Biographie

Unglerus (Ungleich), Lucas

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Bischof der sächsischen Kirchen in Siebenbürgen
* 1. Januar 1526 in Hermannstadt/Siebenbürgen
† 21. November 1600 in Birthälm

Im Jahr der Schlacht von Mohács geboren, zog Unglerus 1548 nach Wittenberg. 1550 immatrikuliert, erlangt er dort den Magistergrad der freien Künste. Als Schüler Melanchthons gehört er zu den Vorreitern der Bewegung, die den gärenden Wein der Reformation in die rund 1500 Kilometer weit entfernte Heimat brachten. Am 18. November 1550 schrieb er an den Hermannstädter Stadtpfarrer Bartholomäus Altenberger, die Sehnsucht nach Rückkehr in die Heimat wolle ihm vergehen, denn das Schicksal lächele ihn in der Fremde glückverheißend an. Aber dann fühlt er mit Ovid: „daß es allem Widerwärtigen zum Trotz doch nichts Lieblicheres als die Heimat und die dort weilenden Freunde gibt“. „Ich verstehe es eigentlich nicht, durch was für eine Süßigkeit der heimatliche Boden alle lockt und leitet und sie seiner nie vergessen läßt“. Immerhin: „Magdeburg wird belagert, die Hand des Kaisers liegt schwer über den besiegten Sachsen, dazu kommt auch noch die Sorge um die Türkengefahr in der Heimat“. Den Ausgang der Dinge überläßt er im Gottvertrauen dem Herrn. Hier zeichnet sich schon seine hohe Sendung für Volk und Kirche ab.

Seit 16. Februar 1556 finden wir Unglerus als Lektor des Hermannstädter Gymnasiums, „damit er als gelehrter und frommer Mann die Jugend durch das Scheidewasser der klassischen Sprachen und durch die Anfänge der Philosophie stark mache für die Durchdringung mit dem Geiste.“ Hier verrät sich sein europäisch-humanistisches Bildungsideal, von dem schon sein latinisierter Name Zeugnis ablegt. Auch seine Briefe sind vielfach in lateinischer Sprache verfaßt. 1557 wurde er Schulrektor. Daneben war er ein treuer Mitarbeiter Bischof Heblers in dessen Auseinandersetzungen mit den Calvinisten. 1561 legte er als Abgeordneter der Synode den deutschen Fakultäten die Confessio Brevis Heblers zur Begutachtung vor. Über die Anerkennung hinaus rühmte die Fakultät der Universität Frankfurt an der Oder, wie eifrig und vorzüglich (sedule et praestantissime) er seine Aufgabe erfüllt habe. So verhalf er der lutherischen Linie hinsichtlich des Abendmahls zum Durchbruch, trotz Spott und Verunglimpfung. Weil sein Volk hinter ihm stand, wurde er 1565 Pfarrer in Kelling, im Unterwälder Kapitel, bald darauf dessen Dechant.

1567 war Unglerus Pfarrer in Birthälm, und 1571, nach Heblers Tod, befand er sich in vorderster Front der reformatorischen Kirchenbewegung. Irgendwann sah das weltliche Parlament Siebenbürgens (die „Nationsuniversität“) davon ab, wieder einen ausländischen Gelehrten in das Bischofsamt zu berufen, was dazu beitragen sollte, die reformatorische Bewegung bodenständig zu machen. Ebenso wurde die Trennung von Pfarramt und Bischofsamt aufgegeben. Die Pfarrstelle in Birthälm wurde (kostengünstig für die Nation) mit L. Unglerus als Bischof und Pfarrer besetzt.

Obwohl dem Landesfürsten Stefan Bathori viel an der Augsburger Konfession lag (sie war schließlich von Kaiser Karl V. und dem Reich seit 1555 anerkannt und stand doch der „katholischen“ Tradition nicht ganz fern), wollte er sich einen möglichst großen Einfluß auf die Bischofswahl sichern und sich das Ernennungsrecht vorbehalten, indem er der Synode einen Dreiervorschlag zubilligte. Am 3. Mai 1572 wurde das Augsburger Bekenntnis einstimmig angenommen, und am 6. Mai siegt die Richtung, gegen die sich Bathori gestellt hatte. Unglerus erhielt 36, Jakob Mellembriger und M. Auner sechs bzw. neun Stimmen. So kam die kirchliche Leitung von Hermannstadt nach Birthälm, in das Generalkapitel, welches schon zu katholischer Zeit große Vorzüge gegenüber der Weißenburger Diözese besaß. Das Amt büßte damit zwar Geltung und Macht ein, doch hat für die nächsten 300 Jahre, wie Georg Müller schreibt: „bei dieser Lösung das Streben der Geistlichkeit sich von weltlicher Bevormundung freizuhalten und das Bischofswahlrecht zu wahren“, entscheidend dazu beigetragen.

Ohne die Bestätigung des Fürsten abzuwarten, trat Lucas Unglerus sein Amt an; dringende Aufgaben warteten auf ihn. So schuf er die „Formula pii consensus inter pastores ecclesiarum Saxonicarum“, die von der Synode schon am 22. Juni 1572 angenommen und samt Bestätigung an Bathori weitergeleitet wurde. Nach Adolf Schullerus ist die „Formula“ Unglerus’ bedeutendstes Werk, „ein schlichtes, aber selbständiges, nach zeitgemäß-praktischen Gesichtspunkten geordnetes Lehrgebäude, das auf die Grundsätze der Confessio Augustana Invariata zurückgeht, im äußeren Aufbau sich aber an die ‚Confessio doctrinae Saxonicarum ecclesiarum‘ Melanchthons(1553) anschließt“.

Artikel I enthält eine Abgrenzung gegen die „katholischen Irrtümer“ jener Zeit (idololatricos cultus et corruptelas impias). Artikel II ist gegen die Leugnung der Trinitätslehre (die Klausenburger Neuerer) gerichtet und vertritt eindeutig den lutherischen Standpunkt (Abendmahlslehre). Die insgesamt 27 Artikel halten sich im übrigen von dogmatischen Spitzfindigkeiten fern wie auch von der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen theologischen Streitfragen. A. Schullerus bezeichnet die „Formula“ als „altreformatorische Bekenntnisschrift“, die den Schwerpunkt auf die damaligen Hauptthemen lege, nämlich 1) auf die Rechtfertigung aus Gnade, 2) auf die Erbsünde, 3) auf die Willensfreiheit, 4) auf die guten Werke und 5) auf die Heiligung. Ganz konkret werden in das Bekenntnis Fragen kirchlicher Ordnung und des Kultus sowie Vorschriften über Amt und Leben der Pfarrer und Lehrer aufgenommen. Dabei ist typisch, wie in den heiklen Angelegenheiten der „Ceremonien“ die christliche Freiheit hervorgehoben wird. Abschließend heißt es: „Wir bitten Gott den Vater unseres Herrn Jesu Christi und seinen gleichewigen Sohn und den Hl. Geist glühend und flehentlich, daß er sich hier an der Türkengrenze eine wahre heilige Kirche und ein ewiges Erbe sammle… seine Kirche schütze… und nicht zulasse, daß unter uns das Licht seiner himmlischen Lehre ausgelöscht werde“.

Diese Worte zeigen, daß Unglerus sich schon in Frankfurt mit den deutschen Professoren über die gefährliche Lage der sächsischen Kirche unterhalten hatte. Die Frankfurter schrieben damals: „Eure Streitigkeiten machen uns umso größere Sorge, je näher ihr dem türkischen Rachen und der mohammedanischen Wut steht“. Daraus wird deutlich: Glaube und Volkstum verschmolzen mehr und mehr zu einer lebendigen Einheit. Dabei durchdrang der wiedergefundene Sauerteig des Glaubens das Völkische entscheidend und eröffnete für die Zukunft freiheitliche, kreative Perspektiven. Unglerus fühlte sich schon als Hüter evangelisch-sächsischer Gesittung, als Träger einer europäischen Sendung an der kontinentalen Ostgrenze.

Am 4. Juli 1572 bestätigte Stefan Bathori mit der „Formula“ auch „die ausschließliche Gültigkeit der Augsburger Confession in der in Christo geeinigten Kirche des sächsischen Volkes“. So wurde diese Kirche, die sich über ein großes Gebiet mit oft politisch, ethnisch und religiös instabilen Machtkonstellationen erstreckte, schon damals unter eine völkerrechtlich bedeutsame Glaubens- und Rechtsurkunde gestellt.

Unglerus aber sah von nun an seine Lebensaufgabe darin, das begonnene Werk auszubauen und immer fester im sächsischen Volksbewußtsein zu verankern. 1573 ließ er auf einer Synode in Mediasch die Artikel von 1572 ergänzen und erklären, die Kontinuität des Bekenntnisses betonend, das sich nicht auf „Sand und Lehm“, sondern auf einem „unbeweglichen Felsen und festem Grund aufbaue“. Bei aller christlichen Freiheit auch hinsichtlich des gottesdienstlichen Vollzugs zeigten sich nun die Entwicklungslinien hin zur Pastorenkirche immer deutlicher. So heißt es in Art. IV, daß die drei Kennzeichen einer wahren Kirche seien: „Übereinstimmung in der Lehre, richtiger Gebrauch der Sakramente und„Gehorsam gegen das geistliche Amt“. Weil Unglerus von der Bedeutung des Letzteren eine so hohe Meinung hatte, ließ er auf einer Synode in Hermannstadt (1574) „Artikel über Leben und Sitten der Pfarrer“ beschließen, worin sich der bedeutsame Satz fand: „Das Leben der Pfarrer sei rein, untadelig und in Übereinstimmung mit der Lehre, so daß sie ein Typus der Gläubigen und ein Vorbild der Herde seien“. Auf den Synoden rückte er die Lehre immer wieder in den Mittelpunkt der Verhandlungen. So 1578 in Mediasch, wo Artikel über Lehre und Kirchenzucht verhandelt wurden. 1585 ließ Unglerus zur Stärkung der Gemüter vier berühmt gewordene siebenbürgische Briefe der Reformatoren Luther, Melanchthon, Pomeranus und Brenz vorlesen. 1590 forderte er auf einer Synode in Hermannstadt nach gründlicher Beratung eine neuerliche Unterschrift unter die Confessio Augustana. Angesichts wachsender politischer Anarchie lag ihm viel daran, die kirchliche und die religiöse Einheit unter allen Umständen zu wahren. Die Artikel der Mediascher Synode von 1595 enthalten sein Vermächtnis und persönliches Bekenntnis: „Es könnte vielleicht geschehen, daß wir nicht nur privatim und im Gotteshaus die wahre Lehre bekennen müssen, sondern auch in öffentlichen Kämpfen, wo die Waffen des Hl. Geistes hervorgebracht werden müssen, um die Gegner zu überwinden. Herr!, möchten doch alle, die ihren Namen von Christus herleiten, eins sein, Gleiches lehren und Gleiches bekennen!“

Einen auf das Gebiet Siebenbürgens und weit darüber hinaus ausstrahlenden Einfluß zog die Übernahme humanistisch-christlicher Traditionen nach sich, die Unglerus insbesondere von Johannes Honterus, dem bedeutendsten Reformator für die evangelische Schule, übernahm. Die Schule wurde als zentrale Aufgabe der Kirche betrachtet und durch die Jahrhunderte weiter gepflegt. In der „Formula pii consensus“ hatte Unglerus schon 1572 offen gesagt: „Unendlicher Segen strömt aus der Zucht und dem frommen Unterricht der Schule auf alle Menschen, gut eingerichtete Schulen sind gleichsam öffentliche Werkstätten der Wissenschaft, der Weisheit, der Tugenden und der Erziehung.“ Die schon von Honterus angeordneten Schul- und Kirchenvisitationen, die Unglerus in festere Formen faßte, sollten dafür sorgen, daß es dabei blieb. Die Schule wurde mehr und mehr zur kraftvollen Stütze evangelischen Seins, Hoffnungsträger der sächsischen Nation. Über die Jahrhunderte hinweg verblieb ihr bis in unsere Tage hinein ein humanistisches Erbe als Wegzehrung und Lebenskraft.

Große Sorgen bereiteten dem Bischof immer wieder auch die Auseinandersetzung mit politischen Machthabern. So wurde die Geistlichkeit zu schweren Kriegsleistungen in Geld oder zur Bereitstellung von Fuhrleuten und Geschützrossen genötigt. Das damalige Einkommen (Zehntrecht – uraltes verbrieftes Gemeinderecht) oder die geistliche Gerichtsbarkeit wurde der Geistlichkeit des öfteren versagt.

Dessen ungeachtet hat Unglerus von dem einsamen Birthälmer Pfarrhof aus, der schon 1572 die Anschrift trug: „Sedes epicopalis Augustanae Confessionis in Transsilvania“, die sich immer mehr festigende Kirche durch schwerste Zeiten siebenbürgischer Geschichte hindurchgesteuert. Schon im Jahre seiner Wahl verstand er es, die evangelische Freiheit selbst gegen den katholischen Landesfürsten durchzusetzen. Und wenn Bathori (auch um die eigene Machtposition zu unterstreichen) seine Bestätigung zur Wahl des Bischofs nur mit der Einschränkung gab, „durante beneplacito nostro“ (solange unser Wohlwollen währt), so hat Unglerus sich doch zu behaupten gewußt. 1574 wurde er von Bathori uneingeschränkt „Episcopus ecclesiarum Transsilvanicarum“ bezeichnet. Seither ist nie mehr vom Vorbehalt des „beneplacitum“ die Rede gewesen.

Durchsetzung gegen offene und versteckte Gewalt der Fürsten, Vereinigung der Volks- und Kirchgenossen zu einer festen Glaubensgemeinschaft auf der Grundlage der Augsburger Konfession, kluge Abwehr drohender Gefahren und Konsolidierung des Evangelischen Schulwesens, das sind und bleiben Verdienste des Lucas Unglerus, der sich damit seinem Vorgänger Matthias Hebler als ebenbürtig erwies.

Die Inschrift seines Epitaphs in Birthälm vermeldet: „Hier ruht der Seher, der den Samen des Wortes auf dem Felde von Birthälm ausgestreut hat: der durch Beredsamkeit ausgezeichnete, hochberühmte Bischof im Hause Christi, der Führer und die Zierde seiner teutonischen Herde“.

 Hannes Kasper