall, der ihn pflegebedürftig machte. Die Schriftstellerin Elisabeth Meyer-Runge, die er 1984 heiratete, begleitete und umsorgte ihn bis zu seinem Tod, so dass diese bitteren Lebensjahre trotzdem zu einer reichen literarischen Schaffensperiode werden konnten und er sich sogar wieder etwas dem Komponieren zuwandte.

Bereits während der Studienzeit gelangten größere oratorische Werke zur Auf­führung, wie das weltliche Oratorium Frühling (n. R.C. Muschler) 1934 in der Estonia zu Tallinn. Ahnungsvoll die 1935/36 entstandene sinfonische Kantate Totenfeier nach den Briefen der Gefallenen. Ein größerer Werkkomplex ist sein Liedschaffen (über 50 Klavierlieder und ca. 15 Lieder mit Kammerbegleitung), das besonders in Zusammenarbeit mit seiner zweiten Frau Elisabeth entstand und gemeinsam aufgeführt wurde. Die Ausdrucksskala reicht vom Chanson, Volksliedhaftem und Unterhaltendem bis zum sublimen Kunstlied. Er vertonte, trotz des schriftstellerischen Talents, nur vereinzelt eigene Texte, zeitgenössische Dichtung bevorzugend. Sein Liedschaffen lässt den Opernkomponisten erkennen. Allerdings hatte er mit seinen Opern wenig Glück. Die Oper Wetterleuchten war vom Rostocker Theater bereits zur Ur­auf­füh­rung angenommen, dann von der dortigen Kreisleitung der NSDAP wegen ihres Stoffes (Französische Revolution) verboten worden. Seine Oper Goya, welche während des Krieges in Gefechtspausen entstand, sollte am Heilbronner Stadttheater herauskommen, was durch den Krieg vereitelt wurde. Eine konzertante Aufführung in Berlin, für welche sich Gerhart von Westerman einsetzte, wurde von Goebbels untersagt. Die Oper wurde 1949 von Schwerin zur Aufführung erworben, dann aber vom Kom­po­nisten, der dies später bedauerte, zurückgezogen.

Als Orchesterwerke sind das Konzert für Orchester (Möseler-Verlag Wolfenbüttel) und die aus der Spätromantik entwickelte dreisätzige Sinfonie C-Dur von 1951 (UA 1953 Göttingen) zu nennen. Außerdem komponierte er Kammermusik in verschiedenen Besetzungen u. a. drei Streichquartette. Stilistisch war er ein Hüter der Tradition. So ist seine Oper Wetterleuchten „bei Mozart angelehnt, wird aber zunehmend romantischer bis in die Nähe von Rossini“ (Mitt. a. d. Verf. 3.5.1987). Möge diese Bemerkung zwar vorwiegend auf Abläufe des Musiktheatralischen bezogen sein, so bleibt er doch dem Melodiösen verbunden. Zu einer gemäßigten Moderne wie in seinen feinsinnigen Liedern des Abschieds mit Streichtriobegleitung von 1954 oder zum Divertimentostil der Nachkriegszeit findet er im Concerto grosso über das Thema B-A-C-H op. 21 (Sikorski Hamburg), das er mit seinem Braunschweiger Kammerorchester aufgeführt hat.

Hellmuth von Ulmann hat ein umfangreicheres kompositorisches Werk geschaffen (Werkübersicht in: Lexikon deutschbaltischer Musik s.a.O.), das allerdings nur zu einem geringen Teil im Druck erschien. Er ist der letzte deutschbaltische Komponist von Rang mit einer größeren Werkpräsenz, allerdings auch, wie alle deutschbaltischen Komponisten in der Nachkriegszeit, von Erfolglosigkeit verstört worden.

Ulmanns literarisches Schaffen, das erst mit dem Verlust des Musikerberufs einsetzte, ist mit einigen Büchern aus verschiedenen Themenbereichen zu belegen – zur Musik Die veruntreute Handschrift Robert Schumanns Violinkonzert und seine Tragödie, der historischen Roman Beinahe ein König. Das seltsame Leben des Prinzen Heinrich von Preußen, Bruder Friedrichs des Großen sowie feuilletonistische Sammlungen Wanderungen im Weserbergland, Norddeutsche Städtebilder, Wanderungen zu den Herrenhäusern im Herzogtum Lauenburg und mehrere Erinnerungsbücher, wie die posthum erschienene Autobiographie Toccata des Lebens. 1976 erhielt er den „Deutschen Preis für Denkmalschutz“ für seine Hörfunksendung Requiem für alte Städte? – eine Bilanz des Europäischen Denkmalschutzjahres.

Sowohl in seinem kompositorischen als auch in seinem schriftstellerischen Werk sind die Bezüge zu seiner baltischen Heimat von wesentlicher Bedeutung. Zu nennen wären die Baltische Legende, Lied für Bariton und Orchester und Vertonungen deutschbaltischer Autoren. Für sein schriftstellerisches Werk sind Bücher mit Erinnerungen, Skizzen und autobiographischen Essays zu nennen: Alle Orgeln von Reval und Meine baltischen Skizzen, aber auch Aufsätze wie Die baltische Kulturleistung im Licht der Aufklärung oder Estland – Holstein stammverwandt?

Durch die sich verringernde Dominanz der „Neuen Musik“ in Rezeption und Konzertsaal, unter welcher der Komponist Ulmann zu Lebzeiten zu leiden hatte, ergibt sich auch eine Hindwendung zur Tradition. Voraussetzung ist natürlich die Werkpräsenz – einige Werke sind bei Verlagen, anderes befindet sich in Archiven und im Nachlass, wie im Musikarchiv der Künstlergilde in Regensburg, im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg oder bei der Elisabeth-von-Ulmann-Gesellschaft Kiel. Von Wichtigkeit sind natürlich Aufführungen überhaupt, wie wiederholt durch das Malinconia-Ensemble Stuttgart u.a. zum 10. Todestag und als erste Wiederaufführungen in der estnische Heimat 1998, noch in Begleitung von Elisabeth von Ulmann († 2005) sowie 2009, Aufführungen, die alle beim Publikum sehr gut ankamen. Sein literarisches Schaffen, das ja weniger einer Stilkritik ausgesetzt ist, ist für Interessierte leichter erfahrbar, da seine Bücher noch im Buchhandel erhältlich sind.

Es ist immer schwierig, bei doppelbegabten Menschen beiden Seiten gerecht zu werden, im bekannten Sinne, wo die schreibende Zunft sagt, er sei ein sehr guter Komponist und die Musiker meinen, dass er ein sehr guter Schriftsteller sei. Vielleicht kann man beiden Begabungsseiten gleich gewogen sein, der sich einstellende kulturelle Gewinn würde sich von selbst verstehen.

Lit.: Kürschners Deutscher Musiker-Kalender 1954, 2. Ausg., Berlin 1954, Sp. 1379. – Clemens M. Gruber, Opernuraufführungen usw., Wien 1978, Band 3, S. 187. – Friedrich Mülder, Hellmuth v. Ulmann zum Ge­den­ken, in: Euterpe, Jahrbuch für Literatur in Schleswig-Holstein, Husum 1988, S. 180ff; Helmut Scheunchen, Hellmuth von Ulmann, in: Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002, S. 267-269. – Ders.: „Doppelte Feder, ja dreifache gar“: Komponistenschriftsteller – Doppelbegabungen in der deutsch­baltischen Geistesgeschichte, in: Carola L. Gottzmann (Hrsg.), Deutschsprachige Literatur im Baltikum und in Sankt Petersburg, Literarische Landschaften, Band. 11, Berlin 2010, S. 144, 240-244, 257-58. – Mitt. a. d. Verf.: Hellmuth v. Ulmann/Heide 1987. – Mitt. a. d. Verf.: Elisabeth v. Ulmann/Heide u. Kiel 1988ff.

Bild: Photo Hellmuth von Ulmann 1940er Jahre, private Ostdeutsche Studiensammlung.

Weblink: https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmuth_von_Ulmann

Helmut Scheunchen